Auch der konservative Senat hat dem Vorhaben von Präsident Macron zugestimmt, die freie Wahl eines Schwangerschaftsabbruchs im Grundgesetz zu verankern. Das ist auch eine Reaktion auf den amerikanischen Umgang mit der Frage.
Frankreich wird aller Voraussicht nach in einer gemeinsamen Sitzung des Parlaments am kommenden Montag den Schwangerschaftsabbruch als verfassungsmässig garantiertes Recht verankern. Der mehrheitlich konservativ geprägte Senat hat am Mittwochabend mit einer klaren Mehrheit von 267 zu 50 Stimmen für eine Änderung der Verfassung gestimmt.
Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüsste das Resultat der Abstimmung. Er habe sich verpflichtet, die Freiheit der Frauen, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, unumkehrbar zu machen, indem er sie in der Verfassung verankere. «Nach der Nationalversammlung macht nun auch der Senat einen entscheidenden Schritt», schrieb Macron auf X.
Der Text zur Verfassungsänderung muss nun noch in einer gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern verabschiedet werden. Diese findet am 4. März im feierlichen Rahmen des Schlosses Versailles statt. Eine Mehrheit von drei Fünfteln der Parlamentarierstimmen ist nötig, um die erste Verfassungsänderung seit 16 Jahren endgültig zu beschliessen. Es wird erwartet, dass sie am Montag übertroffen wird.
Reaktion auf Entscheidung des Supreme Court in den USA
Die Abtreibung als verfassungsmässiges Recht zu verankern, hat in erster Linie symbolischen Charakter. Der Schwangerschaftsabbruch ist in Frankreich seit 1975 legal, seit März 2022 ist ein Abbruch bis zur 14. Woche gesetzlich gewährleistet, bei einer Abtreibung aus medizinischen Gründen fällt diese Frist gar ganz weg.
Das Vorhaben ist vielmehr eine Reaktion auf den Entscheid des amerikanischen Supreme Court vom Juni 2022. Das Oberste Gericht kippte damals ein fünfzig Jahre währendes Urteil, das die Abtreibung bundesweit garantierte. Linke Abgeordnete und Senatoren sahen daraufhin auch in Frankreich und Europa insgesamt die Gefahr aufkommen, dass die Abtreibungsrechte dereinst eingeschränkt werden könnten. Als mahnende Beispiele führten sie Länder wie Ungarn oder Polen an.
Der Präsident ging auf diese Bedenken schliesslich im Oktober 2023 ein. Seine Regierung arbeitete einen Text aus, in dem der «Zugang zum Recht» auf Schwangerschaftsabbruch garantiert werden sollte. Der Senat änderte den Text aber dahingehend, dass nun von der «Freiheit der Frau, ihre Schwangerschaft zu beenden», die Rede ist, was eine rechtlich schwächere Formulierung ist.
Frankreich sieht sich an der Spitze des Fortschritts
Vor der Abstimmung über den angepassten Text im Senat am Mittwoch sagte der französische Premierminister Gabriel Attal: «Wenn die Rechte der Frauen in der Welt angegriffen werden, steht Frankreich auf und stellt sich an die Spitze des Fortschritts.»
Der französische Justizminister, Éric Dupond-Moretti, nutzte die lange Debatte im Senat dazu, auf die historische Dimension der Abstimmung hinzuweisen: «Diese Abstimmung sagt all jenen, die es noch nicht wissen, dass die Frauen in unserem Land frei sind und bis zu welchem Punkt wir an diese Freiheit gebunden sind.» Und die grüne Senatorin Mélanie Vogel, die sich für die Verfassungsänderung eingesetzt hatte, sagte: «Dies ist ein historischer, feministischer Sieg.»
Kritik an der Verfassungsänderung kam hingegen vom Präsidenten des Senats, dem Vertreter der Républicains, Gérard Larcher. Die Verfassung sei kein Katalog von sozialen und gesellschaftlichen Rechten. «Ist es die Rolle der Verfassung, Symbole auszustellen? Ist es die Rolle der Verfassung, Signale an den Rest der Menschheit zu senden? Ich für meinen Teil glaube das nicht», erklärte er.
Die konservative Organisation Alliance Vita bezeichnete die geplante Verfassungsänderung als «Unsinn». Es sei nötiger denn je, eine Politik umzusetzen, die ungewollte Schwangerschaften verhindere.
Einige Senatoren der Républicains gaben im Vorfeld der Diskussion vom Mittwoch zu, dass sie sich damit abgefunden hätten, den Text zu unterstützen, weil sie befürchteten, im Falle einer Gegenstimme an den Pranger gestellt zu werden. Denn in der französischen Bevölkerung stiess das Vorhaben, das französische Grundgesetz um die Freiheit zur Abtreibung zu ergänzen, auf grosse Zustimmung. In einer Umfrage von Ende 2022 gaben 86 Prozent der Befragten an, die Anpassung zu befürworten.
Macron gewöhnt Franzosen an Verfassungsänderungen
Seit 1994 nehmen in Frankreich, das 1975 den Schwangerschaftsabbruch legalisiert hatte, die Abtreibungen zu. Im Jahr 2022 liessen 242 997 Frauen in Frankreich freiwillig einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Im europäischen Vergleich brechen in Frankreich viele Frauen freiwillig eine Schwangerschaft ab. Nur in Bulgarien und Armenien werden pro 1000 Lebendgeburten mehr Abtreibungen durchgeführt.
Dass Emmanuel Macron für die erste Anpassung des französischen Grundgesetzes seit 16 Jahren einen derart unumstrittenen Sachverhalt wählte, dürfte kein Zufall sein. Seine bisherigen Vorstösse, die Verfassung zu ändern, erlitten allesamt Schiffbruch. Anfang 2021 scheiterte beispielsweise der Entwurf einer Verfassungsbestimmung zur Verankerung des Umweltschutzes, nachdem sich die Nationalversammlung und der Senat nicht auf einen gemeinsamen Text hatten einigen können.
Macron, der 2017 mit dem Versprechen angetreten war, Frankreich grundlegend zu reformieren, will allerdings nicht aufgeben. Neben der Freiheit zur Abtreibung kündigte der Präsident vergangene Woche an, weitgehende Autonomierechte für die Insel Korsika in der Verfassung verankern zu wollen. Das Vorhaben dürfte im In- und Ausland weitaus kontroverser diskutiert werden. Vor allem in der benachbarten spanischen Region Katalonien dürfte man gespannt auf Korsikas Weg zu mehr Autonomie blicken.