Die Titel des Aromen- und Riechstoffherstellers haben nach dem Höhenflug Anfang Jahr ohne fundamentale Erklärung deutlich verloren. Ausserdem: Die beste Schweizer Aktie im Jahr 2024, Temenos macht reinen Tisch und ein Wort zu DocMorris.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Welche Schweizer Aktie ausserhalb des Biotech-Segments hat 2024 bisher am besten abgeschlossen?
Zugegeben. Sie ist nicht an der Schweizer Börse kotiert.
Aber immerhin, es ist ein Schweizer Unternehmen mit Sitz in Zürich, na?
Es handelt sich um On. Der Börsenwert des Sportartikelherstellers hat sich in Franken gerechnet seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt.
Damit schneiden die Aktien genau gleich gut ab wie die von R&S Group. An der Schweizer Börse waren sonst nur die Titel der Biotech-Unternehmen Relief Therapeutics und Kuros stärker gefragt.
Grund für die starke Börsenperformance ist – erneut – eine beeindruckende operative Leistung: Für 2024 erwartet das On-Management neu ein währungsbereinigtes Wachstum von 32%, womit der Umsatz auf rund 2,3 Mrd. Fr. steigen dürfte. Die bereinigte Ebitda-Marge dürfte den oberen Rand der Zielspanne von 16 bis 16,5% erreichen, wie das Unternehmen gestern anlässlich der Präsentation starker Zahlen für das dritte Quartal kommunizierte. Schon vergangenes Jahr zeichnete sich ab, dass die Erfolgsgeschichte noch nicht zu Ende ist, wie mein Kollege Giorgio Müller aufzeigte.
Die Analystengemeinde zeigte sich an der Telefonkonferenz – gut amerikanisch – beeindruckt und gratulierte dem Management rund um die Co-CEO Martin Hoffmann und Marc Maurer. Die Investoren hatten noch etwas mehr erwartet, wie die Aktienreaktion am Dienstag zeigte.
Gut amerikanisch, so lässt sich On insgesamt beschreiben. Der US-Markt steuert rund zwei Drittel der Einnahmen bei. Dort kann das Unternehmen unter anderem dank der Kooperation mit US-Schauspielerin und Influencerin Zendaya und dem Sponsoring erfolgreicher Athleten wie US-Tennisspieler Ben Shelton auch beim jüngeren Publikum punkten. Und der Ausbau schreitet voran: On will in den USA weitere eigene Läden eröffnen und investiert intensiv in die Logistik, um stets lieferbereit zu sein.
Demgegenüber läuft das Schweizer Geschäft schleppend. Die Jungen tragen hierzulande lieber andere Sneakers wie eine Auswertung des Onlinehändlers Galaxus im Frühsommer zeigte: Besonders beliebt sind Modelle der US-Hersteller New Balance und Nike sowie jene der französischen Marke Veja. Doch wen interessiert das, wenn der Erfolg insgesamt stimmt? Gut schweizerisch reklamieren wir gerne einen Teil davon für uns – immerhin hängt im Ausland das Schweizer Fähnchen an den Schuhen. Damit ist On wohl das erfolgreichste Schweizer Jungunternehmen in der Geschichte. Keine fünfzehn Jahre nach der Gründung ist es an der Börse mit fast 15 Mrd. Fr. bewertet.
Das ist zwar noch bedeutend weniger als der US-Konzern Nike (101 Mrd. Fr.) und liegt auch noch klar hinter der deutschen Adidas (37 Mrd. Fr.). Aber punkto Kursentwicklung hat On die Konkurrenten längst abgehängt.
Damit wächst auch das Enttäuschungspotenzial. Auf dem gegenwärtigen Niveau darf nichts schiefgehen – wie die leichte Enttäuschung nach den sehr guten Quartalszahlen bereits andeutet. Und selbst wenn Ons Marketingmaschine auch 2025 auf hohem Niveau weiterläuft, den positiven Einfluss, den die Strahlkraft Olympischer Spiele auf die Marke hatte, kann ohne Grossanlass kaum wiederholt werden. Insbesondere, sollte die Inflation in den USA aufflackern und den Konsumenten die Laune verderben.
