Gisèle Pélicot wurde über mehrere Jahre von ihrem Ehemann betäubt und von ihm und fremden Männern vergewaltigt. Der Ehemann hat nun seine Taten vor Gericht vollumfänglich zugegeben.
Dominique Pélicot hat am Dienstag erstmals vor Gericht ausgesagt und seine Taten vollumfänglich zugegeben. Er habe seine Frau Gisèle von 2011 bis 2020 mit Medikamenten betäubt, sie vergewaltigt und vor seinen Augen von fremden Männern im Haus der Familie vergewaltigen lassen. Laut den Ermittlern geschah dies mehr als 90 Mal.
«Herr Vorsitzender, ich räume die Vorwürfe in ihrer Gesamtheit ein», sagte Pélicot, 71-jährig, vor dem Gericht in Avignon in Südfrankreich. Pélicot und 50 weitere Männer sind angeklagt, sie sind zwischen 26 und 74 Jahre alt, ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft. Auf Wunsch des Opfers ist der Prozess öffentlich. Er beschäftigt Frankreich seit bald drei Wochen, französische Medien berichten täglich aus dem Gerichtssaal.
Pélicot hatte seine Taten schon vor Prozessbeginn gestanden. Und doch war die ausführliche Aussage eine Überraschung. Pélicot sagte mit Blick auf die Mitangeklagten: «Ich bin ein Vergewaltiger, wie die anderen, die hier im Saal sind. Sie wussten alle Bescheid, niemand kann das Gegenteil behaupten.»
Erster Auftritt des Hauptangeklagten seit Prozessbeginn
Pélicot war seit vergangenem Mittwoch aus gesundheitlichen Gründen im Gerichtssaal abwesend. Am Dienstag hat er die Anklagebank mithilfe eines Stocks betreten, er erhielt einen bequemeren Sessel, mehr Pausen, eine Schlafgelegenheit für die Mittagspause.
Gisèle Pélicot sass während der Aussage ihres Ex-Mannes stoisch auf der Bank der Nebenkläger. Zwischendurch schaute sie ihn direkt an. Nach seinen ersten Worten äusserte sie den Wunsch, darauf zu antworten. «Für mich ist es schwer, das zu hören», sagte sie. Fünfzig Jahre lang habe sie mit einem Mann zusammengelebt, von dem sie sich nicht eine Sekunde lang hätte vorstellen können, dass er diese Taten begehen könnte. «Ich hatte volles Vertrauen in diesen Mann.»
Den Missbrauch hat Gisèle Pélicot nicht bewusst wahrgenommen. Sie litt jedoch an Gedächtnislücken, chronischer Müdigkeit, Haarausfall, Schmerzen im Unterleib.
Der mutmassliche Missbrauch wurde aufgedeckt, als Pélicot im Herbst 2020 im Supermarkt Frauen unter die Röcke filmte und festgenommen wurde. Bei einer Durchsuchung fanden Ermittler auf seinem Computer Videos der Vergewaltigungen seiner Frau. Den Kontakt zu den Männern hat er über eine Onlineplattform hergestellt. Laut Anklage ging es Pélicot um die Befriedigung seiner sexuellen Phantasien.
Pélicot hatte die Bilder und Videos der Vergewaltigungen akribisch archiviert. Vor Gericht sagte er, er habe dies für sein Vergnügen getan, aber auch als Absicherung. «Heute können wir dank dieser Archivierung die Personen finden, die an alldem beteiligt waren», sagte er. Zu seiner Frau sagte Pélicot im Gerichtssaal: «Ich bitte um Vergebung, auch wenn es nicht entschuldbar ist.»
Die Kindheit des mutmasslichen Täters
Sein Verhalten erklärte Pélicot vor Gericht mit seiner traumatischen Kindheit. Laut eigenen Angaben wurde er als 9-jähriger Bub im Spital von einem Pfleger vergewaltigt. Mit 14 sei er gezwungen worden, an der Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau teilzunehmen. Pélicot sagte: «Aus meiner Jugend sind mir nur Schocks und Traumata in Erinnerung geblieben.» Die Erlebnisse seien schwer zu ertragen gewesen. Während vierzig Ehejahren habe er durchgehalten.
2010 habe er im Internet einen Krankenpfleger kennengelernt, der ihm geraten haben soll, seiner Frau ein Beruhigungsmittel zu verabreichen. Er habe ihm auch gesagt, wie hoch die Dosis sein müsse, damit sie das Bewusstsein verliere. Danach habe er nicht mehr aufhören können, sagte Pélicot vor Gericht. Es sei wie eine Sucht gewesen.
Laut den Ermittlern wurden auf Pélicots Computer auch Fotos der drei gemeinsamen Töchter gefunden. Sie seien ohne deren Wissen aufgenommen worden und zeigten sie teilweise nackt. Eine der Töchter wirft Pélicot vor, sie ebenfalls unter Drogen gesetzt und missbraucht zu haben. Pélicot dementiert dies.
Das ausführliche Geständnis von Pélicot zu den Vergewaltigungen seiner Frau hat die Mitangeklagten womöglich nervös gemacht. Nur 15 der 50 Angeklagten geben eine Vergewaltigung zu. Die meisten sagen, sie hätten nur an sexuellen Handlungen teilgenommen und nicht gewusst, dass die Frau unter Drogen stand und bewusstlos war. In den nächsten Tagen sollen weitere von ihnen befragt werden.