Neuer Sportchef statt neuer Coach: Mit Alain Sutter wollen die GC-Besitzer aus Los Angeles Kompetenz und Schweizer Expertise in den Klub holen. Der alte Trainer Tomas Oral soll den Abstieg verhindern. Ein schwieriges Vorhaben.
Auch Tomas Oral hat ein Bild von ihm. Der GC-Trainer lächelt, als er sagt: «Ich war in meiner Jugend Bayern-Fan. Der Stürmer mit den langen, blonden Haaren . . . Selbstverständlich erinnere ich mich an ihn.» Alain Sutter war über die Schweiz hinaus ein Spieler, der in den 1990er Jahren mehr war als ein flinker Flügelstürmer. Er war «der blonde Engel», mit langen Haaren konnte man damals noch anecken.
Sutter schrieb sich 1994 mit seinem WM-Tor beim 4:1 gegen Rumänien ins Sportgedächtnis. Er zeigte, dass auch Fussballer über das Rasenviereck hinausdenken können, als er 1995 die Schweizer vor einem Länderspiel dazu bewog, mit dem Transparent «Stop it Chirac!» gegen Frankreichs Atomwaffen-Tests zu protestieren. Sutter war der erste Schweizer Fussball-Pop-Star, der damals wie Éric Cantona oder David Beckham seine eigenen Wege ging. Jetzt ist Sutter mit 57 Jahren dorthin zurück, wo alles anfing. Bei den Grasshoppers Zürich als Sportchef.
«Alles reinwerfen» ist der Plan des GC-Trainers
Es war keine Überraschung, als der abstiegsbedrohte Rekordmeister am Montag eine Mutation in der sportlichen Leitung verkündete. Zwei Mal hintereinander hatte die Mannschaft gegen Winterthur verloren und entblösste dabei Zerfallserscheinungen. Die Usanzen der Branche sehen eigentlich vor, dass angesichts der drohenden Relegation der Trainer gewechselt wird. Die Überraschung der Medienmitteilung war, dass Alain Sutter den Sportchef Stephan Schwarz ersetzt, der Trainer Oral aber bleibt. Es war ein veritabler Coup.
So wäre es am Donnerstagnachmittag eigentlich an Sutter gewesen, mit einem Vertreter der GC-Besitzer aus Los Angeles seine Pläne und Motive darzulegen. Doch Sutter schweigt, er wolle sich «zuerst ein Bild der Situation verschaffen», heisst es. Also spricht am Donnerstag Oral, er ist bester Laune, berichtet von seinen «ersten, guten Begegnungen und Gesprächen» mit seinem neuen Vorgesetzten. Es folgt eine längliche Entschuldigung, dass er «wegen eines Missverständnisses» am Samstag nach der schallenden Ohrfeige in Winterthur ohne ein klärendes Wort in die deutsche Heimat gereist ist, zur Hochzeit seiner Schwester.
Zur Leistung seiner Mannschaft bei der 0:2-Niederlage fällt Oral nach fünf Tagen ein, dass der VAR schuld war, dass der Schiedsrichter einen bereits gepfiffenen Penalty zurückgenommen hatte. Seine Folgerung: «Ich glaube an die Truppe, wir haben sie stabilisiert.» Im Training sieht er nur willige, einsatzfreudige Spieler. Die Botschaft für das Derby: «Wir wollen drei Punkte.» Sein Plan: «Alles reinwerfen.» Manchmal ist das Trainerleben gar nicht so kompliziert, wenn man ein paar Floskeln parat hat und sich den Humor nicht nehmen lässt bei der Frage, ob man auf gepackten Koffern sitze.
Immerhin war Oral überrascht, als ihn am Sonntag die Nachricht erreichte, dass er mit Sutter einen neuen Sportchef bekomme. Ob er damit gerechnet habe, gar nicht mehr nach Zürich zurückzufahren? «Solche Gedanken beschäftigen mich nicht», sagt er. Ebenso wenig beschäftigen ihn die Gründe für die Entlassung von Schwarz. «Ich will sie gar nicht kennen», sagt er. Vielleicht könnten die Gründe auch mit seiner Trainerarbeit zu tun haben.
