Die Schweizer Meisterschaft ist so spannend wie nie. Was steckt dahinter, und wo steht die Liga? Eine Erkundung mit Bernhard Heusler und Peter Knäbel.
Womöglich ist der Zeitpunkt gekommen, um wieder einmal eine Aussage von Marco Streller hervorzukramen, die nicht so gut gealtert ist. April 2017, der FC Basel steht kurz vor dem achten Meistertitel in Serie, vor einer neuen Ära auch: Bernhard Burgener übernimmt den Klub von Bernhard Heusler, Streller wird der Sportchef. Und sagt: «Vier bis acht Junge im Kader zu haben, ist realistisch. Im Moment ist der Abstand zu den Young Boys so gross, dass man dieses Risiko eingehen kann.»
Strellers Irrtum steht am Anfang einer langen Reihe von Fehleinschätzungen im FC Basel. Der Klub verliert den Status als Dominator der Liga, eine neue Ära bricht an, die der Young Boys. Seit 2018 sind es die Berner, die sechs von sieben Meistertiteln gewonnen haben, spannend wurde es dabei eigentlich nie. So wie es an der Spitze der Super League überhaupt selten einmal aufregend war seit den Finalissime in den Jahren 2008 und 2010 zwischen dem FCB und YB.
Aber jetzt, Anfang März 2025, nach 25 Runden, stehen Basel, Lugano, Luzern und Servette gemeinsam an der Tabellenspitze, sie alle haben 42 Punkte, dahinter folgen vier weitere Teams eng beieinander, der achtplatzierte FC Zürich hat nur 6 Punkte Rückstand auf die Spitze. Vielleicht ist die Konstellation eine Weltneuheit – diese Recherche überstieg sogar die Kapazitäten der KI.
Was sagt all das über die Liga aus?
And this is what the table looks like after 25 Games ⚽…
Just the 4️⃣ Teams on the same amount of points at the top 🤩#cssl #creditsuissesuperleague #sfl #swissfootballleague #football pic.twitter.com/X4gCjfgVoz— Swiss Football League (@News_SFL) February 23, 2025
Vom Suchen und Finden
Unbestritten ist: In der Super League hat eine Nivellierung nach unten stattgefunden. Das hat damit zu tun, dass sich in ihr gerade viele Wege kreuzen. Man könnte auch sagen: Entwicklungsstadien.
Dieses Wort verwendet Peter Knäbel, der im Schweizer Fussball schon lange unterwegs ist, zuerst als Spieler, danach als Funktionär im FC Basel und im Schweizerischen Fussballverband (SFV). Heute arbeitet Knäbel als Experte bei SRF, und er führt einen Wahlkampf, der ihn im Mai an die Spitze des SFV führen soll.
Wenn Knäbel über die Super League und ihre derzeitige Lage nachdenkt, landet er bei diesen Entwicklungsstadien. Und bei dem Befund, dass die Liga so sei, weil gewisse Klubs sich suchten – und andere sich gefunden hätten. «Die Klubs sind in ihrer Entwicklung unterschiedlich weit, das Ergebnis ist diese Ausnivellierung», sagt Knäbel.
Zu den Suchenden gehört der FC Zürich, in dem der Sportchef Milos Malenovic einen umfassenden, zuweilen irritierenden, bestimmt dynamischen Umbau auf allen Ebenen vorantreibt. Oder der FC Basel, der vom Besitzer David Degen ebenso energisch wie wild neu aufgesetzt wurde und der nach einer katastrophalen letzten Saison dabei ist, sich wieder zur nationalen Grösse aufzurichten.
In die zweite Kategorie gehört etwa der FC Luzern, in dem beim sportlichen Führungspersonal Kontinuität herrscht und in dem der Plan klar ist: Fokus auf den eigenen Nachwuchs. Oder der FC St. Gallen, der in der Region stark verankert und beliebt ist, der wächst und wächst, aber der seine Qualitäten noch nicht konstant auf den Platz bringt.
Es gibt in der Super League auch den soliden Aussenseiter Winterthur, der weiss, wo seine Grenzen liegen. Es gibt den Emporkömmling Lugano, der dank dem reichen Besitzer aus den USA viel Geld hat, aber wenig Publikum und dem es vielleicht auch darum manchmal an Energie fehlt. Es gibt den Servette FC, der keine finanziellen Abenteuer eingeht und in dem das Gerüst seit vielen Jahren das gleiche ist.
Es gibt GC, Yverdon und Lausanne mit durchaus potenten ausländischen Besitzern, bei denen nicht immer ersichtlich ist, welche Strategie sie verfolgen. Und es gibt den FC Sion, der als einziger Vertreter noch immer eine Art Mäzenatentum betreibt: Der Chef Christian Constantin befiehlt und zahlt.
Die Nöte auf dem Transfermarkt
Eigentlich müssten die Young Boys die Super League dominieren, nur schon wegen ihrer Finanzkraft, doch sie tun es nicht. Das liegt vor allem an ihnen und ihren Fehleinschätzungen. Aber nicht nur.
