Im Restaurant «Drei Könige» in Luzern spielen keine gekrönten Häupter, aber Müschelchen aus der Reuss eine Rolle.
Die Heiligen Drei Könige drohen auf ihrer Reise ins «Woke»-Kreuzfeuer zu geraten, in Bayern etwa standen sie als Krippenfiguren schon unter Rassismusverdacht. Doch am 6. Januar soll das Trio weiterhin gefeiert werden, zum Beispiel mit einem Gelage im Luzerner Restaurant «Drei Könige» neben dem gleichnamigen Hotel.
Es gehört zu den Lokalen, die seit einigen Jahren die eher konventionelle Gastronomie der Leuchtenstadt mit frischen Konzepten beleben. Als Küchenchef wirkt der seit längerem in Luzern lebende Österreicher Thomas Bischof, und unsere Sympathien weckt nur schon die Lockerheit, als Öffnungszeit einfach «bis spät» hinzuschreiben.
Unser erster Anlauf für eine Reservation führte noch auf eine Warteliste, wir hofften vergeblich darauf, dass kurzfristig ein Tisch frei würde: Die Wirtsleute riefen uns spätnachmittags nochmals an, um uns bedauernd mitzuteilen, dass leider definitiv keine Buchung abgesagt worden sei. Die Freundlichkeit steigerte unsere Vorfreude auf einen Besuch noch; solche Details im Kundenkontakt machen oft den Unterschied.
Wir versuchen es also wieder – und diesmal klappt es: Wir sind bereit für La Grande Bouffe! So nennt das Team seine Interpretation von Völlerei in sechs Gängen (Fr. 92.–) und spielt damit natürlich auf den gleichnamigen Film an, der vor einem halben Jahrhundert für einige Schockwellen in den Kinosälen sorgte. Auf der Leinwand wird die Orgie politisch ziemlich inkorrekt und geht nicht nur für Marcello Mastroiannis Figur fatal aus. Doch wir sind fest entschlossen, unsere Ausschweifungen erstens ganz aufs Kulinarische zu beschränken und zweitens den Ort satt, aber unversehrt wieder zu verlassen.
Der Schauplatz ist ein Gastraum von festlicher Gemütlichkeit bis in die hinterste Ecke, in der ein Kronleuchter unter einer Holzdecke hängt. Man sitzt Schulter an Schulter, es kann wohl etwas laut werden im pulsierenden Bruchquartier, das noch vor sechzig Jahren als Viehmarkt diente. Die Küche setzt stark auf Produkte aus der Region; à la carte findet ein Coq au Vin vom Weidepoulet ebenso Platz wie eine vegetarische Vorspeise aus Randensorbet, Pumpernickel, fermentiertem Knoblauch und Kresse.
Aber wir wählen ja das Überraschungsmenu, das nur für den ganzen Tisch angeboten wird. Die Grande Bouffe beginnt mit reizenden Häppchen, etwa gebackenen Flower-Sprouts (einer Kreuzung aus Feder- und Rosenkohl), einem fernöstlich gewürzten Linsen-Chip oder Kartoffel-Kroketten auf Kabissalat. Dazu Sauerteigbrot vom «Eigenbrötler», der pionierhaften Manufaktur aus dem Luzernbiet, auf deren Dienste die Spitzengastronomie im halben Land zählt.
Es folgen weitere inspirierte Kompositionen, von marinierten Steinpilzen mit Pumpernickel-Bröseln an Knoblauchcrème bis zu schmalen Rindszungen-Streifen mit unaufdringlich eingesetzten Trüffeln und frisch angegossener Rinderbouillon. Im Herbst ist im Fricktal gejagtes Wild im Angebot, «nach Verfügbarkeit und Laune des Jägers», und so kommt als Hauptgang ein Hirschrücken. Dazu erweist sich der offen angebotene Reserva der Kellerei Remelluri (Fr. 9.50 / dl) als besonders harmonischer Rioja mit klarer Frucht, dezenten Tanninen und mineralischen Noten.
Durch den Abend begleitet uns unkompliziert ein aufmerksamer Service, nie aufdringlich und doch präsent. Einmal kommt ein Hüne an den Tisch, der sich als Souschef Lenny Hartmann entpuppt, stadtbekannt geworden als Muscheltaucher: Woche für Woche steigt er in die zurzeit eiskalte Reuss, um darin Grobgerippte Körbchenmuscheln zu sammeln. Diese invasive Art stammt nicht aus dem Morgenland wie die drei Weisen, sondern ist einst aus Südostasien eingeschleppt worden – und essbar.
Hartmanns Beute pflegt man in die Grande Bouffe einzubauen – in unserem Fall in den Fischgang: Zander, der neuerdings am Gotthard, dem Quellort der Reuss, im warmen Bergwasser beim Nordportal des Neat-Basistunnels gezüchtet wird, begleiten hausgemachtes Sauerkraut, eine Beurre blanc aus Krebsbutter – und ein Krönchen aus leicht fischig schmeckenden Reussmüschelchen. Wir würden jetzt nicht gleich morden für diese an Venusmuscheln erinnernde Spezialität, aber dass der Stadtfluss eine solche hergibt, ist eine schöne Pointe.
Zwei mit Portwein-Feige servierte Käsesorten, darunter der immer wieder betörende Brillat-Savarin, öffnen den Magen fürs Dessert: eine hervorragende Sanddorn-Joghurt-Glace mit Zimt-Crumble und Birnenchip. Wir werden den Heimweg quicklebendig antreten und auf beglückende Weise wohlgenährt.
Restaurant
Drei Könige
Klosterstrasse 10, 6003 Luzern.
Sonntags und montags geschlossen.
Telefon 041 250 76 76
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.