Stefan Walter bringt viel internationale Erfahrung an die Spitze der Finanzmarktaufsicht. Doch nun wächst bei den beaufsichtigten Instituten die Kritik am deutschen Chefaufseher.
Die Szene spielte sich vor wenigen Monaten ab. Am Tisch sassen der neue Direktor der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), Vertreter von Finanzplatz und Behörden. Die Teilnehmer diskutierten über einen offenen Streitpunkt bei der Regulierung, als der Finma-Direktor Stefan Walter das Traktandum laut Beteiligten abrupt für beendet erklärte. Die anderen Sitzungsteilnehmer reagierten perplex. «Hat er das jetzt wirklich getan?», fragten sie sich.
Weniger als ein Jahr nach seinem Antritt als Direktor hat die «NZZ am Sonntag» mit mehr als einem halben Dutzend hochrangigen Finanzplatzvertretern, Politikern und Finma-Kennern gesprochen, die wiederholt mit dem Aufseher zu hatten. Fazit: Stefan Walter hat sich bereits in vielen Ecken der Schweizer Finanzbranche unbeliebt gemacht. «Schroff» und «rüde» sind zwei der Adjektive, die in diesem Kontext genannt werden. Wenn sich der Deutsche zu einem Thema eine Meinung gebildet habe, ziehe er eine Mauer hoch, die sich nicht mehr überwinden lasse, sagen mehrere Gesprächspartner.
«Ziel erreicht», dürften sich Stefan Walter und sein Umfeld sagen, gehört es doch für einen Chefaufseher zum Pflichtenheft, den beaufsichtigten Instituten auf die Füsse zu treten. Doch die Kritik am Finma-Chef geht über das Atmosphärische hinaus.
Maximales Eigenkapital für die UBS
Walter bringe aufgrund seiner jahrzehntelangen Tätigkeit in Frankfurt, New York und Basel zwar viel Kompetenz mit, sagen seine Kritiker. Gleichzeitig kenne er das politische System der Schweiz viel zu wenig. Er habe wenig Ahnung von Vermögensverwaltung und vertrete ein Aufsichtsverständnis, das sich schlecht mit der prinzipienbasierten Kultur der Eidgenossenschaft vertrage, die nicht alles bis ins kleinste Detail regelt. Das werde immer mehr zu einem Problem.
Als heikel taxiert wird, dass sich Walter in hoher Frequenz öffentlich mit spezifischen Forderungen zur Regulierung der UBS und des Finanzplatzes äussert, obwohl der Bundesrat noch nicht einmal seine Vernehmlassungsvorlagen vorgelegt hat. Walter spricht bei seinen Auftritten nicht in den grossen Linien, sondern er nennt konkrete Eckwerte und einzelne Gesetzesartikel, die in seinen Augen angepasst gehören. Viele haben den Eindruck: Da will einer selbst die Gesetze schreiben.
Bekanntestes Beispiel: Walter verlangt, dass die UBS beim Eigenkapital für ihr Stammhaus die Maximalvorschriften erfüllen muss. Und stellt damit – aus Sicht des Finanzplatzes – den Schweizer Hauptsitz der Grossbank zur Disposition.
Walter will auch die Rolle der Prüfgesellschaften wie EY und PwC bei der Aufsicht einschränken und verlangt auf diesem Weg auch deutlich mehr finanzielle Ressourcen. Im heutigen System übernehmen die privaten Wirtschaftsprüfer für die Finma einen erheblichen Teil der Aufsichtsarbeit.
Walter fordert für die Schweizer Aufsicht auch die gleich scharfen Sanktionsinstrumente, die er aus Frankfurt und New York kennt. Künftig will er früher und heftiger intervenieren. Diese Woche sagte er bei einem Auftritt vor dem Club der Zürcher Wirtschaftsjournalisten: «Die Vorschläge des Bundesrats im Too-big-to-fail-Bericht und der parlamentarischen Untersuchungskommission gehen in die richtige Richtung.» Es werde jedoch auf die Umsetzung ankommen, um eine wirklich effektive und effiziente Aufsicht für die Zukunft zu gewährleisten. Das ist neu in der Schweiz: Der Finma-Direktor erklärt der Exekutive, wie Regieren geht.
