Die konservative Regierung wappnet sich mit einem kontroversen Gesetzesvorschlag gegen die organisierte Migration aus Russland. Die Gegner des Vorstosses argumentieren weltfremd.
Sinken Finnlands Menschenrechtsstandards bald auf russisches Niveau? Ja, findet die finnische Völkerrechtlerin Elina Pirjatanniemi. Zumindest dann, wenn das Parlament einem Gesetzesentwurf der rechtskonservativen Regierung zustimmt. Er würde den Sicherheitsbehörden erlauben, Migranten an der Grenze zu Russland zu stoppen und ohne Verfahren abzuschieben – notfalls mit Gewalt.
Verstoss mit Ansage
Die Sonderregelung verletzt die Verfassung und internationales Recht, räumt die finnische Regierung unumwunden ein. Pushbacks widersprechen nämlich der Uno-Flüchtlingskonvention. Jede Person hat das Recht, ein Asylgesuch zu stellen.
Mit ihrem Eingeständnis unterscheiden sich die Finnen von Ländern wie Griechenland und Bulgarien, die laut gut dokumentierten Berichten routinemässig Schutzsuchende «zurückstossen», dies aber in Abrede stellen. Polen und Litauen haben Pushbacks legalisiert.
Helsinki fürchtet nicht zu Unrecht, abermals Ziel russischer Destabilisierungsmanöver zu werden. Bereits im vergangenen Winter setzte Putins Regime Migranten ein, um das neue Nato-Mitglied unter Druck zu setzen. Wie aus dem Nichts tauchten in den finnischen Wäldern Hunderte von Personen aus Drittstaaten wie Jemen, Syrien und dem Irak auf. Es ging dem Kreml offenkundig darum, in Finnland Chaos und Verunsicherung zu stiften. In der Folge schloss Helsinki die Grenze zu Russland komplett.
2021 trieb Weissrusslands Machthaber Alexander Lukaschenko dasselbe Spiel. Zu Tausenden wurden Migranten organisiert an die Grenzen zu Litauen und Polen geschleust. Die finnische Regierung geht davon aus, dass Putin seinen Nachbarn auch in diesem Sommer wieder mit Migranten unter Druck setzen will. Auf der russischen Seite sollen Hunderte oder sogar Tausende Menschen darauf warten, nach Finnland zu gelangen.
Keine pauschale Ermächtigung
Mit seiner über 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland muss Finnland eine Möglichkeit haben, dieses perfide Vorhaben zu durchkreuzen. Sonst droht ein Kontrollverlust an der Aussengrenze von EU und Nato.
Die Sonderregelung kommt richtigerweise keiner pauschalen Pushback-Ermächtigung gleich. Zulässig wären Abschiebungen nur, wenn die Souveränität oder die nationale Sicherheit gefährdet ist. Auch soll das reguläre Asylverfahren jeweils maximal einen Monat lang ausgesetzt werden. Für besonders gefährdete Personen würden Ausnahmen gemacht, verspricht die Innenministerin Mari Rantanen von der rechtsnationalen Finnenpartei.
Gegner der Sonderregelung trauen diesen Zusicherungen nicht und betonten gebetsmühlenhaft, Finnland stürze in die Niederungen eines Unrechtsstaats. Sie verkennen aber, dass es Instrumente braucht, um den Missbrauch des Asylsystems durch Diktatoren zu stoppen. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde 1951 verabschiedet – als niemand damit rechnete, dass Autokraten als Menschenschlepper agieren würden.
Recht haben die Kritiker, wenn sie verlangen, dass präzis definiert werden muss, unter welchen Voraussetzungen ein Pushback-Regime in Kraft gesetzt werden darf. Eine Gruppe von zehn Migranten löst im 5,5-Millionen-Einwohner-Land noch keinen Kontrollverlust aus.
Nicht auf dem Niveau Russlands
Pushbacks verringern den Anreiz für Russlands Despoten, mit Schutzsuchenden Politik zu treiben. Daher können sie, als Ultima Ratio und unter klar definierten Bedingungen, ein angemessenes Instrument sein. Finnland würde mit dieser Sonderregelung nicht auf das Niveau Russlands fallen, das notorisch Völkerrecht bricht. Die Finnen wären auch nicht mit EU-Staaten vergleichbar, die unter dem Radar und mit rabiaten Mitteln Schutzsuchende zurückdrängen – und dies abstreiten.