Die Zürcher Ermittler können in einer grossangelegten Untersuchung einen zwielichtigen Geschäftsmann überführen.
Gerade sind Räubergeschichten schwer in Mode. Die einschlägigen Serien auf den Streamingdiensten handeln von Clanmitgliedern in Berlin, mafiösen Politikern in Rom oder jugendlichen Wüterichen in London.
Zürich ist zwar nicht Berlin. Auch das Bezirksgericht Uster verströmt kein Grossstadt-Flair. Und der Mann, der am Dienstag vor dem Richter erscheinen muss, sieht nicht gerade aus, als wäre er einem Genre-Streifen entlaufen. Im Karohemd und freundlich und zuvorkommend antwortet der Geschäftsmann dem Richter.
Die Art und Weise aber, wie Otto Maurer (Name geändert) Geschäfte machte, hätte dagegen wohl so manch ein Clan-Oberhaupt beeindruckt.
Zum Zeitpunkt, als sich diese Geschichte abspielt, ist der beschuldigte Zürcher 37 Jahre alt. Er ist ein vor Kraft strotzender Lebemann, der gerne mit Zigarre posiert, sein Geld mit Immobilien verdient und Konsumkredite vergibt. Selbstverständlich möchte er dafür einen gewissen Zins. Und er hat mehr als nur zweifelhafte Methoden, um die Leute zum bezahlen zu bewegen.
«Solche Praktiken sind eigentlich nicht üblich»
Es ist der 11. März 2018, 1 Uhr nachts: Ein bekannter Zürcher Unternehmer erhält ein Video auf seinem Smartphone. Der Absender: Ein Mann aus Bosnien. Im Video ist ein vermummter Mann zu sehen. Er steht in einem frisch ausgehobenen Grab und hat eine Pistole mit Schalldämpfer gezückt. Deren Lauf deutet auf ein Schild. Darauf steht der Name des Zürcher Unternehmers. «Im ersten Moment erschrickt man», sagt dieser zur NZZ.
Die Drahtzieher sind für den Unternehmer keine Unbekannten. Schliesslich sassen sie wenige Monate zuvor in seinem Büro in der Zürcher Agglomeration.
Das war anfangs Dezember 2017: Otto Maurer und zwei Muskelmänner gebärden sich bei besagtem Termin in einer Art und Weise, die dazu führt, dass der Unternehmer einer «Einigung» zustimmen wird. Der Staatsanwalt nennt es in der Anklageschrift «verbaler und physischer Druck».
Maurer macht sich aber nur ungern die Hände selber schmutzig. Er beauftragt mehrere Komplizen. Die beiden Muskelmänner gehören auch zu seinen Helfern.
Sie stammen teils aus dem Balkan, teils aus dem arabischen Raum. Manche von ihnen verdienen ihr Geld als Türsteher. «Durch sein blosses Erscheinen sein Gegenüber einschüchtern» – so beschreibt der Staatsanwalt die körperlichen Vorzüge eines dieser Männer.
Der Zürcher Unternehmer soll Maurer für «angebliche» Schulden 13 Millionen Franken bezahlen, wie es in der Anklageschrift steht. Dafür muss er aber noch mehr «in die Mangel» genommen werden. Die Handlanger bleiben also dran und wollen dem Unternehmer nach der Visite weiter «Angst machen». Die beiden Komplizen erhoffen sich davon einen Anteil von je einer halben Million Franken. «Kassieren» nennen sie es.
Nach ein paar Wochen und einem weiteren Besuch von Männern aus Maurers Bande ist es so weit. Der Unternehmer übergibt einem der Handlanger von Otto Maurer Bargeld. Es sind aber lediglich 50 000 Franken. Ein weiterer Monat vergeht, die Truppe wird langsam ungeduldig. Einer der Handlanger fabuliert erstmals von der Idee von dem Friedhofsvideo. Was die Männer mit einem «Lachen quittieren», wie es die Anklageschrift bildhaft beschreibt.
Abermals vergehen mehrere Wochen, nochmals überreicht der Unternehmer den Komplizen 16 000 Franken. Ob der bekannte Geschäftsmann noch weitere Zahlungen gemacht hat, ist nicht bekannt. «Ich habe gezahlt, weil es in eine Gesamtabrechnung eingeflossen ist. Maurer und ich hatten gegenseitig Ansprüche», begründet der Unternehmer sein Handeln. Doch Otto Maurer will mehr – mehr Geld.
Also sollen jetzt «Horror-Filme» gedreht werden. Einer der Komplizen reist dafür nach Bosnien, sein Bruder soll ihm bei Dreh helfen. Es entsteht das Drohvideo auf dem Friedhof. «Es hat mich nicht beeindruckt», sagt der Unternehmer rückblickend. Er habe in seiner Zeit als Jurist so einiges erlebt. Aber: «Solche Praktiken sind eigentlich nicht üblich im Zürcher Immobilienmarkt».
Nach dem Film hat der Unternehmer seine Zahlungen eingestellt. Später wird er selbst in die Offensive gehen.
