Einst schrieb Bruce Springsteen ein Klagelied über die frühere Stahlmetropole, Trump machte die Region zur Wiege seiner Bewegung. Reportage aus einer Stadt, die sich vom Handelsstreit mehr Wohlstand verspricht.
Der alte Kran und sein schwerer Haken hängen immer noch unter der Decke der Fabrikhalle – mitten im Zentrum von Youngstown im Gliedstaat Ohio. Doch wo Arbeiter früher Gasöfen oder Eisenbahnwagen für flüssiges Metall herstellten, braut das Kleinunternehmen Penguin City heute sein Bier und betreibt ein Veranstaltungslokal mit einer langen Bar.
Auch Kristina Mariotti ist an diesem Freitagabend für einen Drink mit ihren Freundinnen hierhergekommen. Sie sei Demokratin und habe vor vier Jahren für Joe Biden gestimmt, erzählt die zweifache Mutter. Doch im November legte sie ihre Stimme für Donald Trump ein. Sie war unzufrieden mit der lockeren Migrationspolitik der Demokraten: «Die Leute dürfen hierherkommen. Das ist das Land der Freien. Aber es geht nicht, Migranten in Massen hineinzulassen, ohne sie zu überprüfen.»
Für eine bessere Zukunft der Kinder
Mühe hat Mariotti auch mit der Identitätspolitik der Linken, wobei ihre eigene Tochter «total woke» sei. Wenn ein Mann eine Frau sein möchte, habe sie kein Problem damit. «Aber benutzt bitte weiterhin die Toiletten, die eurem ursprünglichen Geschlecht entsprechen.» Männer dürften schwul und Frauen lesbisch sein. «Aber sie müssen es nicht allen unter die Nase reiben.»
Die 53-Jährige vertraut aber vor allem auf Trumps wirtschaftlichen Verstand: «Man muss die Regierung wie ein Unternehmen führen. Und ich denke, er tut das für uns.» Trump handle mutig und sage, wie es wirklich sei: «Wie er es mit dem ukrainischen Präsidenten gemacht hat. Er beschönigt nichts.» Die Demokraten hingegen hätten unbesonnen Steuergelder ausgegeben: «Wir haben Milliarden von Dollar verloren, während in allen unseren Nachbarschaften grosse Armut herrscht.» Sie selbst bezahle immer mehr für ihre Krankenversicherung, und die Leistungen würden stets schlechter.
Mariotti hofft deshalb auf Trumps Zollerhöhungen: «Am Anfang wird es hart sein, weil sich alles ändern muss.» Die Amerikaner kauften die Hälfte ihrer Produkte in China ein. «Aber langfristig werden die Zölle helfen», daran glaube sie. Doch wie lange ist sie bereit, dafür zu leiden? «Vermutlich mein Leben lang, sofern meine Kinder und Enkelkinder davon profitieren.»
Als sie mit 19 Jahren studiert habe, sei sie selbständig gewesen, meint Mariotti. «Es war besser damals.» Sie habe gearbeitet und damit ihre Miete und ihr Auto bezahlt. «Meine Tochter kann das nicht. Sie muss zu Hause wohnen.»
Für ihre Familie dürften die Zölle auch kurzfristig ein Segen sein. Mariotti plant Hochzeiten. Und zusammen mit ihrem Mann Randy Pavlicko betreibt sie im südlichen Vorort Struthers ein Autogeschäft für gebrauchte Ersatzteile. Als die Lieferketten während der Corona-Pandemie zusammenbrachen, seien ihre Gewinne gestiegen. Nun rechne sie mit einem ähnlichen Effekt.
Der Niedergang begann am «schwarzen Montag»
Die Fahrt zu Mariottis Automarkt führt am nächsten Tag vom Stadtzentrum auf der Wilson Avenue in Richtung Süden. An dem Weg entlang des Mahoning-Flusses lag früher das Campbell-Stahlwerk. Doch davon sind nur noch ein paar alte Fabrikhallen übrig geblieben. An der Strasse ziehen ein Schrottplatz, die Baumaschinen einer Abrissfirma und eine byzantinisch-katholische Kirche mit zwei schmucken, aber etwas verwitterten Türmen vorbei – eines von vielen Gotteshäusern der unterschiedlichsten Einwanderungsgemeinschaften in der Stadt.
