Ein wieder in die Höhe schiessender Kakaopreis bringt Barry Callebaut erneut in Bedrängnis – und strapaziert die Geduld der Anleger. Der Turnaround Case des weltgrössten Schokoladenproduzenten ist aber weiter intakt. Die Aktien sind eine (langfristige) Wette wert.
Als Barry Callebaut vor wenigen Wochen ihr Jahresergebnis vorgestellt hat, konnten Anlegerinnen und Anleger, die Anfang April aufgrund der Empfehlung von The Market in die Aktien eingestiegen waren, noch zufrieden sein. Schliesslich haben sich die Titel in dieser Periode rund 25% verteuert. Auch das Zahlenset für das Geschäftsjahr 2023/24, das der weltgrösste Schokoladenproduzent am 6. November publiziert hat, stiess grundsätzlich auf Wohlwollen. An diesem Tag stieg der Aktienkurs um rund 1% knapp auf ein Zwölfmonatehoch.
Doch seither geht es mit Barry bergab. Ohne nennenswerte Nachrichten vonseiten des Konzerns haben die Valoren in den vergangenen Wochen rund 15% verloren – letzte Woche wurde erstmals seit April fast die Marke von 1300 Fr. unterschritten.
Was ist passiert?
So vielschichtig der Turnaround Case von Barry ist, so einfach dürfte die Erklärung für den jüngsten Kursrücksetzer sein: Der Kakaopreis zieht (erneut) stark an. Zur Erinnerung: Bereits im Frühjahr explodierte der Preis für Kakaobohnen wegen der schlechten Ernte in wichtigen Anbauländern wie Côte d’Ivoire und Ghana – gemessen am jeweils aktiven Terminkontrakt – innerhalb weniger Monate von etwas über 4000 $ auf fast 12ʼ000 $ je Tonne.
Kakaopreis erhöht das Nettoumlaufvermögen
Die Aussicht auf eine bessere Ernte in der neuen Saison hatte den Preis anschliessend schrittweise wieder unter 7000 $ gedrückt. Die Kakaobauern hätten bis zuletzt mit einer guten Ernte von Oktober bis Dezember 2024 gerechnet, sagte Mark Bowman, Analyst bei ADM Investor Services, gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. «Übermässige Regenfälle stellen dies jedoch infrage.» Allfällige Schäden an den Kakaoschoten dürften erst Ende November oder sogar erst im Dezember sichtbar werden.
Dass der Aktienkurs von Barry derart sensibel auf die Entwicklung des Kakaopreises reagiert, hat mit dem negativen Effekt auf das Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) zu tun. «Zwischen dem Kauf der Kakaobohnen und dem Verkauf der Schokolade an die Kunden vergehen in der Regel zwölf bis achtzehn Monate», sagt Anca Rafaisz von Vontobel. Die Portfoliomanagerin hat Anfang des Jahres bei den Aktien zugegriffen und hält sie nach wie vor.
Der Lagerzyklus bei Schokoladenherstellern ist verhältnismässig lang, weil die Produktion mehrere Schritte umfasst und sich über mehrere Phasen erstreckt. So können Kakaobohnen nur zu bestimmten Jahreszeiten geerntet werden. Überdies umfasst die Herstellung von Schokolade und Kakaoprodukten mehrere Verarbeitungsstufen wie Rösten, Mahlen, Conchieren und Temperieren. Ausserdem müssen einige Schokoladenprodukte, vor allem hochwertige, zuerst reifen, um Geschmack zu entwickeln. Wegen des langen Lagerzyklus hält Barry viel Kakao auf Vorrat.
Das bedeutet aber auch: Das Kapital ist vergleichsweise lange in der Bilanz gebunden und kann so nicht anderweitig produktiv eingesetzt werden. Allein dieser Faktor ist aus Investorensicht unattraktiv, bei der Geschäftstätigkeit von Herstellern wie Barry jedoch unvermeidlich. So richtig problematisch wird es, wenn Barry die Kakaobohnen teuer einkaufen muss und somit der freie Cashflow belastet wird.