Gebastelte Karton-Särge und ein Hüne aus Paris
Derweil machen Maurer und seine Männer im gleichen Stil weiter. Die Männer scheuen keinen Aufwand. Ein ehemaliger Geschäftspartner von Otto Maurer erhält ebenfalls eine Nachricht aus Bosnien. Diesmal ist es ein Briefumschlag. Darin befindet sich ein aus Karton gebastelter kleiner Sarg. Darauf stehen die Initialen eines ehemaligen Geschäftspartners. Und weitere Initialen, die sich wohl auf die Ehefrau des ehemaligen Geschäftspartners beziehen sollen.
Otto Maurer fordert von seinem ehemaligen Geschäftspartner 8 Millionen Franken. In einer E-Mail, welche die Ermittler abfangen können, schreibt er: «Mit aller Härte» müsse nun vorgegangen werden, «die Schonfrist» sei vorbei. Maurer befiehlt einem seiner Handlanger, den Wohnort des Opfers auszukundschaften. Sogar die Schule des Kindes seines ehemaligen Geschäftspartners wollen die Männer ausspähen.
Statt zu zahlen, informiert der betroffene Mann die Polizei über die makaberen Brief.
Ebenfalls kein Glück haben die Männer bei einem weiteren ehemaligen Geschäftspartner Maurers. Diesmal geht es um eine angebliche Schuld von 5 Millionen Franken. Eine Mail Maurers quittiert der ehemalige Kompagnon als «inakzeptabel» und «beschämend». Man kommuniziert nur noch über die Anwälte. Das billigt Maurer nicht, also schickt er seine Muskelmänner los.
Einer der Handlanger wartet draussen, einer betritt das Büro des Opfers in der Zürcher Innenstadt, wo er auf zwei Empfangsdamen trifft. Offenbar ist der Gesuchte nicht da. Also stellt sich der Ein-Meter-Neunzig-Mann als «Momo aus Paris» vor und deponiert die Geldforderung. Bis in ein paar Monaten müsse alles geregelt sein. Sonst passiere etwas Schlimmes.
Eine Viertelstunde später rufen die Mittelsmänner Maurer an. Dieser ist wenig erfreut. Warum sie die genaue Summe hätten erwähnen müssen, fragt er . Nun sei erkennbar, wer hinter dem Besuch stecke. Tatsächlich ist sein alter Geschäftsfreund wenig beeindruckt. Er zahlt jedenfalls nicht.
Mehr Erfolg hatte die Truppe bei einem Schuldner Maurers. Dieser war bei der Rückzahlung eines 850 000-Franken-Kredites in Rückstand geraten. Im Zürcher «James Joyce Pub» kommt es zum Showdown. Maurer ist da, begleitet von mehreren muskelbepackten Männern. , sogar Maurer ist anwesend, dazu seine Muskelmänner. Der eingeschüchterte Schuldner willigt schliesslich einer Zahlungsvereinbarung ein und überweist Maurer über 50 000 Franken.
Laientheater der Muskelmänner
Die geschilderten Praktiken sind gut belegt. In Uster verhandelt das Gericht den Fall im abgekürzten Verfahren. Mit der Anklageschrift des Staatsanwaltes sind alle Beteiligten einverstanden. Maurer selber sagt vor Gericht nur noch wenig. «Im Grundsatz ist das richtig», bestätigt er dem Richter jeweils. Aber der Beschuldigte, der heute im Vertrieb tätig ist, leidet sichtbar. Doch er hält sich an den Deal mit der Staatsanwaltschaft und gesteht die vorgeworfenen Delikte. Vorwürfe wie Erpressung sind beispielsweise nicht in das Verfahren eingeflossen.
So verurteilt ihn das das Gericht am Ende wegen mehrfacher Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten. Der Mann hat keine Vorstrafen und sass bereits 86 Tage in U-Haft. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird aufgeschoben. Schusswaffen, die bei ihm zu Hause gefunden wurden, werden eingezogen und verkauft. Der Erlös soll zur Deckung der Verfahrenskosten gebraucht werden. Auch seine Waffentragbewilligung verfällt.
Damit ist die unheimliche Geschichte allerdings noch nicht zu Ende. Sie hält eine Wendung bereit.
Der bekannte Zürcher Geschäftsmann, dem das Gruselvideo gegolten hat, geht in die Offensive. Diesmal soll der Spiess umgedreht werden, nun soll Maurer bezahlen. Der Geschäftsmann bestätigt der NZZ, dass deswegen gegen ihn ein Verfahren läuft.
Der Unternehmer jagt Maurer dessen Handlanger ab. Was nun folgt, gleicht einer Art Laientheater. Der Zürcher Unternehmer lässt sich vor seinem Büro zum Schein von einem der Helfer überfallen. Die ganze Szene wird von der Überwachungskamera beim Eingang aufgezeichnet.
Das Schauspiel soll belegen, dass Maurer seine Forderungen auch mit Gewalt Geltung verschafft. Das Video soll als Druckmittel gegen Maurer dienen. «Ich habe dann auch übertrieben. Es hat sich eine gewisse Eigendynamik entwickelt», sagt er Unternehmer.
Die Sache fliegt auf, es folgen Festnahmen und Verfahren. Der Unternehmer spielt das ganze im Nachhinein herunter: Im Vergleich sei das ja harmlos gewesen. «Maurer hat das doch als Scherz angeschaut», sagt der Unternehmer. Ihm sei aber bewusst, dass er deswegen wohl wegen versuchter Nötigung verurteilt werde.