Bruce Springsteen beschrieb in seinem Lied «Youngstown» den Niedergang: «Diese Fabriken haben die Panzer und Bomben gebaut, die unserem Land die Kriege gewannen. Wir schickten unsere Söhne nach Korea und Vietnam. Jetzt fragen wir uns, für was sie gestorben sind.»
Auf der leichten Anhöhe über dem Flusstal liegen Wohnquartiere mit kleinen, meist veralteten und stellenweise maroden Einfamilienhäusern. In einer Strasse mit gepflegten, wenn auch in die Jahre gekommenen Häusern liegt die Autogarage, umgeben von rund 200 Gebrauchtwagen. Die Armut sei hier nicht weit, meint Mariotti mit einer Handbewegung. «Gehen Sie nicht dort drüben die Strasse runter. Diesen Teil nennen wir das Ghetto.» Drogenhandel und anderes Unwesen würden dort getrieben.
Pavlicko ist schon länger Republikaner und Trump-Anhänger. «Endlich ist sie erwacht», sagt der 63-Jährige scherzend über seine Frau. In der Highschool sei er auch noch Demokrat gewesen. Aber dann schlossen die Fabriken. Am «schwarzen Montag», dem 19. September 1977, entliess das Campbell-Werk 5000 Arbeiter. Das war nur der Beginn. In den nächsten Jahren verschwanden weitere Stahlwerke und mit ihnen rund 50 000 Stellen. «Unser Vorort hatte eine Bevölkerung von 30 000 Einwohnern, heute sind es noch 9000», meint Pavlicko. Die Stadt Youngstown schrumpfte von 170 000 auf 60 000 Einwohner.
Mit Trumps Zöllen könnten die Fabriken entlang des Flusses in Youngstown wieder zurückkehren, hofft Pavlicko. «Dort, wo sie abgerissen wurden.» Ein Aufschwung sei bereits zu spüren: «Die Preise für Altmetall sind auf 80 Dollar pro Tonne gestiegen. Das ist ein gutes Zeichen.» In Youngstown stelle eine Fabrik die Röhren für Erdölbohrungen aus Altmetall her. Und unter Trump würde nun wieder verstärkt nach dem schwarzen Gold gebohrt. «Sie erhalten jede Menge Aufträge.»
Eine Schwäche für schräge Helden
Dann fragt Pavlicko unvermittelt: «Wollen Sie etwas Interessantes schreiben? Haben Sie von Jim Traficant gehört?» Traficant vertrat die Region von 1984 bis 2002 als Abgeordneter im Kongress in Washington. Er war Demokrat, weil damals in dieser Stahlmetropole fast alle die Partei der Arbeiter wählten. «Aber er war wie Trump. Er nahm kein Blatt vor den Mund», erzählt Pavlicko. Die Parteiführung habe ihn deshalb nicht gemocht.
Traficant war berüchtigt für seine Brandreden im Kongress und seine schräge Frisur. «Schneide ich meine Haare mit der Motorsense? Ich gebe es zu», sagte er einst. Lange vor Trump wetterte er gegen das Establishment: «Ich liebe Amerika, aber ich hasse den Staat.» Er schimpfte die Steuerbehörde «einen Haufen von politischen Prostituierten». Und er beklagte den unfairen Handel mit China: «Sie zocken uns jedes Jahr um 60 Milliarden Dollar ab. Über eine Million Jobs gehen jährlich verloren. Sind wir dumm?»
Wie Trump nahm es auch Traficant mit dem Gesetz nicht immer genau. Zu sieben Jahren Gefängnis wurde er verurteilt und aus dem Repräsentantenhaus geworfen. Und trotzdem ist der Sohn eines Lastwagenfahrers bis heute ein Volksheld in seiner Heimat. Pavlicko meint: «Sie haben ihn mit etwas Korruptem erwischt. Aber er hat mehr Gutes als Schlechtes getan.»
