Was man aus Deutschland kennt, hält in der Schweiz Einzug. Politiker gehen rechtlich gegen harmlose Social-Media-Beiträge vor.
Im Wahlkampf 2023 erlaubte sich der SVP-Nationalrat Andreas Glarner je nach Standpunkt einen kleinen Scherz oder eine Ungeheuerlichkeit. Er publizierte ein mit künstlicher Intelligenz erzeugtes Video, in dem die Grünen-Politikerin Sibel Arslan ihn zur Wahl empfiehlt und SVP-Parolen von sich gibt. In der Realität vertreten Arslan und Glarner gänzlich konträre Meinungen.
Die Aufregung war gross. Arslan schaltete die Justiz ein, Glarner musste das Video löschen. Bereits das Zivilverfahren kam ihn teuer zu stehen, er musste knapp 4000 Franken an Gerichts- und Anwaltskosten übernehmen. Nun droht ihm auch noch ein strafrechtlicher Prozess: Letzte Woche stimmte die zuständige Nationalratskommission für eine Aufhebung von Glarners Immunität, demnächst geht der Fall an die Ständeratskommission.
Auch Glarner klagt wegen eines Social-Media-Beitrags
Als Grund für ihren Entscheid gab die Nationalratskommission an, dass bei Glarners Deepfake-Video «erstmals der neu geschaffene Straftatbestand des Identitätsmissbrauchs zur Anwendung kommen» könnte. Von Deepfakes geht zweifellos eine ernstzunehmende Gefahr aus. Nämlich dann, wenn nicht mehr erkennbar ist, ob ein Film echt oder KI-generiert ist. Dadurch können Menschen einfach in Misskredit gebracht werden. Bloss: Glarners Filmchen ist so dilettantisch gemacht, dass auch für Laien sofort klar ist, dass es nicht echt sein kann. Zu unnatürlich wirken Arslans Bewegungen, zu monoton ist die Stimme. Zudem hat Glarner das Video deutlich mit der Aufschrift «Mit KI generiert» gekennzeichnet. Eine Verwechslung mit der Wirklichkeit ist ausgeschlossen.
Sollte dieses Video trotzdem einen «Identitätsmissbrauch» darstellen, so ist jede Karikatur, jede Politikerparodie auch einer.
Ist Sibel Arslan einfach dünnhäutig, dass sie wegen eines pubertären Social-Media-Beitrags die ganze juristische Maschinerie in Gang setzt? Vielleicht. Andreas Glarner ist in dieser Hinsicht allerdings kein bisschen besser. Der Meister im Austeilen führt seit Jahren einen Rechtsstreit gegen einen Twitterer, der ihn als «Gaga-Rechtsextremisten» bezeichnete. Der Fall liegt nun beim Bundesgericht.
Ausgerechnet ein Vertreter jener Partei, die sich als Bollwerk der Meinungsfreiheit sieht, scheut weder Aufwand noch Kosten, damit der Urheber eines harmlosen Tweets bestraft wird.
Habeck hat die Verfolgung automatisiert
Glarner und Arslan sind in guter Gesellschaft. Vor allem Vertreter der letzten deutschen Regierung zeigten grossen Eifer, Urheber von womöglich beleidigenden Social-Media-Posts vor Gericht zu ziehen. Am weitesten ging Wirtschaftsminister Robert Habeck, der die Verfolgung von vermeintlichen Missetätern quasi industrialisiert hat: Er beauftragte ein Startup-Unternehmen, automatisiert nach potenziell strafbaren Beiträgen zu suchen. Die Folge waren Hunderte von Strafanzeigen.
Ein Fall sorgte dabei tagelang für Empörung: Die Polizei führte bei einem Mann eine Hausdurchsuchung durch, nachdem dieser ein Meme (einen Bildwitz im Internet) mit einem Foto von Habeck verbreitet hatte. Unter dem Kopf des grünen Spitzenpolitikers war das Logo der Kosmetikfirma Schwarzkopf abgebildet, den Firmennamen zu «Schwachkopf» abgeändert. Später wurde der harte Einsatz damit begründet, dass der Beschuldigte mutmasslich noch weitere Internet-Vergehen begangen habe.
Memes wie jenes vom «Schwachkopf» kursieren zu Tausenden auf sozialen Netzwerken. Einige Politiker finden das nicht lustig – und fluten das ohnehin schon überlastete Justizsystem mit Bagatellfällen.
Für Habeck wurde dies zum Bumerang, kaum jemand zeigte Verständnis für das Vorgehen. Im Fall Arslan gegen Glarner sind immerhin nur Politiker involviert. Doch auch hier gilt: Es geht wohl weniger um Recht als um gekränkte Politiker-Egos.