Für Schönwetter wird jenseits des Gotthards an diesem Wochenende nicht garantiert. Aber wie wär’s mit etwas Tessiner Glück auf Gemüsebasis?
Über Ostern pflegt die halbe Deutschschweiz, die Sonne, das Glück und den Genuss jenseits des Gotthards zu suchen. Fürs Wetter wird nicht garantiert, und ein Restauranttipp zum Wochenende käme etwas spät. Doch für dieses kleine Tessiner Lokal empfiehlt sich ohnehin eine frühzeitige Reservation – also für Pfingsten vielleicht.
Im Dorf Comano oberhalb von Lugano steht ein unscheinbares, rostrotes Haus. Hier wirtet seit 2021 der 33-jährige Piero Ronconi, aufgewachsen im nahen Savosa. Mit seinem bloss vierköpfigen Team hat er die «Osteria del Centro» zur angesagten Adresse gemacht. Er gehört zum kleinen Kreis junger Tessiner Köche, die mit Erfahrungen in ausländischen Spitzenrestaurants zurückgekehrt sind und die Branche frisch beleben.
Ronconi arbeitete zuletzt in Barcelona, wo er seine Frau Mercedes kennenlernte, die nun als Gastgeberin agiert. Der Raum, fast asketisch schlicht gestaltet, bietet Platz für zwanzig Gäste (neulich hat die Crew an den Eventi letterari auf dem Monte Verità in Ascona auch ein fünfmal so grosses Publikum erstklassig bekocht).
Geboten wird einzig ein Menu, in fünf oder sieben Gängen (Fr. 100.–/Fr. 122.–). Es basiert auf Gemüse und erfährt täglich kleine Veränderungen, bis es innerhalb eines Monats ganz erneuert ist. Die Verbundenheit des Chefs mit der Heimat schlägt sich dabei nicht in Risotto, Polenta, Ossobuco nieder, sondern in der Nähe zur Scholle, zu besten Tessiner Produkten. Er setzt sie gekonnt in Szene, ohne ihre Eigenarten mit zu vielen anderen Aromen zu erschlagen. Ein Kärtchen listet die 48 Zutaten auf, die an diesem Märzabend zum Einsatz kommen, von Verjus bis Yuzu (in Locarno angebaut). Von Gericht zu Gericht kann man somit raten, was davon enthalten sein könnte, und am Ende wird das Rätsel aufgelöst.
Alles ist mit Sorgfalt gemacht und gewählt, Besteck und handgefertigtes Keramikgeschirr sind auf jeden der Gänge abgestimmt, die bei unserem Besuch farblich oft Ton in Ton gehalten sind, wie man’s von Tanja Grandits in Basel kennt. Das beginnt beim Amuse-Bouche, einer Randen-Crème-brulée mit Rotkohl-Gelato, auch ein Spiel mit Temperaturen. Die Küche lässt gerne Empfehlungen ausrichten, wie das eine oder andere Gericht zu geniessen sei. Das «Bretzeli» – in diesem Fall ein Bricelet – soll zertrümmert und dann mit den darunter versteckten Spaghetti aus Kohlrabi und geräucherter Ricotta genossen werden.
Die innovative Kraft der pflanzlichen Küche kommt am besten zur Geltung, wenn sie nicht tierische Produkte imitiert – was sie hier zum Glück kaum tut. Zum Signature-Dish, mit saisonalen Variationen stets Teil des Menus, wird ein Wirz geadelt: im Ofen fast schwarz gebacken, dann sous-vide mariniert und am Ende nochmals geröstet. Mit Kokosmilch, Ingwer, Limone und kurz frittierten roten Linsen wird er zum Gedicht, das man zuerst mit der Nase erkunden sollte. Es riecht und schmeckt so gut, dass man es mit nichts vergleichen will, auch nicht mit einem «Arrosto» (Braten), als der es betitelt ist. Übrigens, alternativ mit Fleisch bestellt werden kann einzig der Hauptgang, und auch das überzeugt: perfekt zerfallendes Siedfleisch unter einem Püree aus Wein und Kastanien mit kräftigem Pilz-Jus und Peterli-Espuma.
Bestens umsorgen uns die Gastgeberin und der Sommelier Edoardo, der auch das Brot bäckt und diverse Getränke für die Begleitung der Menus kreiert (drei Gläser, nichtalkoholisch Fr. 36.–, mit Wein Fr. 42.–). Die Finessen des hausgemachten Kombuchas (Fr. 10.–) etwa ziehen wir vielen Naturweinen vor. Die auf Letztere spezialisierte Karte bietet zum Glück nicht nur radikale Tropfen, der Franciacorta 1701 Brut Nature aus biodynamischem Anbau ist ebenso zugänglich wie der mehr Richtung Naturwein führende piemontesische Nebbiolo «Outside».
Zum Dessert schwingt sich die Pastinake auf, ihr Inneres ist mit Masala zu Glace, ihre Haut zu Crumble verarbeitet. Vor dem Espresso (Fr. 3.–) – für einen Aufpreis gibt’s trendige Specialty-Coffees – wird ein unwiderstehliches Praliné gereicht: dunkle Felchlin-Couverture vermählt sich mit Olivenöl zur Ganache. Auch das Angebot an Digestifs ist erlesen, vom feingliedrigen Enzianschnaps bis zum hausgemachten Likör (Fr. 9.–) aus Schalen und Saft von Tessiner Mandarinen.
Dieser oder jener Gang könnte noch einen kleinen Kick vertragen, etwa in Form von Säure, aber das Gesamterlebnis dieser Osteria ist eine Reise absolut wert. Es muss nicht immer Kaviar sein, auch nicht Ossobuco, und schon gar nicht immer Ostern oder Pfingsten.
Osteria del Centro
Via Cantonale 50
6949 Comano, Lugano (TI)
Sonntags und montags geschlossen.
091 930 80 62
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung aller NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.