Nach fünf Jahren Einreisesperre bemüht sich Pjongjang wieder um westliche Touristen. Darf man Ferien in einer brutalen Diktatur machen?
In Pjongjang aufs neue Jahr 2025 anstossen, den nächsten Marathon in Nordkorea rennen oder die Kim-Jong-Il-Geburtstagstour buchen? Fünf Jahre war Nordkorea wegen der Pandemie abgeriegelt. Im Dezember will sich der totalitäre Staat wieder für den internationalen Tourismus öffnen.
Freiwillig in ein Land zu reisen, das Jugendliche exekutiert, die mit südkoreanischen Pop-Videos erwischt wurden, und für Putins Angriffskrieg Tausende eigener Soldaten in die Schlacht schickt – nur schon den Gedanken an ein solches Reiseziel verwerfen viele als absurd.
Freaks und andere Nerds
Dennoch haben sich seit den neunziger Jahren Zehntausende westliche Touristen für einen Trip nach Pjongjang entschieden. Als Nordkorea im August 2024 bekanntgab, die Grenzen ab Winter 2024/2025 wieder zu öffnen, legten spezialisierte Reiseagenturen umgehend neue Programme auf: fünf Tage ab Peking für rund tausend Euro.
Das Interesse sei gross, heisst es von KTG Tours, einem Unternehmen, das bis 2020 aus der chinesischen Stadt Shenyang aus operierte, künftig aber in Europa seine Zelte aufschlagen will. Bis zur Pandemie begleitete KTG jährlich rund 300 Personen nach Nordkorea, grösstenteils Europäer, wie der Tour-Koordinator Rayco Vega von KTG in einem E-Mail schreibt.
Ähnlich tönt es bei Koryo Tours, einem Reisebüro, das seit über drei Jahrzehnten Nordkorea-Reisen für ein westliches Publikum anbietet. Pro Jahr buchen dort rund 800 Personen einen Abstecher in das Land. Was für Leute sind das? «Typ 1 will die ungewöhnlichsten Länder der Welt bereisen, Typ 2 ist der angefressene Nordkorea-Beobachter», sagt Nicholas Bonner, Mitbegründer und Direktor von Koryo Tours am Telefon. Gegen 90 Prozent der Nordkorea-Touristen stammen indes aus China. 2019 sollen gemäss dem Portal NK News über 300 0000 Chinesen das kommunistische Bruderland besucht haben.
Die Aufpasser stets im Nacken
Nordkorea-Reisen folgen einem eisernen Protokoll. Mit der Ankunft im Bahnhof von Pjongjang endet die persönliche Freiheit. Die Begleiter, sprich Überwacher, sind der Reisegruppe dauernd auf den Fersen. Niemand darf allein das Hotel verlassen. Individualtourismus existiert nicht. Auch Einzelreisende haben stets zwei Aufpasser im Schlepptau.
Zum Pflichtprogramm zählen die 22 Meter hohen Bronzestatuen des Staatsgründers Kim Il Sung und seines Sohnes Kim Jong Il. Ausländische Besucher sind angehalten, sich vor den «grossen Führern» zu verneigen und Blumen niederzulegen. Touristen flanieren über monumentale Plätze, umsäuselt von Propagandagesängen aus Lautsprechern, sie beklatschen Schülerinnen, die wie unter Trance Akkordeon spielen, und werden durch die sogenannte Freundschaftsausstellung geschleust, einen tempelartigen Komplex mit über 150 Räumen.
Die bizarre Ansammlung von Geschenken ausländischer Staatsgäste soll die internationale Anerkennung des nordkoreanischen Regimes symbolisieren: Zu sehen sind ein Krokodillederkoffer, überreicht vom kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro, eine Staatskarosse aus sowjetischer Produktion, ausgestopfte Tiere, die afrikanische Potentaten mitbrachten, oder Würdigungen westlicher Linker, die bis in die achtziger Jahre Nordkorea als sozialistisches Utopia anhimmelten.
Abgerundet werden die straff organisierten Touren mit einer Fahrt an die innerkoreanische Grenze. Sie teilt die Halbinsel seit 1953 in einen kommunistischen Norden und einen demokratischen Süden. Nordkoreanische Offiziere verbreiten in zackigem Englisch die offizielle Linie: Südkorea und Amerika hätten 1950 den Norden angegriffen – eine groteske Verdrehung der Geschichte. Willkommen in der skurrilen Welt der Kims.