Givaudan gehören auf die Watchlist
Givaudan läuft es derzeit wie geschmiert. Zuletzt hat sie die Konkurrenz in Sachen Wachstum hinter sich gelassen, für das Gesamtjahr erwarten Analysten ein Plus von mehr als 10%, das meiste davon aufgrund von höheren Verkaufsvolumen. Die Profitabilität dürfte ein neues Rekordniveau erreichen. Damit werde 2024 für den Aromen- und Riechstoffhersteller zum Traumjahr werden, frohlocken Analysten. Auch vergangene Woche an der Swiss Equity Konferenz der Zürcher Kantonalbank hat das Management einen sehr guten Eindruck hinterlassen, wie ich höre.
Die Aktien befinden sich dagegen seit einigen Wochen im Sinkflug; der 25. September markierte den Wendepunkt nach einem deutlichen Anstieg seit Anfang Jahr. Am Mittwoch sorgte eine Schreckensmeldung aus den USA für zusätzlichen Abgabedruck. In einem Givaudan-Werk im Bundesstaat Kentucky sind bei einer Explosion zwei Arbeiter ums Leben gekommen.
Auch wenn der Vorfall sehr tragisch ist, auf die Zahlen für das laufende und das nächste Geschäftsjahr hat er kaum einen Einfluss. Die Analysten von Citi schätzen, dass etwa 0,3% des Umsatzes betroffen sein könnten, der Anteil am Gewinn ist noch kleiner.
Einen fundamentalen Grund für den Abwärtsdruck auf den Titel kann ich nicht erkennen. Klar, sie sind davor sehr gut gelaufen. Mit den im Juli präsentierten Halbjahreszahlen war schon sehr viel Positives eingepreist worden. 2025 dürfte es nach dem jüngsten Boom und angesichts der hohen Vergleichsbasis zu einer Wachstumsverlangsamung kommen. Am Investorentag Ende Oktober konnte das Management Bedenken in dieser Hinsicht nicht ausräumen. Das lastete angesichts der sehr hohen Bewertung wohl auf der Anlegerstimmung: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis basierend auf der Schätzung für das nächste Jahr hatte kurzzeitig 37 erreicht – selbst für Givaudan ein sehr hoher Wert.
Die Gewinnerwartungen für dieses und das nächste Jahr haben sich in den vergangenen Wochen kaum verändert. Die Wachstumstreiber sind nachhaltig und langfristig. Entsprechend halte ich den Abverkauf für eine Überreaktion, auch die Bewertung hat sich etwas relativiert. Der Aufschlag gegenüber den Konkurrenten Symrise und DSM-Firmenich ist jüngst kleiner geworden oder gar verschwunden.
Kurzfristig zeigt sich eine klare Abwärtstendenz in den Titeln, noch ist aber nicht sicher, ob daraus ein längerfristiger Trend wird. Am Mittwoch fiel der Kurs während des Handels unter das Tief vom April, der Verlust wurde aber schnell eingedämmt.
The Market ist von der Qualität der Titel und den langfristigen Aussichten überzeugt. Zuletzt waren sie aber für einen Neueinstieg zu weit gelaufen. Auf dem jetzigen Niveau nehme ich die Titel auf meine Watchlist und warte auf einen positiven Impuls.
Temenos: No More Drama
Temenos zählt zu den unbeliebtesten Titeln der Schweiz. Zahlreiche Investoren haben sich mit den Aktien des Genfer Herstellers von Bankensoftware in den vergangenen Jahren immer wieder die Finger verbrannt – und wollen nun nichts mehr davon wissen.
Das kann ich gut nachvollziehen. Dennoch vertrete ich weiterhin die bereits hier vorgestellte These, dass der Aktienkurs seinen Boden gefunden hat. Der gestrige, in London durchgeführte Investorentag von Temenos bestätigt meine Einschätzung.
Der seit Mai amtierende neue CEO, Jean-Pierre Brulard, macht seine Arbeit gut. Auch ich zwar skeptisch, als der Verwaltungsrat im Frühjahr einen knapp 65-jährigen Franzosen für das Top-Amt präsentierte, doch Brulard scheint genau der Richtige zu sein, um Temenos durch eine schwierige Phase zu führen. Er kommt bei Investoren gut an, und er hat sich – so höre ich – auch intern einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Das ist wichtig, denn Brulards Vorgänger, Andreas Andreades, war mit seiner abrasiven Art für die Unternehmenskultur enorm schädlich, und unter Investoren hatte Andreades ohnehin längst jedes Vertrauen verspielt.