Heute ist Trump in den weissen Vororten von Youngstown der Held manch eines Arbeiters. Im gepflegten Vorgarten des Elektrikers David Vasvari stecken auch fünf Monate nach der Wahl noch immer zwei Trump-Schilder. Eines zeigt den Präsidenten kurz nach dem Attentat im vergangenen Sommer mit Blut im Gesicht und hochgereckter Faust. Die Demokraten sehen in Trump einen egoistischen Milliardär, der die kleinen Leute abzockt. Aber Vasvari bewundert ihn dafür, dass er auch nach Misserfolgen immer wieder aufgestanden ist: «Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Stelle von einem armen Mann bekommen. Wir brauchen diese Reichen, oder niemand von uns wird Arbeit haben.»
Selbst umstrittene Figuren in Trumps Regierung wie Pete Hegseth gefallen Vasvari. Den Verteidigungsminister plagten Alkoholprobleme. Er betrog seine Ehefrauen, ist zwei Mal geschieden, und es gibt Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn. Aber Vasvari kann sich mit ihm identifizieren: «Wir sind alle Menschen. Ich habe fast jeden Fehler wie er gemacht.» Für ihn sei Hegseth «der neue Captain America» – ein Comicheld, der körperlich zu schwach war für den Armeedienst, aber dank einem geheimen Serum zum Super-Soldaten wird.
Vasvari steht fast jeden Morgen um drei Uhr in der Früh auf, um Stromleitungen an Telefonmasten zu reparieren. Er führe aber auch oft Inspektionen in Fabriken, Minen oder Werften durch. Die Arbeiter dort seien euphorisch und seien überzeugt davon, dass es nun in die richtige Richtung gehe. Auch wenn ein paar schwierige Monate bevorstünden: «Das wird das industrielle Zeitalter 2.0. Und er (Trump) zieht es wirklich durch.»
Die Zölle – «eine längst überfällige Sache»
Nur zwei Fahrminuten von Vasvaris Haus entfernt führt Brian Acierno in Struthers einen kleinen Laden. Die Geschäfte des Finanzwissenschafters laufen gut: «Wir verkaufen Tabak, Alkohol und Lotterien. Die sind in guten und in schlechten Zeiten gefragt», erklärt der 34-Jährige. Aber auch in seinen Augen sind Trumps Zölle besonders in der Autoindustrie «eine gute, längst überfällige Sache».
General Motors habe hier im nahe gelegenen Lordstown bis 2019 eine Fabrik mit zeitweise bis zu 10 000 Mitarbeitern betrieben. «Sie musste wegen schlechter Freihandelsabkommen wie des Nafta schliessen.» Einige seiner Freunde hätten nach Tennessee oder Michigan umziehen müssen, um weiter für GM arbeiten zu können. «Für einige Jahre liessen sie ihre Familien hier zurück und besuchten sie nur alle paar Wochenenden.»
Dabei hatte Acierno 2008 und 2012 den Demokraten Barack Obama gewählt. Auch seine Eltern seien Demokraten gewesen. Aber Trump habe 2016 seine Familie und ihn zu republikanischen Wählern gemacht. «Das erste Mal war es jedoch vor allem eine Stimme gegen Hillary Clinton.» Sie wirkte für ihn nicht ehrlich: «Sie wetterte gegen Millionäre und Milliardäre, während sie sich von Goldman Sachs für eine Rede 350 000 Dollar bezahlen liess.» Zu viele Leute in den USA gingen als Durchschnittsbürger in die Politik und würden zu Multimillionären.
Auch die Rentner, die sich in Aciernos Laden jeden Morgen treffen, um über Sport zu diskutieren und Lotto zu spielen, sympathisieren vor allem mit Trump. «Die Demokraten sind schwach», meint Baba. «Sie verteilen viel Geld an Leute, die nicht arbeiten.» Früher sei dies anders gewesen, als in Youngstown mächtige Gewerkschaften existiert hätten. «Die Demokraten haben sich von ihnen verabschiedet», erklärt Charles. Sie seien mehr an Schwulen interessiert, ergänzt ein Mann mit Brille, der selbst seinen Vornamen nicht nennen will.
Ganz in allem sind sich die älteren Herren jedoch nicht einig. Baba stimmte für Trump. Den Tech-Milliardär und Trump-Berater Elon Musk sieht er aber kritisch. Der von ihm rasant vorangetriebene Staatsabbau gefällt ihm nicht. «Musk ist sicher klug. Aber sie versuchen zu viel zu schnell zu machen.» Zur Unterstützung der Ukraine hat Baba keine klare Meinung. Charles aber schon: «Das Land ist einer der grössten Geldwäscher auf dem Planeten.» Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sei «ein Gauner», fügt der Mann mit der Brille hinzu. Er würde die Ukraine den Russen überlassen.