Wie stark soll sich die Finma einmischen?
Heikel sind die häufigen Maximalforderungen laut Kritikern, weil sie den Bundesrat faktisch vor vollendete Tatsachen stellten: Wenn die Regierung in ihren für die nächsten Monate erwarteten Vorlagen davon auch nur ein wenig abweiche, wirke sie in der öffentlichen Wahrnehmung schwach. Das Lobbying des Chefaufsehers kollidiere auch mit den Finma-eigenen Grundsätzen.
So betont die Behörde selbst auf ihrer Website, es gehöre «nicht zu den Aufgaben der Finma», sich den gesetzlichen Rahmen für ihre Aufsichtstätigkeit zu geben. «Der Erlass von Gesetzen liegt in der Verantwortung des Parlaments, Bundesratsverordnungen sind Sache des Bundesrats», heisst es weiter.
Stattdessen unterstütze die Behörde mit ihrem Fachwissen die Erarbeitung von Vorlagen auf Stufe Gesetz und Bundesratsverordnung. Im parlamentarischen Prozess stehe die Finma «begleitend zur Verfügung», bringe ihre Perspektive ein und weise «sachlich auf Auswirkungen von regulatorischen Vorhaben» hin.
Walter foutiert sich nicht um diese Grundsätze, aber er ritzt sie ziemlich klar. Und er dürfte sich damit im Recht sehen: als Kämpfer für das Gemeinwohl und den Steuerzahler gegenüber den Lobbygruppen der Banken. Sie sind aus Sicht von Finanzplatzkritikern mitschuldig daran, dass die Finma in den Jahren vor der CS-Krise vom Parlament und vom früheren Finanzminister Ueli Maurer in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt worden sei. Der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vom vergangenen Dezember hat dies in ihren Augen noch einmal deutlich gezeigt.
Stefan Walters Unterstützer betonen zudem, viele seiner Forderungen deckten sich mit dem, was der Bundesrat selbst in seinem Too-big-to-fail-Bericht gefordert habe. Bussenkompetenz, mehr Verantwortung für das Topmanagement, mehr Frühintervention, all das kenne man schon.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter bekräftigte vergangenen Sommer in einem Interview zudem, dass sie gerade punkto Eigenkapitalvorschriften eine strenge Linie verfolge, und bezeichnete einen zusätzlichen Eigenmittelbedarf von 15 bis 25 Milliarden Franken für die UBS als «plausibel». Nach der Finanzkrise 2008 hätten sich die Banken auch gegen eine strengere Regulierung gestellt, sagte Keller-Sutter – und liess sich gleichzeitig eine Hintertür offen: «Wir stehen am Anfang eines politischen Prozesses.»
Der Finma-Belegschaft gefällt Walters Stil
Bei der von der CS-Krise arg strapazierten Finma-Belegschaft kommt Stefan Walters offensive Art laut einem langjährigen Kenner nach all der Kritik gut an. Unter seiner Ägide hat die Finma jüngst Zwangsmassnahmen gegen die Privatbanken Julius Bär und Mirabaud sowie den Derivatespezialisten Leonteq bekanntgemacht. Eine scharfe Sanktion gegen die betroffenen Institute.
Als Nebenwirkung von Walters offensivem Auftritt steht die zeitweise sehr umstrittene Finma-Verwaltungsratspräsidentin Marlene Amstad weniger in der Schusslinie. Was laut Kritikern aber sogleich die Frage aufwirft, ob die Machtstellung Walters innerhalb der Finma nicht schon zu gross sei: Das laute gesetzgeberische Engagement des Finma-Chefs stelle das Funktionieren der Checks und Balances zwischen den beiden Gremien infrage.
Ausgerechnet auf Amstad ruhen nun die Hoffnungen gewisser Finanzplatzvertreter. Sie versuchen, ihre Anliegen direkt beim Aufsichtsgremium – vorbei am forschen Direktor – anzubringen: für den Fall, dass Stefan Walter wieder seine berüchtigte Mauer hochzieht.
Die Finma und das Eidgenössische Finanzdepartement verzichteten auf Anfrage der «NZZ am Sonntag» auf eine Stellungnahme.
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