Die israelische Regierung bricht mit alten politischen Überzeugungen. Für die Partei von Marine Le Pen ist die Teilnahme ein Ritterschlag. Vertreter jüdischer Organisationen hingegen sind empört – und bleiben der Konferenz fern.
Während Jahrzehnten gab es in Israel einen impliziten Konsens: Mit Vertretern der extremen Rechten in Europa spricht man nicht. Parteien, die teilweise aus faschistischen Organisationen entstanden sind oder die Antisemiten in ihren Reihen duldeten, sollten nicht durch offizielle Kontakte mit der israelischen Regierung aufgewertet werden. Dieses Tabu wird nun gebrochen.
Am Mittwoch werden hochrangige Vertreter von europäischen Rechts- und Rechtsaussenparteien in Jerusalem eintreffen, unter ihnen Jordan Bardella, der Chef des französischen Rassemblement national (RN), aber auch Politiker der spanischen Vox-Partei, der Schwedendemokraten, der Partei für die Freiheit von Geert Wilders sowie der ungarischen Regierungspartei Fidesz. Anlass ist die vom israelischen Diaspora-Ministerium ausgerichtete zweitägige «Konferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus».
Aus Protest gegen die Adelung dieser Parteien haben bereits viele Freunde Israels und Vertreter jüdischer Gemeinschaften aus aller Welt angekündigt, die Konferenz zu boykottieren. Die Einladung des rechten europäischen Rands zeugt derweil von den fundamentalen politischen Veränderungen in Israel, welche die am weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte des jüdischen Staates angestossen hat – und die sich bis nach Europa auswirken.
Le Pen unterstützt Netanyahu
Jordan Bardella, der Vorsitzende des RN, und Marion Maréchal, die Enkelin des im Januar verstorbenen rechtsradikalen Parteigründers Jean-Marie Le Pen, gehören zu den vielleicht kontroversesten Gästen der Antisemitismus-Konferenz. Allein ihre Namen auf der Anwesenheitsliste bewogen den französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy, sonst ein leidenschaftlicher Freund des jüdischen Staates, seine geplante Teilnahme abzusagen.
Tatsächlich bemüht sich das RN schon seit Jahren um eine offizielle Einladung nach Israel. Bisher galt dies israelischen Diplomaten wegen der antisemitischen Wurzeln des ehemaligen Front national, dessen Frontmann Le Pen die Gaskammern der Nazis einst als «Detail der Geschichte» bezeichnete, als unangemessen. Doch Israels Diaspora-Minister Amichai Chikli – dem Gastgeber der Konferenz – scheint dies nicht zu kümmern.
Schon im vergangenen Sommer hatte Chikli klar Position für Le Pen bezogen. Sie sei nicht nur gut für Frankreich, sondern auch gut für Israel, sagte er. «Ich glaube, dass Netanyahu und ich dieses Thema ähnlich sehen.» Wegen dieser Aussagen kurz vor den Wahlen in Frankreich sah sich Israels damaliger Aussenminister Israel Katz zur Stellungnahme gezwungen, dass Israel die französische Demokratie respektiere und sich nicht in die Wahlen einmische.
Für Marine Le Pen und Jordan Bardella hat sich ihre monatelange, uneingeschränkte Unterstützung für die Netanyahu-Regierung endlich ausgezahlt. Beide Politiker standen nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 vorbehaltlos hinter dem israelischen Krieg im Gazastreifen – während in Paris und anderen europäischen Hauptstädten heftige Kritik an Israels Vorgehen geübt wurde.
Der «Nazi-Jäger» unterstützt das RN
Nun scheint die israelische Regierung Le Pens jahrelange Bemühungen zu honorieren, die Vergangenheit abzuschütteln und ihre Partei zu «entdämonisieren». In Israel wurde offenbar registriert, dass das Rassemblement national auch unter den rund 500 000 französischen Juden immer mehr zu einer «normalen» Partei geworden ist.
Dabei profitiert das am rechten Rand stehende RN nicht zuletzt auch vom Kontrast zur Linksaussenpartei La France insoumise, in deren Reihen sich Hamas-Apologeten tummeln. Der französische Holocaust-Überlebende und «Nazi-Jäger» Serge Klarsfeld unterstützt mittlerweile offen das RN. Dennoch blieb Marine Le Pen bisher eine Teilnahme am traditionellen Dinner des Repräsentativrats der jüdischen Institutionen Frankreichs verwehrt.
Le Pen und Bardella bemühen sich nach Kräften, als Schutzpatrone der französischen Juden aufzutreten. Ende 2023 nahmen sie am «Marsch gegen Antisemitismus» in Paris teil und schmissen Mitglieder mit Verbindungen zum neonazistischen Milieu aus der Partei. Marion Maréchal, die bis zu ihrer Wahl ins Europaparlament den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour unterstützte, erklärte allerdings erst kürzlich, dass sie die «politische Erbin» ihres Grossvaters sei. «Eine wahre Idee und ein gerechtes Vorbild kann man nicht aufhalten», sagte sie bei einer Gedenkveranstaltung für Jean-Marie Le Pen.
«Eine sehr natürliche Allianz»
Viele Israeli beobachten die Normalisierung mit den europäischen Rechtsparteien daher mit Sorge. Aus Sicht der israelischen Regierung sei die Verbrüderung allerdings nachvollziehbar, meint Gideon Rahat, Professor für Politikwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem. «Solange diese Parteien keinen offenen Antisemitismus propagieren, sind sie die besten Partner, die sich Israels Regierung vorstellen kann», sagt der Politikwissenschafter. «Sie sind gegen Muslime, und viele von ihnen sind grosse Unterstützer Israels. Unserer Regierung ist es egal, ob sie rassistisch oder islamophob sind. Es ist eine sehr natürliche Allianz.»
Die israelische Regierung habe Kritik am Staat Israel, an der Kriegsführung in Gaza oder an politischen Entscheidungen jeweils schnell als antisemitisch gebrandmarkt – teilweise zu Recht, teilweise auch zu Unrecht. «Aus Sicht der Regierung ist es einfach nur eine Umkehr dieser Gleichung: Weil diese Politiker pro Israel sind, können sie keine Antisemiten sein», sagt Rahat.
Laut Medienberichten plant Israel schon seit geraumer Zeit, die Beziehungen zu europäischen Parteien am rechten Rand zu normalisieren. Laut dem «Axios»-Journalisten Barak Ravid hatte Israels Aussenminister Gideon Saar bereits Anfang Februar seine Diplomaten in Spanien, Schweden und Frankreich angewiesen, offizielle Beziehungen zu den dortigen Rechtsaussenparteien aufzubauen. Mit der Konferenz am Mittwoch dürften sich diese weiter vertiefen. Auffällig: Die deutsche AfD und die österreichische FPÖ schliesst Israel bisher aus – wie lange noch, wird sich zeigen.