Ein namhafter Spielerberater sagt, dass es für Schweizer Klubs schwieriger geworden sei, Fussballer zu bekommen, die hierzulande den Unterschied ausmachen könnten. Das gilt selbst für YB, den Krösus der Liga, der allein in der Champions League in dieser Saison 35 Millionen Franken einnahm; der jährliche Gesamtumsatz von neun der elf Super-League-Konkurrenten ist kleiner.
Ein Grund dafür sind Umwälzungen auf dem Transfermarkt. Der Ägypter Mohamed Salah, den der FC Basel einst entdeckte und der später zum Weltstar wurde, würde heute kaum mehr in der Super League landen. Zu umkämpft ist der Transfermarkt. Zu sehr wird jede Liga abgegrast nach Talenten. Zu sehr vereinfacht die Digitalisierung das datenbasierte Scouting und die systematische Suche nach «Nuggets», wie verheissungsvolle Spieler in der Agentensprache genannt werden. Diese landen heute meistens erst in der Schweiz, wenn ihre Karriere einen ersten Knick erfahren hat.
Dazu kommt, dass die Super League im Wettstreit der Ligen zurückgefallen ist. Das hängt auch mit den im Vergleich zu anderen Meisterschaften deutlich tieferen TV-Einnahmen zusammen, wobei die Schere noch einmal weiter auseinandergegangen ist, zuungunsten der Schweiz.
Zu den Meisterzeiten des FC Basel konnte der Schweizer Topklub Löhne wie ein Bundesliga-Mittelfeldklub bezahlen, und lange war es so, dass Schweizer Vereine mit jenen aus Belgien um Spieler warben. Ersteres ist heute nicht mehr so. Und Fussballer aus der Schweiz nutzen die belgische Meisterschaft unterdessen als Sprungbrett in eine Top-5-Liga. Das Ergebnis sind Super-League-Kader, die sich qualitativ nicht mehr so sehr unterscheiden wie in der Vergangenheit. Die sich, um es mit Peter Knäbel zu sagen, «in ihrer individuellen Besetzung relativ ähnlich» sind.
Herausragende Figuren gibt es noch, Xherdan Shaqiri, Renato Steffen, Alvyn Sanches – aber sie sind rar geworden. Und es fällt auf, wie schwer sich gerade Stürmer im Ausland tun, die hierzulande oft treffen. Die Liste ist lang, reicht von Cabral über Assan Ceesay bis zu Jean-Pierre Nsame oder Chris Bedia. Letztgenannte sind in die Super League zurückgekehrt.
Es sage etwas über die Liga aus, wenn Rückkehrer wie Bedia, Nsame oder gerade auch Shaqiri und Steffen die Liga sofort aufmischten, gar Heilsbringer seien, sagt der namhafte Spielerberater. Das werde registriert in Europa – wie das Abschneiden der Schweizer Klubs im Europacup. Gerade laufen diese Gefahr, dort einen Startplatz zu verlieren.
Aber es gibt auch eine andere Sicht auf die Dinge. Warum alles schlechtreden und den Leistungsabfall beklagen?
Vielleicht sollte man sich einfach freuen
Denn diese Super-League-Saison ist womöglich einmalig. Mehr Spannung und Aufregung gehen kaum. Wenn man bei Bernhard Heusler nachfragt, verweist er auf den eigentlichen Sinn der Liga: «Wettbewerb, Spannung und Emotionen: Die Super League bietet zurzeit alles.» Heusler, der Präsident während des jahrelangen Basler Höhenflugs, erinnert sich nur zu gut daran, wie wichtig «die sportliche Erfolgsserie für das Unternehmen FCB war», aber auch daran, wie sehr mit jedem Titel «Freudlosigkeit, Intoleranz und Debatten über Nebenthemen» gewachsen seien.
Die damalige Erfahrung bestätigt Heusler, dass «der Fussball eben viel mehr ist als ein Ertragsposten in der Bilanz eines Klubs. Das nicht kontrollierbare und offene Spiel ist sein Lebensnerv. Ohne harte Konkurrenz verliert jeder Klub seine Bedeutung, Siege und Titel verlieren ihren wahren Wert.» Für Heusler haben der FCB und später YB mit ihrer Dominanz der Super League Sauerstoff und Emotionen entzogen, weshalb er sich als Fan über die gegenwärtige Herzschlag-Meisterschaft freut, selbst wenn sie Klubverantwortliche leiden lässt.
Wahrscheinlich muss man diese dramaturgisch spektakuläre Saison tatsächlich schätzen. Vielleicht wird sie einmalig bleiben, und natürlich hat die gegenwärtige Konstellation etwas Zufälliges, es lässt sich nicht immer alles erklären. Peter Knäbel denkt, dass die Liga wieder mehr Konturen bekomme, wenn der FC Basel seinen Weg fortsetze und die Veränderungen, die YB angestossen habe – der Kaderumbau im Winter, der neue Trainer Giorgio Contini –, ihre Wirkung entfalteten.
Sollten die Berner trotz bisher über weite Strecken enttäuschenden Leistungen erneut Meister werden, wäre dies das deutlichste Signal für die Nivellierung nach unten in der Super League. Das ist wieder die negative, nörglerische Sicht. Die gegenteilige nährt die Aussicht, dass es wieder einmal zu einer Finalissima kommen könnte. Vielleicht sogar zwischen dem FC Basel und YB, den Titanen des Schweizer Fussballs.