Paris wirft Pawel Durow vor, nicht hart genug gegen Terroristen und Kriminelle auf seinem umstrittenen Messenger-Dienst vorzugehen. Dieser spielt im Ukraine-Krieg eine besondere Rolle.
Die Verhaftung des russisch-französischen Tech-Milliardärs Pawel Durow hat heftige Reaktionen ausgelöst. Die Behörden nahmen den Gründer der umstrittenen Nachrichten-App Telegram am Samstagabend fest, als er in seinem Privatjet aus Aserbaidschan bei Paris landete. Laut Medienberichten, die sich auf Quellen in den Sicherheitskräften berufen, lag gegen ihn ein offizieller Haftbefehl vor. Dem in Dubai lebenden Durow wird vorgeworfen, nicht genug gegen Drogenhandel, Terrorismusförderung und Gewalt gegen Minderjährige zu unternehmen.
Die 2013 lancierte Kommunikationsplattform Telegram gehört laut eigenen Angaben mit 800 Millionen Nutzern zu den fünf grössten der Welt. Sie erfreut sich vor allem in Osteuropa grosser Beliebtheit, ist aber auch in anderen Weltregionen stark verbreitet, etwa in Indien und Lateinamerika. Nutzer können entweder direkt kommunizieren oder Informationen über spezialisierte Kanäle verbreiten und empfangen. Durow rühmt sich, kaum in die Inhalte einzugreifen; libertäre Kreise feiern Telegram als Bastion der Meinungsfreiheit.
Tummelplatz für alle möglichen Gruppen
Beispielsweise in Hongkong diente der Messenger-Dienst in der Vergangenheit tatsächlich als Plattform zur Organisation von demokratischen Protesten. Die andere Seite der Medaille ist freilich, dass sich auf dem Messenger-Dienst Islamisten, Mafiosi, Verschwörungstheoretiker und Propagandisten tummeln. Experten kritisieren, dass Chats nicht automatisch verschlüsselt werden und Durow keine Transparenz über jene inhaltlichen Eingriffe schafft, die er vornimmt. Zusammen mit seinem Bruder verfügt er über eine praktisch unregulierte Machtfülle.
Undurchsichtig ist auch Durows Verhältnis zu Russland. Der heute 39-Jährige verliess 2014 sein Heimatland, als ihn das Regime aufforderte, Nutzerdaten von Oppositionellen auf der ebenfalls von ihm gegründeten Plattform V-Kontakte zu übergeben. Vier Jahre später soll Moskau beim Versuch gescheitert sein, Telegram zu blockieren.
Allerdings gab es stets Stimmen, welche die oppositionelle Haltung Durows anzweifelten. Sie haben sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine verstärkt: Einerseits gab es mehrere Fälle, in denen russische Regimegegner verhaftet wurden, weil der Geheimdienst offenkundig ihre Kanäle überwachte. Experten sind sich aber uneinig, ob dies die Folge einer Kollaboration Durows ist oder die Sicherheitslücken so gross sind, dass sie die staatlichen russischen Hacker leicht ausnutzen.
Andererseits nutzt die russische Armee Telegram in ihrem Krieg gegen Kiew als zentralen Kommunikationskanal. Zwar verbreiten auch die Ukrainer wichtige Informationen über den Messenger, aber ihren Streitkräften ist die Verwendung aus Sicherheitsgründen verboten. Die Sicherheitsbehörden glauben, dass die Chats nicht ausreichend vor russischer Infiltration geschützt sind. Die Invasoren plagen solche Sorgen offenkundig nicht.
Gerüchte auf kremlnahen Telegram-Kanälen
Bemerkenswert sind die Reaktionen auf die Verhaftung: So forderte Elon Musk auf der Plattform X die Freilassung Durows, zusammen mit Figuren wie Edward Snowden, die sich gern als Gegner des «westlichen Mainstreams» darstellen. In Moskau stellten sich einzelne Liberale, aber auch Propagandisten sofort hinter die Kampagne. Eine kremlnahe Gruppe organisierte einen Protest vor der französischen Botschaft, und die russische Vertretung in Paris verlangte konsularischen Zugang zum Doppelbürger der beiden Staaten.
Auf kremlnahen Telegram-Kanälen kursieren zudem zahlreiche Gerüchte darüber, dass der Westen durch die Verhaftung versuche, an die Kommunikation russischer Militär- und Sicherheitskreise zu gelangen. Aus Paris gibt es bis jetzt keine offiziellen Erklärungen zur Verhaftung. Durow soll aber noch am Sonntag angeklagt werden.