Der Chef ist gegangen, der Wahlkampf war ein Desaster: Die einst staatstragende Partei der Républicains muss wieder einmal entscheiden, ob sie sich aufgeben will oder weiterkämpft.
Die Zeichen standen auf Untergang. In den Wochen vor der Parlamentswahl in Frankreich hat sich die konservative Partei zerstritten, gespalten und ihren Chef verloren. Éric Ciotti lief mit einer Gruppe von rund sechzig Mitstreitern zur extremen Rechten von Marine Le Pen über. Die einzigen wirklichen Schlagzeilen, die die Partei machte, drehten sich dann um das bis heute misslungene Verfahren zum Parteiausschluss ihres abtrünnigen Chefs.
Weiterkämpfen oder sich aufgeben?
Umso überraschender ist das Wahlergebnis: Die Républicains haben in der Assemblée nationale zwar 22 Sitze verloren, doch mit 39 Abgeordneten sind sie immer noch genug zur Bildung einer Fraktion. Mit Verbündeten zusammen kommen sie auf 55 Abgeordnete – erschreckend wenige für das politische Lager, das fünf von acht Staatspräsidenten der Fünften Republik stellte. Doch schon in der vergangenen Legislatur hatte diese relativ kleine Gruppe überproportional viel Macht. Ihr Stimmverhalten entschied nicht selten darüber, ob das Präsidentenlager – das allein nur über eine relative Mehrheit verfügte – die Zustimmung für ein Gesetzesvorhaben finden konnte.
Auch unter den neuen Vorzeichen könnte den Républicains eine wichtige Rolle zufallen. Sollten sich die gemässigten Linken dazu entscheiden, mit der Mitte zu koalieren, wären immer noch die Stimmen der Républicains nötig, um eine absolute Mehrheit zusammenzubekommen.
Im Wissen um diese möglicherweise entscheidende Position haben bei den Républicains parteiinterne Diskussionen darüber begonnen, wie man sich am besten positioniert. Eine Gruppe um den früheren Parteichef Laurent Wauquiez plädiert für eine unabhängige Position. Die Gruppe sieht das «Ende des Macronismus» als Chance, um wieder eine gemässigte Rechte aufzubauen. Diese kannte seit dem Machtwechsel von Nicolas Sarkozy zu François Hollande nur eine Tendenz: Sie wurde kleiner und kleiner. Das Erstarken von Emmanuel Macron, der viele gemässigte Konservative (wie auch zur Mitte tendierende Sozialisten) in seinen Machtkreis gezogen hatte, beschleunigte den Schwund. Im Gegensatz zu den Sozialisten haben sich die Républicains jedoch stets gegen Allianzen mit anderen politischen Strömungen gestellt – mit Ausnahme der kleinen Gruppe der «Divers Droite».
Laut dem Magazin «Politico» sollen nun aber etwa die Hälfte der gewählten Républicains darüber nachdenken, für eine Koalition mit der Mitte Hand zu reichen oder sogar direkt zum Mitte-Block überzutreten. Dort würde sich die Partei Horizons des ehemaligen Regierungschefs Édouard Philippe anbieten. Sie vereint eher konservative Mittewähler. Die den Konservativen nahestehende Zeitung «Le Figaro» glaubt dagegen zu wissen, dass sich eine Mehrheit für die Position von Wauquiez entscheiden könnte. Diese Woche soll in der Partei darüber beraten werden.
Eine treue Stammwählerschaft
Dass die Républicains derzeit faktisch ohne Chef dastehen, hilft der Sache nicht unbedingt. Die Führung der Partei steht seit Jahren vor der Herausforderung, dass sie ziemlich unterschiedliche ideologische Strömungen zusammenhalten muss: Marktliberale, Katholiken, Gaullisten, Konservative sowie einen linken Flügel.
Das Ergebnis der am Mittwoch beginnenden Beratungen wird über die Zukunft der Partei entscheiden. Dass sie trotz der Abspaltung von Ciotti und seinen Getreuen ein respektables Wahlergebnis erzielen konnte, liegt in einigen Fällen daran, dass auch Konservative als Konsenskandidaten gegen das Rassemblement national aufgestellt worden sind. Wichtiger war aber die lokale Verankerung der einzelnen Abgeordneten. Die meisten von ihnen sitzen schon lange in der Nationalversammlung und haben dadurch eine treue Wählerbasis. Sie dürfte die Partei vor dem Untergang bewahrt haben, der ihr schon so oft prophezeit worden ist.