Trotz dem Krieg in der Ukraine nehmen Athleten der Schweizer Armee an internationalen Wettkämpfen mit Angehörigen von Putins Streitkräften teil. Was bedeutet das für die Winter-Militärweltspiele hierzulande?
An Weihnachten 1914 verlassen deutsche und britische Soldaten in Flandern ihre Schützengräben und spielen gemeinsam Fussball auf dem gefrorenen Acker. Das Spiel hebt für einen Moment die Stimmung und geht als nicht autorisierter Weihnachtsfrieden in die Annalen ein.
Ein Vierteljahrhundert später organisiert ein amerikanischer General im Zweiten Weltkrieg Wettkämpfe zwischen den verbündeten Nationen. Spiel und Sport dienen nicht nur der Ablenkung, sondern sind neu auch integraler Bestandteil der Soldatenausbildung – und bald auch ein Vehikel für den Austausch zwischen den Nationen. So treffen sich nach Kriegsende 1948 fünf Armeen und gründen gemeinsam den Internationalen Militärsport-Verband (CISM). Das Ziel ist, Beziehungen zwischen Streitkräften zu knüpfen. Das Motto lautet bis heute: «Freundschaft durch Sport».
141 Nationen gehören mittlerweile der drittgrössten Sportorganisation der Welt an, darunter auch die Schweiz. Jährlich organisiert der CISM mehrere Wettkämpfe zwischen Athleten der Armeen, unter anderem die Weltmeisterschaft im Schiessen, die hohes Ansehen geniesst.
Doch nun gerät der Militärsport-Verband in die Kritik. Und mit ihm auch diverse Streitkräfte. Nachdem deutsche Politiker die Bundeswehr kritisiert hatten, gerät nun die Schweizer Armee in den Fokus. Denn zu den CISM-Mitgliedern gehört auch Russland. Schweizer Soldaten haben laut der Armee erst letzten Monat Seite an Seite mit Angehörigen von Putins Streitkräften am Halbmarathon in Sarajevo teilgenommen, wie der Sprecher Stefan Hofer auf Anfrage schreibt. Und im vergangenen Jahr sei die Schweiz an drei Weltmeisterschaften mit russischer Beteiligung angetreten. Es handelte sich um folgende Disziplinen: Judo in Santo Domingo, Schiessen in Rio de Janeiro und Ringen in Baku.
Vergewaltigung als Kriegswaffe
Marianne Binder, Ständerätin der Mitte, findet das «schon sehr anspruchsvoll». Sie fragt: «Wie geht ein Schweizer Soldat damit um, dass er sich in Freundschaft mit Angehörigen einer Armee messen soll, die Völkerrecht und Menschenrecht krass verletzt und ungestraft Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ausübt? Wie erklärt man ihm das?» Rechtsstaaten sind angehalten, sich an klare Regeln zu halten. Bei Gewalt gegen die Zivilbevölkerung müssen sich auch Soldaten vor Gericht verantworten. «Die russische Regierung schert sich dagegen um gar nichts», sagt Binder.
Aus solchen Gründen boykottieren gewisse skandinavische und baltische Staaten die Spiele, an denen Russland teilnimmt. Doch die Schweizer Delegation dürfe auf Weisung des Armeechefs Thomas Süssli an Wettkämpfen mit russischer Beteiligung teilnehmen, ausser diese fänden in Russland oder Weissrussland selbst statt, schreibt der Armeesprecher Stefan Hofer. Es gilt der Primat des Sports und nicht derjenige der Politik. So wird die Beteiligung nicht von anderen Teilnehmernationen, sondern «ausschliesslich aufgrund der sportlichen Selektionen und der zu erwartenden Resultate» festgelegt. Die Schweiz folgt dabei der Praxis des CISM: Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist dagegen, mit Sanktionen belegte Nationen generell von den Wettkämpfen auszuschliessen.
Dass es auch anders geht, zeigen das Internationale Olympische Komitee (IOK) und andere Sportverbände. Diese lassen Athleten aus Russland und Weissrussland nur unter neutraler Flagge starten, und dies auch nur, wenn sie den Krieg in der Ukraine nicht unterstützen und keine Verbindungen zum Militär haben. Bei den Militärweltspielen des CISM wäre das allerdings schwierig umzusetzen – dort nehmen nur Soldaten teil.
Schweizer Militärweltspiele ohne Russen
Allerdings reagiert die Schweiz durchaus auf die gegenwärtige Lage. Im März 2025 kommen die Winter-Militärweltspiele nämlich hierher. Gastgeberstadt ist Luzern, die nordischen Disziplinen und das Wettschiessen finden im Goms im Wallis statt, und auch Engelberg ist involviert. Die Schweiz hat nun dafür gesorgt, dass keine russischen Soldaten einreisen.
Zwar ist der CISM aufgrund der Regelwerke verpflichtet, alle 141 Mitgliedernationen einzuladen. Doch: «Die Schweiz hat die russische und weissrussische Delegation auf dem diplomatischen Weg orientiert, dass die Einladung durch den CISM ausgesprochen worden sei, die Einreise in die Schweiz aber nicht unterstützt werde», sagt Hofer. So ist zu bezweifeln, dass russische Soldaten ein Visum für die Schweiz erhalten würden.
Die Sicherheitspolitikerin Marianne Binder findet das eine «salomonische Lösung». Sie erlaubt es auch denjenigen Staaten, teilzunehmen, welche die letzten CISM-Spiele boykottiert hatten. So werden laut Armee beispielsweise Polen und Tschechien erwartet.
Und auch der Gesamtverband kann den Krieg nicht komplett ignorieren. So hätte die Generalversammlung 2023 in Moskau stattgefunden. Doch eine Reise nach Russland kam für die meisten Nato- und EU-Staaten nicht infrage. Also trug der CISM die Versammlung erstmals an zwei Orten aus. Die Schweizer Delegation reiste an den Alternativstandort Brüssel.
Der Sport kann sich der Politik eben doch nicht entziehen. Das zeigt auch das Motto, welches die hiesige CISM-Delegation noch vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine für die Winter-Militärspiele in der Schweiz gewählt hat: «Military Champions for Peace». Angesichts der internationalen Lage bekommt es auf einmal einen sehr politischen Nebenton.