Ein Scanner kartiert in nur einer Sekunde jedes Muttermal des Körpers. Noch ersetzt er aber den kritischen Blick des Arztes nicht. Sinnvoll ist die generelle Früherkennung von Hautkrebs vor allem für Menschen mit sehr heller Haut und besonders vielen Muttermalen.
Hände hoch, Beine auseinander, stillhalten – man kennt diese Körperhaltung von den Nacktscannern am Flughafen. Doch bei dem 3-D-Scanner, der seit kurzem in der Zürcher Clinic Utoquai steht, geht es nicht um Flugsicherheit, sondern um Sicherheit in puncto Hautkrebs. Diesen früher zu erkennen, ist das erklärte Ziel des Gerätes. Und mehr oder minder nackt machen muss man sich dafür ohnehin, denn das Gerät braucht freie Sicht auf so viel Haut wie möglich.
Der eigentliche Scan dauert nur eine Sekunde. Viermal flammt das Blitzlicht auf, in verschiedenen Farben und Polarisierungsmustern. Die 92 extrem hochauflösenden Digitalkameras des Geräts lichten gleichzeitig fast die gesamte Hautfläche des Patienten ab. Innert weniger Minuten baut die Software dann aus den 368 Einzelaufnahmen ein dreidimensionales Abbild des Körpers zusammen, das sich am Bildschirm beliebig drehen und wenden lässt.
An diesem 3-D-Avatar kann man in beeindruckender Schärfe in kleinste Details zoomen, auch versteckte Stellen hinter dem Ohr sind kein Problem. «Bereits in dieser Übersicht kommt die Qualität an die eines professionellen Dermatoskops heran, mit dem wir sonst einzelne Hautstellen untersuchen», sagt Ralph Braun, Professor für Dermatologie an der Uni Zürich und Leiter des Hautkrebszentrums der privaten Klinik. Mit dieser speziellen Lupe betrachtet er später auch die wenigen Hautpartien, die dem Scanner verborgen bleiben: Fusssohlen, Kopfhaut und – je nach Wünschen des Patienten – den Intimbereich.
Das Ergebnis kommt als Pizza
Die KI-gestützte Bilderkennung identifiziert jedes einzelne Muttermal, jede auffällige Hautveränderung. Alle Funde, die grösser sind als einen halben Millimeter, werden am Bildschirm zu einem grossen Kreis angeordnet, der sogenannten Pizza. Bei Menschen mit heller Haut kann sie mit mehreren tausend Flecken belegt sein.
Der Clou: Die künstliche Intelligenz bewertet für jedes der Fundstücke das Risiko, dass es sich dabei um einen Hautkrebs handeln könnte. «Ob dem so ist, entscheidet am Ende aber noch immer ein Mensch, in diesem Fall also ich. Aber die Technik unterstützt uns hier», sagt Braun. Die verdächtigen Stellen kann er sofort mit einem digitalen Dermatoskop untersuchen und sich bei der Bewertung von einer separaten KI helfen lassen.
Kehrt der Patient später für einen weiteren Scan zurück, erkennt die Software sofort, welche der Hautstellen sich in der Zwischenzeit verändert haben. Solche Veränderungen sind ein Indiz, dass sich hinter einem zunächst unscheinbaren Fleck Krebs verstecken könnte. Je nachdem, wie der Arzt auffällige Stellen einschätzt, stellt er sie entweder unter besondere Beobachtung oder entfernt sie sofort durch wenige Schnitte mit dem Skalpell.
Die Erkennung von Hautkrebs mithilfe von Scannern effizienter zu machen, klingt plausibel. Doch für wen ist die Untersuchung wirklich sinnvoll, für wen nicht? Und was ändern die Möglichkeiten eines Scanners daran? Wie bei allen Früherkennungsuntersuchungen sollte man auch bei der Hautkrebsvorsorge genau abwägen, welche Risiken sich hinter den offensichtlichen Vorteilen verstecken und wer davon wirklich profitieren kann.
Das Melanom hat einen entscheidenden Vorteil: Man kann es sehen
Etwas mehr als 3000 Menschen erkranken in der Schweiz jedes Jahr an einem Melanom, der besonders gefährlichen schwarzen Variante von Hautkrebs. Verursacht werden die gefährlichen Mutationen in den Krebszellen meist durch die UV-Strahlung der Sonne. Trotz besseren Behandlungsmöglichkeiten stirbt rund jeder zehnte Betroffene daran.
Gegenüber anderen Formen von Krebs hat das Melanom aber einen entscheidenden Vorteil: Man kann es mit blossem Auge sehen. Und im frühen Stadium lässt es sich fast immer folgenlos entfernen. Allerdings ähneln frühe Melanome oft einem harmlosen Muttermal oder einer der anderen gutartigen Veränderungen, mit denen die Haut der meisten Menschen übersät ist.
Verdachtsmomente für ein Melanom sind eine asymmetrische Form, unscharfe Ränder oder eine uneinheitliche Pigmentierung. Als verdächtig gelten Flecken auch, wenn sie grösser als 5 Millimeter sind oder sich über die umgebende Haut erheben. Ein besonderes Alarmzeichen ist Veränderung: Im Gegensatz zu normalen Leberflecken wachsen Melanome stetig und verändern dabei Form und Färbung.