In diesem Moment schaltet sich Rick in die Diskussion ein, der bisher mithilfe einer Sauerstoffflasche ruhig atmete. «Ich bin ein Demokrat», sagt er. Trump sei ein Lügner und habe als Geschäftsmann die Leben vieler Menschen ruiniert, meint der ehemalige Berufsmilitär. Trump tue alles nur für sich und seine Familie. «Er ist ein Diktator.» Dem kann auch Baba zustimmen. Auf gewisse Weise sei der Präsident ein Autokrat: «Wenn es nicht nach seinem Willen geht, versucht er andere einzuschüchtern.»
Politik mit den leeren Versprechen der Demokraten
Die Unterstützung für Trump ist intakt im Nordosten von Ohio. Aber sie scheint auch nicht unbegrenzt zu sein. Im Stadtzentrum, an der wenig belebten Federal Street, sind die Läden herausgeputzt, aber es fehlt an Kunden. Lokale Geschäftsinhaber beklagen sich über viele leere Gebäude und das Fehlen eines Supermarkts in der Innenstadt. Einen Spaziergang entfernt liegt der Campus der Youngstown State University. Der Präsident könnte seinen Wählern zu viel versprochen haben, meint der Politikprofessor Paul Sracic: «Diese Zölle sind politisch sehr gefährlich», sagt er in einem Gespräch an der Universität.
Sracic stammt aus New Jersey, aber unterrichtet seit Jahrzehnten in Ohio. Er hat den politischen Wandel hautnah verfolgt. Den Nährboden dafür hätten die Demokraten selbst gelegt, sagt er. «Sie erzählten den Menschen alle vier Jahre, dass die internationalen Handelsabkommen ihre Arbeitsplätze zerstörten. Es brauche einfach bessere Deals, damit die Jobs zurückkämen.» Obama habe 2008 versprochen, das nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) neu zu verhandeln. «Aber einmal gewählt, unternahm er nichts.»
Dann sei Trump auf die Bühne getreten und habe den Wählern gesagt: «Die Demokraten haben recht. Der Handel zerstört eure Arbeitsplätze. Sie sind einfach zu dumm, um gute Abkommen auszuhandeln. Ich bin ein Dealmaker.» Die Botschaft funktionierte: Noch 2012 gewann Obama im Mahoning County 63 Prozent der Stimmen. Im vergangenen November erhielt Trump im gleichen Bezirk 54 Prozent der Stimmen.
Doch auch Trump sagte den Wählern nicht die ganze Wahrheit. Die Handelsverträge allein führten nicht in die Krise: «Die Gewerkschaften handelten hohe Löhne aus», erzählt Sracic. «Viele Arbeiter besassen Sommerhäuser am Eriesee.» Hinzu kam der technologische Fortschritt. In Europa und Asien seien die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Stahlwerke neu aufgebaut worden. Durch den Ölpreisanstieg in den siebziger Jahren hätten die alten und ineffizienten Fabriken in Youngstown mit der Konkurrenz nicht mehr mithalten können.
Nicht die ganze Produktion sei derweil ins Ausland abgewandert. «Im Süden der USA wurden neue Fabriken gebaut, wo die Arbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert sind.» Die GM-Fabrik in Lordstown habe bis zu ihrer Schliessung kontinuierlich Stellen abgebaut, weil es nicht mehr so viele Arbeiter gebraucht habe, um Autos zu produzieren. Trumps Zölle seien deshalb «vermutlich ein wirtschaftliches Desaster», glaubt Sracic. Und selbst wenn die Autoproduktion wieder zurückkehrte, wäre dies teuer, könnte die Inflation anheizen und würde kaum so viele Arbeitsplätze schaffen wie früher. «Aber Trump wäre hier dann trotzdem der König.»
Der Präsident rüttle immer wieder am Status quo, meint Sracic. Und das gefalle den Menschen in Youngstown. Sie glaubten, schlechte Karten erhalten zu haben. «Sie wollen, dass sie neu gemischt werden.»