Was niemand zu sehen bekommt: unterernährte Kinder, die in Mülleimern nach Essbarem suchen. Menschen, die in Arbeitslagern verschwinden, oder der brutale Arbeitsalltag in Fabriken. Eine Reise in Nordkorea gleicht einem Rundgang durch einen stalinistischen Themenpark. Besucher sehen viel Glitzer und Show. Ein Blick hinter die Kulissen bleibt ebenso verwehrt wie der Kontakt mit Personen ausserhalb der Tourismus-Bubble.
Engagement statt Isolation?
An jedem Dollar, den Reisende für Hotelnächte oder Souvenirs ausgeben, verdient der devisenhungrige Staat mit. So etwas wie private Akteure existieren nicht. Ist es moralisch vertretbar, in ein solches Land zu reisen? Nicholas Bonner, der britische Chef von Koryo Tours, sagt: «Diese Frage muss jeder für sich selber beantworten.» Bonner betont, er und seine Firma lehnten vieles ab, was die nordkoreanische Führung tue. Dennoch findet der frühere Landschaftsarchitekt aus Grossbritannien, es sei besser, direkt mit dem Land zu interagieren, als es zu isolieren.
Magnus Sall, ein schwedischer IT-Spezialist, schloss sich 1999 mit seiner Frau einer Gruppe nach Nordkorea Reisender an. Auch sie diskutierten vorher über ethische Bedenken. Aber: «Wir fanden es wertvoll, sich persönlich einen Eindruck von Nordkorea zu machen, statt sich nur auf Informationen aus zweiter Hand abzustützen», sagt Sall. Auf der Reise sei alles sehr kontrolliert abgelaufen, trotzdem habe er die Möglichkeit gehabt, mit Nordkoreanern zu reden.
Nicholas Bonner von Koryo Tours betätigt sich zusätzlich als Kulturvermittler. Bonner brachte Werke des sozialistischen Realismus an die Biennale in Venedig oder produzierte einen Film über amerikanische Soldaten, die sich vom Wachtdienst an der innerkoreanischen Grenze entfernten und zum kommunistischen Feind überliefen. Im Rahmen solcher Projekte sei ein direkter Austausch mit «normalen» Nordkoreanern möglich, betont Bonner.
«Verzichten Sie auf politische Äusserungen jeder Art»
Zahlreiche Regierungen warnen ausdrücklich vor Aufenthalten in Nordkorea. «Von Reisen in die Demokratische Volksrepublik Korea» – wie sich das Land offiziell nennt – «wird dringend abgeraten», heisst es auf der Website des Auswärtigen Amts in Deutschland. Mehrere Ausländer seien zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. «Verzichten Sie auf politische Äusserungen und Diskussionen jeder Art», mahnt das EDA.
Amerika untersagt seit dem Tod des Studenten Otto Warmbier im Jahr 2017 private Reisen nach Nordkorea. Warmbier hatte in einem Hotel angeblich ein Propagandaplakat eingepackt und kassierte dafür wegen «Verbrechen gegen den Staat» 15 Jahre Zwangsarbeit. Vermutlich wurde Warmbier schwer misshandelt. Er starb kurz nach seiner Freilassung.
«Ein ganz schlimmer Fall», sagt der Reiseunternehmer Bonner über das Schicksal Warmbiers, der bei einer anderen Agentur gebucht hatte, und fügt an: «Nordkorea ist ein sehr sicheres Land – solange man keine roten Linien überschreitet.» Bei der obligatorischen Vorabinformation bleut Koryo Tours den Teilnehmenden die roten Linien ein. Eine Zeitung mit einem Foto der Herrscherfamilie wegzuwerfen etwa, ist ein No-Go.
Obwohl die nächsten Reisen für Ende Dezember ausgeschrieben sind, wissen die beiden spezialisierten Touranbieter KTG und Koryo nicht, ob sie tatsächlich durchgeführt werden oder ob es zu Verzögerungen kommt. Verhandlungen mit Pjongjang laufen. Aber Gewissheit gibt es erst im letzten Moment. Auch das gehört zu den Gepflogenheiten des geheimniskrämerischen und paranoiden Regimes. Vorzug erhalten ohnehin Touristen aus Russland, dem neuen Busenfreund Nordkoreas: Im Februar 2024 flogen bereits über hundert Russen ins vermeintliche Arbeiterparadies.