Der Nutzen der Früherkennung ist nicht so klar, wie er scheint
Allerdings sind frühe Melanome sehr leicht mit einem harmlosen Muttermal zu verwechseln. Und damit beginnt die Crux der Hautkrebsfrüherkennung: Nur ungefähr jeder zehnte herausgeschnittene Verdachtsfall erweist sich bei der anschliessenden Analyse im Labor tatsächlich als bösartig, bei den übrigen war es falscher Alarm. Neben der unnötigen Verletzung durch den Hautschnitt führen diese falschen Verdachtsfälle bis zum erlösenden Laborbefund auch zu einer Menge Stress und Ängsten für die Betroffenen. Falsch positiv nennt man solche Diagnosen.
Aber auch falsch negative Diagnosen, wenn also Experten (oder Scanner) ein vorhandenes Melanom übersehen, sind nie ganz auszuschliessen. Sie wiegen Patienten in falscher Sicherheit.
Das sind vergleichsweise kleine Nachteile, könnte man sagen, wenn durch die Untersuchung Menschen vor dem Krebstod bewahrt werden. Doch genau das ist umstritten: In den meisten Industrieländern stieg die Zahl von Melanom-Diagnosen in den letzten Jahrzehnten stark an. Doch die Zahl von Todesfällen blieb weitgehend stabil.
Dies lässt sich als Erfolg verstärkter Bemühungen für die Früherkennung deuten. Kritiker eines allgemeinen Hautkrebs-Screenings vermuten darin aber schlicht eine Flut von sogenannten Überdiagnosen. Gemeint sind grundsätzlich korrekt diagnostizierte, aber wenig aggressive Melanome, die nie zu einer Bedrohung geworden wären, auch wenn man sie nicht gefunden hätte. Am Ende zählt wie bei jeder Früherkennung eine vernünftige Abwägung von potenziellem Nutzen und Risiko.
Für Risikopatienten ist der Nutzen unstrittig
Recht eindeutig zugunsten der Früherkennung fällt diese für Menschen mit erhöhtem Hautkrebsrisiko aus. Dazu gehören vor allem Personen mit sehr heller Haut und einer besonders hohen Zahl von Muttermalen. Aber auch wenn schwarzer Hautkrebs in der näheren Verwandtschaft vorkam, sollte man regelmässig zum Check-up gehen.
Aber wie steht es um die Durchschnittsbevölkerung mit geringerem Grundrisiko? Bis jetzt gibt es keine belastbaren Studienergebnisse dazu, dass eine allgemeine Hautkrebsfrüherkennung wirklich zu einer Reduzierung von Todesfällen führt.
2023 nahm sich die United States Preventive Services Task Force (USPSTF), ein Expertengremium, das in den USA Empfehlungen zu Präventionsmassnahmen entwickelt, des Themas an und begutachtete alle verfügbaren Studien. In einer im Fachblatt «Jama» publizierten Stellungnahme kommen die Fachleute zu dem Schluss, dass die vorliegende wissenschaftliche Evidenz nicht ausreiche, um eine Empfehlung für oder gegen ein allgemeines Hautkrebs-Screening auszusprechen.
Eine weitere mögliche Erklärung für die uneindeutigen Ergebnisse: Melanome entstehen zum grössten Teil an sonnenexponierten Stellen wie Armen, Händen oder Gesicht. Das trägt dazu bei, dass der Grossteil von den Betroffenen selbst entdeckt wird, die dann damit zum Arzt gehen. Dadurch sinkt jedoch der potenzielle Nutzen eines allgemeinen Screenings.
Mensch, kenne deine Flecken!
«Man sollte seine Haut stets selbst im Auge behalten. Allein schon, weil schnell wachsende Melanome schon in der Zeit zwischen zwei Untersuchungen gefährlich werden können», sagt Andrew Muinonen-Martin, Melanom-Spezialist am Universitätsspital im englischen Leeds. Er sieht in den neuen Scannern hervorragende Hilfsmittel, um neue oder sich verändernde Flecken bei Patienten mit erhöhtem Risiko schneller zu identifizieren.
Neben den grundlegenden Fragen zum Nutzen eines Hautkrebs-Screenings gilt es nun zu evaluieren, welchen zusätzlichen Nutzen eine vom Scanner gestützte Melanom-Erkennung wirklich hat. Eine der ersten Studien dieser Art mit mehreren hundert Hochrisikopatienten hat Lara Valeska Maul-Duwendag im Jahr 2020 am Universitätsspital Basel gestartet. «Ziel war es, die diagnostische Genauigkeit mithilfe eines 3-D-Scanners, eines 2-D-Scanners oder nur durch erfahrene Fachleute zu vergleichen», sagt die Dermatologin, die inzwischen die Abteilung für Hautkrebsvorsorge am Zürcher Unispital leitet.
Dabei erkannte der 3-D-Scanner Melanome mit ähnlicher Zuverlässigkeit wie ein menschlicher Experte. «Momentan haben die Geräte aber noch eine begrenzte Spezifität, das heisst, sie beurteilen noch zu oft harmlose Muttermale als Verdachtsfälle. Das kann im klinischen Alltag dazu führen, dass die Rate von unnötigen Biopsien weiter steigt», sagt Maul-Duwendag. Im Vergleich zu einem 2-D-Scanner erwies sich die dreidimensionale Variante aber als überlegen. Allerdings kostet das Gerät mit rund einer halben Million Franken auch ein Vielfaches.
Die Kosten sollte auch bedenken, wer jetzt damit liebäugelt, all seine Hautflecken in einem 3-D-Scan kartieren zu lassen: 750 Franken kostet ein Scan am Zürcher Utoquai, die Krankenkassen übernehmen davon bis jetzt in der Regel nur einen Drittel.
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