Sauberkeit und Hygiene sind wichtig, das haben wir seit der Corona-Pandemie verinnerlicht. Einige der eingesetzten Produkte bergen jedoch Gefahren. Ein Beitrag aus der Rubrik «Hauptsache, gesund».
Das Ereignis liegt schon einige Jahre zurück. Damals fand ich es beinahe lustig: ein Ausdruck typisch britischer Skurrilität. Ich hatte mich in einem Tea-Room in einem kleinen Ort irgendwo in der Mitte Englands gerade über einer Tasse heissem Tee niedergelassen.
Passend zum Earl Grey schaute mich auf dem begleitenden Teller ein Stück «sponge cake» (Biskuitkuchen) verlockend an. Meine Vorfreude wurde indes getrübt, als eine Bedienstete des Tea-Rooms den Nachbartisch mit einem Reinigungsmittel einsprühte und ihn dann säuberte.
Eng, wie die Tische beieinanderstanden, wehte der Nebel der Lösung zu mir, meinem Tee und dem Kuchenstück herüber. Meine Frage, ob das denn sein müsse, wurde lediglich mit einem kalten Blick beantwortet, der zu sagen schien: Bloody foreigner! (Verdammter Ausländer!)
Damit zurück ins Hier und Jetzt: Es gab wenig Gutes an der Covid 19-Pandemie, am ehesten vielleicht, dass die Grundregeln der Hygiene wieder zu Ehren gekommen sind. Hände wurden (und werden) gewaschen und oft auch noch desinfiziert. Gebrauchsgegenstände werden heute vielerorts häufiger und intensiver gereinigt als noch vor dem Frühling 2020.
Das aber führt in jüngster Zeit bei Wissenschaftern zu Besorgnis – und lässt bei mir die Erinnerung an die putzsüchtige Angestellte im Tea-Room in England weniger lustig erscheinen. Grund: In vielen Reinigungsmitteln, die wir inzwischen fast routinemässig und gelegentlich auch in hoher Dosierung benutzen, finden sich Substanzen, mit denen nach heutigem Kenntnisstand nicht zu spassen ist.
Ihr Kurzname ist einprägsam: Quats. Es steht für Quaternary Ammonium Compounds, zu Deutsch quartäre Ammoniumverbindungen. Forscher der Case Western Reserve University in Cleveland im amerikanischen Gliedstaat Ohio haben nachgewiesen, dass diese Stoffe, die in vielen Reinigungs-, Desinfektions- und Konservierungsmitteln enthalten sind, offenbar wichtige Zellen im Gehirn schädigen können: die Oligodendrozyten.
Diese Zellen sind für das Funktionieren des Hirns zentral. Denn sie umwickeln die Nervenzellen und sind für deren Schutz, ihre elektrische Isolation und ihre Energieversorgung unentbehrlich. Zu einem Verlust dieser Zellen kommt es etwa bei multipler Sklerose und manchen Formen von Autismus.
Der Verdacht, dass Quats zu diesen und anderen neurologischen Erkrankungen beitragen oder sie sogar verursachen können, hat dazu geführt, dass die Stoffe eingehender auf mögliche Gesundheitsrisiken untersucht werden. Bei Mäusen haben Forscher nach der Aufnahme von Quats mit der Nahrung den Abbau von Oligodendrozyten nachgewiesen. Und in New Yorker Tierheimen, in denen die Käfige häufig gesäubert werden, hat man bei den dort lebenden Hunden bis zu 18 Mal so hohe Quats-Konzentrationen in den Ausscheidungen nachgewiesen wie bei Hunden, die in einer Familie lebten. Reizungen der Atemwege werden schon seit längerem nach der Exposition mit Quats beschrieben.
Inzwischen sind Empfehlungen laut geworden, beim Kauf von Reinigungsmitteln und zahlreichen Produkten der Körperhygiene – darunter etwa die nassen Tüchlein zum Säubern von Säuglingen («baby wipes») – auf Produkte mit Quats zu verzichten. Wie zu erwarten war, liess der Widerspruch seitens der Herstellerverbände nicht lange auf sich warten. Quats und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit werden jetzt unter die sprichwörtliche Lupe gelegt. Bis die Sache entschieden ist, empfinde ich beim Besuch eines Tea-Rooms schon fast eine gewisse Erleichterung, wenn auf dem Tisch noch ein paar Krümel vom letzten Gast liegen.
In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.
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