Salome Surabischwili hält an ihrem Amt fest und führt die Protestbewegung an. Die politischen Fronten sind verhärteter denn je.
Es war angekündigt worden als ein Tag der Entscheidung: Würde Georgiens bisherige Präsidentin Salome Surabischwili im Präsidentenpalast ausharren, obwohl ihr vor zwei Wochen von einem Wahlgremium gewählter Nachfolger Micheil Kawelaschwili vereidigt und offiziell ins Amt eingesetzt werden sollte? Könnte es nach mehr als vier Wochen täglichen Protests in den Strassen der Hauptstadt Tbilissi und im ganzen Land zum entscheidenden Zusammenstoss zwischen der Regierung und ihrem Strippenzieher Bidsina Iwanischwili einerseits und der Opposition, den unzufriedenen Bürgern und der unbeugsamen Surabischwili anderseits kommen?
Am Sonntagabend steht nur eines fest: In Georgien erheben jetzt zwei Personen Anspruch auf das Amt des Präsidenten. Surabischwili, die sich auch nach dem Ende ihrer Amtszeit weiterhin für die legitime Präsidentin hält, und der frühere Fussballspieler Kawelaschwili, der im Parlament seinen Eid abgelegt hat und den Machtanspruch von Iwanischwilis Partei Georgischer Traum besiegeln soll.
Präsidentin ohne Palast
Mit Spannung war erwartet worden, ob Surabischwili den Präsidentenpalast räumen oder ob es gar zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung um das schmucke weisse Gebäude ein paar Strassen unterhalb des Parlaments kommen würde. Am Sonntagmorgen verkündete sie vor einigen hundert Demonstranten, sie werde den Palast verlassen, aber ihre Legitimität mitnehmen. Diese sei nicht an den Ort gebunden.
Sie und die Opposition stellen sich auf den Standpunkt, Kawelaschwilis Wahl sei unrechtmässig erfolgt, weil ihr die Parlamentswahlen vom Oktober zugrunde lägen. Deren Resultate werden von der Opposition, politischen Aktivisten und unzufriedenen Bürgern nicht akzeptiert. Auch im Abschlussbericht der Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird harsche Kritik an der Wahl geübt.
Hatte die Protestbewegung zunächst wenig Kraft zu entfalten vermocht, änderte sich das Ende November, als Ministerpräsident Irakli Kobachidse bekanntgab, die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 aufzuschieben und bis dann unabhängig von Brüssel auf einen möglichen EU-Beitritt vorzubereiten. Seither finden täglich Kundgebungen in Tbilissi und anderen Städten statt. Selbst der Versuch der Regierung, die Demonstranten durch ruchlose Gewalt, Razzien bei politischen Gegnern, Festnahmen und Strafverfahren einzuschüchtern, führte nicht zu einem Abbruch des Protests.
Regierung wankt nicht
Allerdings haben sich keine Führungsfiguren etabliert. Das wichtigste Aushängeschild der Regierungsgegner ist Surabischwili – die vor sechs Jahren noch als Kandidatin Iwanischwilis gewählt worden war. Am Sonntag bekräftigte sie die Forderungen der Opposition nach Neuwahlen unter unabhängiger Aufsicht. Ein Ultimatum, das sie der Regierung vor einer Woche gestellt hatte, lief aber ohne Folge aus. Nun will die auch ihres Personenschutzes beraubte Politikerin im In- und Ausland zur Konsolidierung einer gegen den Georgischen Traum gerichteten Front beitragen.
Oppositionspolitiker betonten die Vernunft der Entscheidung, den Palast zu verlassen. Diese pragmatische Sichtweise und der Verzicht auf unnötige Konfrontation mit den Sicherheitskräften können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nun eine neue Bewährungsprobe auf die unzufriedenen Bürger, die politische Opposition und auch auf die auswärtigen Partner Georgiens zukommen wird. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Regierung ihre Drohung doch noch wahr macht und einen Grund findet, Surabischwili festzunehmen.
Die Hoffnung der Opposition, der Staatsapparat werde nach und nach auseinanderfallen, erfüllte sich nicht. Die Regierung wirkte während der vergangenen Wochen entschlossen, ihren eingeschlagenen Kurs fortzuführen. Gespräche mit der Opposition lehnt sie ab. Den Vorwurf, Georgien von Europa zu entfremden, auf einen autoritären Abweg zu führen und stattdessen an Russland zu verkaufen, weist sie weit von sich. Das hatte sie schon im Wahlkampf getan: Mit Europa-Flagge im Parteilogo und der Aussage, nur mit ihr bleibe es friedlich im Land, hatte die Partei des Milliardärs Iwanischwili auch viele Georgier überzeugt, die ganz und gar nichts mit dem Kreml am Hut haben und sich nichts sehnlicher wünschen als ein Land, das in Europa integriert ist und demokratisch regiert wird.
Forderungen an den Westen
Die autoritären, antiwestlichen Tendenzen wurden aber gerade in den vergangenen Wochen überdeutlich. Inwieweit Moskau tatsächlich direkt seine Hände im Spiel hat, ist von aussen schwer zu beurteilen. Kobachidses Rhetorik – er spricht vom «liberalen Faschismus» der Opposition, der jetzt definitiv ausgerottet werden müsse – und seine Ausfälligkeiten gegenüber westlichen Politikern und Nichtregierungsorganisationen erinnert zuweilen an russische Funktionäre, aber auch an das grosse Vorbild des Georgischen Traums, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Im Westen übernehmen viele Politiker die Forderungen der georgischen Opposition und drängen ihre Regierungen dazu, Kawelaschwili die Anerkennung zu verweigern und Politiker des Georgischen Traums zu boykottieren. Zahlreiche Staaten haben ihre Unterstützung für Georgien und gemeinsame Projekte auf Eis gelegt. Die USA haben vor kurzem auch Wirtschaftssanktionen gegen Iwanischwili verhängt, die den Milliardär zum Paria in der internationalen Finanzwelt machen.