Das Serverzentrum der Terrororganisation soll mit dem Stromnetz des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge verbunden gewesen sein. Der Schweizer UNRWA-Chef will von nichts gewusst haben.
Das israelische Militär hat laut eigenen Angaben ein Datenzentrum der Hamas unter dem UNRWA-Hauptquartier in Gaza gefunden. Die israelischen Streitkräfte teilten am Samstagabend mit, dass sie neben einer Schule des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge einen Eingang für einen Tunnel entdeckt hätten, der sich über eine Länge von 700 Metern und eine Tiefe von 18 Metern bis unter das nahe Hauptquartier der UNRWA erstrecke.
In dem Tunnel entdeckte die israelische Armee einen Serverraum der Hamas sowie Besprechungs- und Arbeitsräume der Terrororganisation. Laut den israelischen Streitkräften hat die Hamas in dem unterirdischen Datenzentrum Informationen gesammelt, ausgewertet und geteilt. In dem Hauptquartier der UNRWA hat die israelische Armee ausserdem Granaten, Raketen, grosse Mengen Sprengstoff und Sturmgewehre gefunden. Weitere Indizien würden darauf hindeuten, dass Büros und Räumlichkeiten der UNRWA-Zentrale von Hamas-Terroristen genutzt worden seien. Es gebe jedoch keine Angaben dazu, wann genau diese Nutzung erfolgt sei, ob vor oder nach Kriegsbeginn. Die UNRWA hat das Gelände am 12. Oktober verlassen.
Ein Oberst der israelischen Armee sagte der Zeitung «Times of Israel», es gebe keinen Zweifel, dass die UNRWA über den Hamas-Tunnel unter ihrem Hauptquartier informiert gewesen sei. «Hier gibt es eine Mauer, ein Tor, Überwachungskameras am Tor, die festhalten, wer hinein- und hinausgeht. Wer auch immer bei der UNRWA gearbeitet hat, wusste ganz genau, wer hineinkommt.» Laut der Zeitung hat die israelische Armee den Tunnel nun gesprengt.
These findings were found within @UNRWA facilities:
Acting on ISA intelligence, the forces discovered a tunnel shaft near an UNRWA school, leading to an underground terrorist tunnel beneath UNRWA’s main headquarters. The forces found electrical infrastructure inside the tunnel… pic.twitter.com/n5EWJpyI4o
— Israel Defense Forces (@IDF) February 10, 2024
Die UNRWA streitet die Vorwürfe ab
Die UNRWA bestreitet die Vorwürfe. Kurz nach der Veröffentlichung der Nachricht schrieb der Schweizer Chef des Uno-Hilfswerks, Philippe Lazzarini, auf X, dass seine Organisation nicht gewusst habe, was sich unter dem Hauptquartier in Gaza befinde. Das Personal der UNRWA habe das Gelände am 12. Oktober verlassen und das Gebäude seitdem nicht mehr verwendet und sei nicht darüber informiert, was sich seitdem auf dem Gelände abgespielt haben könnte.
Die UNRWA sei eine humanitäre Organisation und habe weder die militärische Expertise noch die Kapazität, um das, was sich unter ihren Anlagen befinde oder befinden könnte, militärisch zu inspizieren, fügte er hinzu. Die israelischen Behörden hätten die UNRWA nicht offiziell über den angeblichen Tunnel informiert.
Die israelische Behörde für Regierungsaktivitäten in den palästinensischen Gebieten (Cogat) zweifelt an, dass die UNRWA über das Tunnelnetzwerk und das Datenzentrum unter ihrem Hauptquartier in Gaza keine Kenntnis hatte. Auf X schrieb die Behörde an Lazzarini: «Oh, Sie wussten Bescheid.» Es dauere länger als vier Monate, einen Tunnel zu graben. Cogat habe Uno-Mitarbeiter in der Vergangenheit darüber informiert, dass die Hamas das UNRWA-Hauptquartier nutze. «Sie haben sich dazu entschieden, die Fakten zu ignorieren, so dass Sie sie später abstreiten können.»
Das Palästinenserhilfswerk der Uno steht unter massivem Druck. Vor zwei Wochen beschuldigte Israel zwölf UNRWA-Mitarbeiter, sich am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt zu haben. Die israelischen Beweise für die Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitern am Massaker sind laut US-Aussenminister Antony Blinken sehr glaubwürdig. Wichtige Geberländer der UNRWA stellten daraufhin ihre Zahlungen ein. Lazzarini appellierte an die Länder, die Blockade zu überdenken. «Diese Entscheidungen bedrohen unsere laufende humanitäre Arbeit in der gesamten Region, einschliesslich und insbesondere im Gazastreifen», sagte der Schweizer Ende Januar.
Israel fordert Rücktritt von Lazzarini
Die UNRWA ist nicht nur für die humanitäre Hilfe in Gaza zuständig, sondern betreibt auch Schulen, Spitäler und weitere soziale Dienstleistungen im Westjordanland, in Libanon, Jordanien und Syrien. Die UNRWA unterstützt die palästinensischen Flüchtlinge, die mit der israelischen Staatsgründung 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Besonders oft wird kritisiert, dass der Flüchtlingsstatus laut UNRWA-Bestimmungen vererbbar sei. Auch Kinder und Enkelkinder von 1948 vertriebenen Palästinensern werden von der Uno-Behörde als offizielle Flüchtlinge anerkannt und können Unterstützung erhalten. Das Hilfswerk ist heute laut eigenen Angaben für 5,9 Millionen Menschen zuständig.
Aufgrund der humanitären Katastrophe in Gaza habe die Arbeit der UNRWA an Relevanz gewonnen, heisst es etwa aus deutschen Regierungskreisen. Nur die UNRWA verfüge über die nötigen Strukturen, um Hilfe in der nötigen Geschwindigkeit leisten zu können. Deutschland, das zweitwichtigste Geberland, habe die «unerträglichen Vorwürfe» gegen UNRWA-Mitarbeiter nicht ignoriert, sagte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock Anfang Februar. Doch die Situation in Gaza sei «einfach die Hölle». Die UNRWA sei fast der alleinige Versorger in Gaza, da alle anderen Hilfsorganisationen dort «derzeit so gut wie nicht mehr aktiv sein können».
Israel fordert seit Jahren die Reform oder die Auflösung der UNRWA. Angesichts der gegenwärtigen Vorwürfe zu Verstrickungen sind diese Forderungen lauter geworden, zumindest der amtierende Chef des Hilfswerkes soll abgelöst werden. Der israelische Aussenminister Israel Katz hat Lazzarinis Darstellung als «absurd» zurückgewiesen und forderte die prompte Ablösung des Schweizers. «Sein sofortiger Rücktritt ist unabdingbar», schrieb Katz auf X.
Nach den ersten Vorwürfen gegen die UNRWA hat Uno-Generalsekretär António Guterres vergangene Woche eine unabhängige Untersuchungskommission ins Leben gerufen. Diese soll herausfinden, ob die UNRWA alles tue, um ihre Neutralität sicherzustellen. Die Arbeit der Kommission beginnt am 14. Februar, ein erster Zwischenbericht soll Ende März veröffentlicht werden.