Israel sollte die Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza so schnell wie möglich erleichtern. Denn der gegenwärtige Eiertanz rund um humanitäre Lieferungen spielt nur der Hamas in die Hände.
Dramatisch, desaströs, katastrophal: Für die Beschreibung der humanitären Lage im Gazastreifen gehen langsam die Adjektive aus. Am vergangenen Donnerstag sind wohl mehr als hundert Personen beim Andrang auf einen Hilfskonvoi bei einer Massenpanik und durch israelische Schüsse getötet worden.
Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die Verzweiflung in einer Krise, die sich immer weiter zuspitzt. Aufgrund anhaltender Kämpfe und des Zusammenbruchs der zivilen Ordnung in Gaza ist die Versorgung der Bevölkerung in manchen Gebieten kaum mehr möglich. Und zu allem Überfluss hat sich die Zahl der Lastwagen, die das Küstengebiet erreichen, im vergangenen Monat halbiert.
Kurz gesagt: Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist unhaltbar und muss sich dringend bessern. Israel beteuert zwar immer wieder, dass es die Lieferung von Hilfsgütern nicht einschränke. Tatsächlich tat sich viel, nachdem Israel nach dem brutalen Hamas-Angriff am 7. Oktober zunächst eine vollständige Blockade über die Enklave verhängt hatte. Heute sind zwei Grenzübergänge geöffnet, die Armee sorgt immer wieder für humanitäre Korridore, im Januar gelangten im Schnitt 200 Lastwagen pro Tag in das Gebiet.
Dies geschah allerdings vor allem auf massiven Druck der USA. Und es reicht bei weitem nicht aus. Die Klagen von Hilfsorganisationen, das israelische Inspektionsverfahren für Hilfsgüter sei zu kompliziert, die Absprachen mit den Behörden seien schwierig und die Sicherheit der Konvois nicht gewährleistet, sind ernst zu nehmen.
Es ist nicht nur ein Akt der Güte, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitärer Hilfe zu ermöglichen, sondern eine völkerrechtliche Pflicht. Als Besatzungsmacht im Gazastreifen ist Israel derzeit der einzige Akteur, der diese Versorgung sicherstellen kann.
Eine Mehrheit der Israeli lehnt die Hilfe ab
Umso stossender ist es, dass das Kriegskabinett um Netanyahu kaum etwas gegen laufende Versuche unternimmt, die Bemühungen zur Versorgung der Bevölkerung zu hintertreiben. Nach wie vor gelingt es israelischen Demonstranten, Lastwagen an der Einfahrt nach Gaza zu hindern. Finanzminister Bezalel Smotrich hat höchstpersönlich die Einfuhr von Nahrungsmitteln über den Hafen von Ashdod wochenlang blockiert. Und der Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir sah in der Tragödie vom Donnerstag vor allem den Beweis dafür, dass es die Hilfslieferungen einzustellen gelte. Ministerpräsident Netanyahu gibt kaum Gegensteuer.
Netanyahu und seine rechtsextremen Minister haben ein innenpolitisches Interesse daran, in der Öffentlichkeit nicht als barmherzige Samariter der Bevölkerung von Gaza dazustehen. Sie wissen, dass eine Mehrheit der Israeli Hilfslieferungen nach Gaza ablehnt, weil dies angeblich auch das Überleben der Hamas sichert. Doch die Versorgung mit humanitärer Hilfe in einem Krieg darf nicht wahltaktischen Überlegungen oder dem Erhalt einer Regierungskoalition geopfert werden.
Nicht zuletzt spielt der Eiertanz der terroristischen Hamas in die Hände, die sich einen Teufel um die eigene Bevölkerung schert. Denn die sich kontinuierlich verschlimmernde humanitäre Krise nährt die Vorwürfe, Israel benutze den Hunger als Kriegswaffe und begehe in Gaza einen Genozid. Der internationale Druck, der dadurch auf Israel ausgeübt wird, nützt der Hamas ein Vielfaches mehr als all die Hilfsgüter, die sie zweifellos für sich selbst abzweigt.
Israel hat also ein klares Eigeninteresse daran, die Situation im Gazastreifen so schnell wie möglich zu verbessern und die Hilfe auf eine menschenwürdige Basis zu stellen – ganz unabhängig von den laufenden Gesprächen über eine erneute Waffenruhe. Laut unbestätigten Berichten soll demnächst ein weiterer Grenzübergang geöffnet und sollen Hilfslieferungen über das Mittelmeer ermöglicht werden. Es wären richtige Schritte, um eine vermeidbare Katastrophe abzuwenden.