Stark steigende Schulden
Wie stark der gestiegene Kakaopreis den Cashflow belastet, zeigt ein Blick auf die Geschäftszahlen des abgelaufenen Jahres, das am 31. August 2024 geendet hat. So hat sich der operative freie Cashflow in den letzten Jahren grundsätzlich erfreulich entwickelt; vor allem im abgelaufenen Jahr machte er einen ordentlichen Sprung von 675 auf 829 Mio. Fr.
Gleichzeitig explodierten jedoch die Belastungen, wegen des höheren Kakaopreises. Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben sie sich fast verzehnfacht auf 2,8 Mrd. Fr. Unter dem Strich steht damit erstmals seit zehn Jahren ein negativer freier Cashflow zu Buche. Allerdings ist dies hauptsächlich auf den Anstieg der Lagerbestände um 2,7 Mrd. Fr. aufgrund der gestiegenen Kakaobohnenpreise zurückzuführen.
Vor diesem Hintergrund muss auch die Höhe der Verschuldung mit etwas Vorsicht genossen werden. Sie hat sich von moderaten 1,3 auf 3,8 Mrd. Fr. nahezu verdreifacht. Dadurch ist auch der Verschuldungsgrad, gemessen am Verhältnis von Nettoschulden zum Betriebsgewinn Ebitda, auf mehr als 5 gestiegen. Allgemein wird ein Wert von über 2 als zu hoch angesehen. Unternehmen, die ein kapitalintensives Geschäft betreiben, wird indes eine höherer Verschuldungsgrad zugestanden.
Liquidität trotzdem gesichert
Auch wenn die hohe Verschuldung durch Sonderfaktoren entstanden ist, hält ein Wert von über 5 viele Investoren vom Einstieg ab. «Die starke Belastung des freien Cashflows durch den Kakaopreis und die schwachen Volumen aufgrund der starken Preiserhöhungen in der Industrie sind die Hauptgründe, warum der Aktienkurs so weit unten steht», sagt Portfoliomanagerin Rafaisz. Zudem gehe der Markt davon aus, dass auch das erste Halbjahr 2024/25 schwach verlaufen werde. Für die nächsten beiden Quartale seien daher keine positiven Überraschungen zu erwarten.
Auch Andreas von Arx, Analyst von Baader Helvea, rechnet damit, dass viele Anleger noch bis nächsten April abwarten, «bevor sie sich an der attraktiven mittelfristigen Transformation beteiligen». Grundsätzlich stuft er die Aktien auf «Add» ein, was einer Kaufempfehlung entspricht.
Um den Liquiditätsbedarf zu decken, hat Barry in diesem Jahr mehrere Anleihen im Gesamtwert von mehr als 2 Mrd. Fr. ausgegeben. Die erste Rückzahlung von 240 Mio. Fr. (1,8%-Coupon) wird im Frühling 2026 fällig. Ende August verfügte Barry über rund 1 Mrd. Fr. Liquidität. Zudem verschafft eine bis Herbst 2028 geltende revolvierende Kreditlinie von rund 1,3 Mrd. Fr. – dieses Geld kann Barry beanspruchen, muss es aber nicht – eine gewisse Beruhigung, was allfällige Zweifel über die finanzielle Solidität des Konzerns betrifft.
«Trotz des hohen Verschuldungsgrads kann sich Barry momentan gut finanzieren», sagt Rafaisz. Zudem ist sie überzeugt, dass das starke Gewinnwachstum auf Stufe Ebit helfen werde, den Cashflow wieder zu erhöhen.
Was für Barry Callebaut spricht
Ein steigender Kakaopreis, ein negativer Cashflow und wenig Aussicht auf ein besseres Umfeld in den nächsten beiden Quartalen: Der Pessimismus bei Barry könnte kaum grösser sein. In diesem perfekten Sturm geht jedoch unter, dass das grundlegende Geschäft in die richtige Richtung geht. Zwar hat das Verkaufsvolumen von Barry im abgelaufenen Jahr aufgrund des widrigen Umfelds stagniert. Allerdings haben die Schweizer in vier von fünf Regionen besser abgeschnitten als der Markt. Nur in Zentral- und Osteuropa hat man schlechter als die Konkurrenz abgeschlossen – diese Region macht jedoch lediglich 13% des Gesamtvolumens aus.