Immerhin findet es Oral ungewöhnlich, dass die GC-Führung «in unserer Situation den Sportchef wechselt». Und er findet auch, dass «Sutter Mut bewiesen» habe, «gerade jetzt zu übernehmen». Zu diesem Mut gehört auch, Oral zu entlassen, sollte Sutter den Eindruck bekommen, dass die Spieler einen letzten Stromstoss brauchen.
Denn auch für Sutters Arbeit bedeutet es einen Unterschied, ob GC in der nächsten Saison in der Super League bleibt oder sich in der Challenge League dem Druck aussetzt, wieder aufsteigen zu müssen. Gegen 20 Spieler haben auslaufende Verträge. Frisches Personal zu rekrutieren für Staff und Mannschaft, steht je nach Ausgang der Meisterschaft unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen.
Ist Sutter mehr als ein weiterer GC-Rückkehrer?
Sutter hat «einen langfristigen Vertrag unterschrieben», über wie lange, ist nicht bekannt. Was er bei GC bewirken will, lässt er in der Medienmitteilung anklingen. «Dieser Club hat mir viel gegeben und ich werde alles daransetzen, dass er wieder erfolgreich wird.» Erfolgreich? Das kann für den Rekordmeister nur bedeuten, wieder an die alten Zeiten mit Titeln und Trophäen anzuknüpfen.
Das Sutter-Zitat erinnert daran, dass in den letzten Jahren in Niederhasli immer wieder Leute auftauchten, die Ähnliches von sich gaben. Der vorletzte Trainer Marco Schällibaum war einer von ihnen, drei Mal wurde er als Spieler Meister. Sein Vorgänger Bruno Berner startete wie Schällibaum die Spielerlaufbahn bei GC. Mit Ciriaco Sforza, Murat Yakin oder Alain Geiger versuchten sich ehemalige GC-Spieler als Trainer, sie alle wollten der glorreichen GC-Vergangenheit gerecht werden. Gleiches gilt auch für Funktionäre und Spieler. Sie alle scheiterten, aus unterschiedlichen Gründen, aber sie scheiterten. Warum soll es mit Sutter anders werden?
Vor 14 Jahren lernte Sutter schon einmal, dass GC nichts mehr zu tun hat mit dem Klub, bei dem er im alten Hardturm mit 17 Jahren als Fussball-Lehrling angefangen hatte. Unter dem kurzzeitigen Präsidenten Roland Leutwiler war Sutter eine Art Berater. Was seine Aufgabe war, wurde auch ihm selbst wahrscheinlich nicht ganz klar. Mit der Entlassung des damaligen Trainers Ciriaco Sforza, mit dem Sutter einst bei GC und im Nationalteam gespielt hatte, verschwand er fast unbemerkt nach einem Jahr wieder.
Expertise aus St. Galler Zeiten
Er tauchte wieder auf als TV-Kommentator, schrieb zwei Bücher mit der Botschaft, dass beim menschlichen Tun nicht das Ergebnis, sondern die Freude im Zentrum stehen müsse. Mit seiner TV-Bekanntschaft Matthias Hüppi startete er 2018 als Sportchef das Projekt FC St. Gallen und bewies bis zu seiner Entlassung vor anderthalb Jahren die Fähigkeit, mit feinem Gespür und konsequentem Handeln eine Mannschaft so zusammenzustellen und zu führen, dass aus dem chaotischen Verein ein erfolgreicher Klub wird.
Sutter besitzt aus St. Galler Zeiten zweifelsfrei Expertise, gerade im Schweizer Fussball. Die GC-Eigentümer aus Los Angeles sind offenbar zur Einsicht gelangt, dass sie nötig ist für GC. Eine späte Einsicht. Aber vielleicht nicht zu spät, um den Abstieg zu verhindern.