Brulard hat am Investorentag die Ziele für die kommenden Jahre deutlich gesenkt. Die Börse hat trotzdem freundlich reagiert; der Aktienkurs stieg in einem insgesamt schwachen Umfeld zeitweise um mehr als 8%. Das zeigt: Für den Kapitalmarkt waren die alten Ziele längst Makulatur. Brulard konnte diesen Umstand für ein umfassendes «kitchen sinking» nutzen, um reinen Tisch zu machen.
Wenn er nun bis 2028 ein Umsatzwachstum von durchschnittlich 7% pro Jahr sowie im Geschäftsjahr 2028 einen freien Cashflow von 420 Mio. $ in Aussicht stellt, dürfte das eher tief gestapelt sein. Weshalb sollte der neue CEO auch unrealistische Ziele setzen, die er dann sogleich wieder enttäuscht?
Strategisch betrachtet stellt Brulard meiner Ansicht nach die richtigen Weichen: Er forciert das Wachstum in den USA und ist bereit, signifikant in die dortige Verkaufsorganisation zu investieren. Besonders im Feld der amerikanischen Regionalbanken bietet sich viel Potenzial für die Softwarelösungen von Temenos. In Europa wird auf grosse Banken gesetzt, wo die Genfer heute schon eine starke Position besitzen.
Heisst das nun, der Aktienkurs wird bald ein Feuerwerk abgeben? Nein. Dafür hat Temenos in der Vergangenheit zu viel Geschirr zerschlagen. Brulard und sein Team stehen nun vor der Aufgabe, das Vertrauen des Kapitalmarktes zu gewinnen. Das ist eine langwierige, harte Arbeit. Schritt für Schritt, ohne Drama. Quartal für Quartal müssen sie sich jetzt beweisen, indem sie liefern, was sie in Aussicht stellen.
Und dann haben die Aktien ebenfalls Schritt für Schritt eine höhere Bewertung verdient. Für mich sind sie auf einem Niveau um 60 Fr. ein Kauf.
Zum Schluss noch ein Wort zu DocMorris
Er ist überall. In ganz Deutschland streckt einem Günther Jauch – ja, der Mann mit den Millionen – sein Handy entgegen. Darauf zu sehen: Die App von Shop Apotheke. Redcare Pharmacy, die Konkurrentin von DocMorris, rührt kräftig die Werbetrommel für das elektronische Rezept, die hat ihre Marketingkampagne im Oktober auf hohem Niveau weitergeführt. Das spiegelt sich in den Zahlen, die Downloadzahlen der Handyapplikation sind zuletzt stark gestiegen. Gemäss Schätzungen von UBS macht das Angebot über diesen Kanal rund 90% des Gesamtgeschäfts mit dem E-Rezept aus.
Der schnelle Zuwachs ist auch dringend nötig, nach der jahrelangen Warterei muss für die Onlineapotheke endlich Umsatz her. Das Wachstum hängt massgeblich von der Onlinepenetration des rezeptpflichtigen Arzneimittelgeschäfts in Deutschland ab. Seit Anfang Mai haben Patientinnen im Nachbarland über die Shop-Apotheke-App einen vollständig digitalen Zugang zu verschreibungspflichtigen Medikamenten. Laut UBS-Analyst Sebastian Vogel dürfte Redcare Pharmacy im Oktober rund 0,66% des deutschen Markts mit rezeptpflichtigen Medikamenten kontrolliert haben. Das hört sich nach extrem wenig an, zuletzt ist ihr Anteil aber stetig und stark gewachsen.
Und DocMorris? Die Schweizer haben ihre App bereits im April lanciert und verzeichnen ebenfalls eine rege Nachfrage. Die Aktivität darauf ist laut der Erhebung von UBS aber eher mau. Und ganz so präsent wie Redcare mit Shop Apotheke ist das Unternehmen im öffentlichen Raum auf den ersten Blick nicht, wie ich höre. Aber irgendwo müssen die Werbeausgaben von zuletzt knapp 50 Mio. Fr. jährlich ja hinfliessen. Eine Partnerschaft ist mir dabei bereits aufgefallen: In der laufenden Fussballsaison sponsert die Versandapotheke den 1. FC Köln. Ein Traditionsverein, der aber eben seit Sommer 2024 nur noch in der 2. Liga spielt.
Im Moment passt das zu DocMorris.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Gabriella Hunter