Mit anderen Worten: Barry gewinnt in der Krise Marktanteile. Das überrascht Rafaisz nicht. In den vergangenen zehn Jahren habe Barry fast immer den Markt geschlagen. Das werde sich fortsetzen. «Wachstumsinitiativen im Raum Asien-Pazifik sowie Investitionen in die lokalen Vertriebsstrukturen und im Segment Gourmet & Specialties werden zu weiteren Marktanteilsgewinnen führen», ist die Portfoliomanagerin überzeugt.
Dass sich Barry in einem schwierigen Umfeld behaupten kann, hat auch mit dem diversifizierten Geschäftsmodell zu tun, das breite Kundensegmente bedient. So profitiert der Konzern wegen der höheren Schokoladenpreise von einer stärkeren Nachfrage nach günstigeren Eigenmarken, die er ebenfalls mit Schokoladenzutaten beliefert. Auch wenn das Geschäft freilich margenschwächer ist als das mit hochwertiger Schokolade, federt es den Rückgang ab.
Gewinnentwicklung stimmt positiv
Barry profitiert zudem weiter von ihrem Cost-Plus-Modell, mit dem sie steigende Kosten – zum Beispiel für Kakao oder für Energie – direkt an die Kunden weitergeben kann. Zuletzt kam unter Investoren die Sorge auf, dass dieses Modell angesichts der explodierenden Kakaopreise an seine Grenzen stossen könnte, etwa weil der Druck von Grosskunden wie Mondelez und Hershey zunehmen könnte. Diese Sorgen hat das Management aber offenbar im Gespräch mit Investoren zerstreut. Das Modell sei nicht gefährdet, sei betont worden.
Grundsätzlich positiv ist auch die Gewinnentwicklung. Obwohl das Volumenwachstum stagnierte, stieg der wiederkehrende Ebit – also der Gewinn, bereinigt um einmalige oder nicht wiederkehrende Effekte – im abgelaufenen Geschäftsjahr um 13% auf 704 Mio. Fr. Die folgende Grafik aus dem Geschäftsbericht zeigt, dass es unbereinigt derzeit ganz anders aussieht. Der rosa Balkenabschnitt zeigt die Kosten des Effizienzprogramms «BC Next Level».
Entwicklung des bereinigten (Recurring) Ebit
Dennoch bewertet von Arx von Baader die Gewinnzahlen positiv. «Die bereinigten Ebit-Zahlen sind für uns ein Zeichen dafür, dass die Transformation schneller voranschreitet als erwartet», schreibt er in einer jüngsten Research Note. Das abgelaufene Geschäftsjahr war das erste des strategischen Investitionsprogramms «BC Next Level». Neben anderen Massnahmen wurden Standorte geschlossen, um die Produktion zu optimieren, das Portfolio vereinfacht, ein neues Barry Operating System (BCOS) eingeführt, um die Betriebsabläufe zu standardisieren, sowie in die Qualitätsinfrastruktur und die Testkapazitäten investiert.
Der Weg zum Ziel ist indes noch lang. Barry will jährlich 250 Mio. Fr. einsparen, bis jetzt sind etwa 15% davon geschafft. Am Ende soll eine Ebit-Marge von 10% stehen – ein Wert, den der Konzern noch nie erreicht hat (2024: 6,8%). «Bisher hat das Management weitestgehend das geliefert, was es versprochen hat», sagt Rafaisz von Vontobel. Sie sei bei Barry mit einem Anlagehorizont von zwei Jahren investiert.
Auch The Market sieht in den Aktien von Barry weiterhin einen attraktiven Turnaround Case. Wer die letzte Kurserholung verpasst hat, hat nun eine neue Chance bekommen. Allerdings sollten sich Anleger bewusst sein, dass die Risiken wie bei jeder Turnaround Story nicht gering sind. Dazu gehört in erster Linie eine weitere Verschärfung der Kakaopreisentwicklung. Wetterkapriolen könnten zu Kakaoknappheit führen und die Preise noch höher treiben – und damit das Working Capital von Barry weiter belasten.
Etwas, was das Rückschlagsrisiko bei den Aktien begrenzt, ist die Bewertung. Mit dem jüngsten Kursrutsch ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Gewinnschätzungen für die nächsten zwölf Monate auf 16 gefallen – und damit auf den tiefsten Stand seit 2011. Eine Garantie gegen weitere Kursrücksetzer ist dies freilich nicht.