Nachdem Israels Luftwaffe letzte Woche Angriffe auf Huthi-Stellungen geflogen hatte, kündigte Ministerpräsident Netanyahu ein hartes Vorgehen gegen die Jemeniten an. Droht ein weiterer Krieg in Nahost?
Tedros Ghebreyesus hatte sich seine Abreise aus der Hauptstadt Jemens wohl geruhsamer vorgestellt. Doch als der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Donnerstag im Flughafen von Sanaa auf sein Flugzeug wartete, fielen mit einem Mal israelische Bomben. Ein Überwachungsvideo zeigt, wie der Funktionär und sein Personal sich in Panik aus einer mit dicken Teppichen ausgelegten Lounge in Sicherheit bringen. Er sei nur knapp mit dem Leben davongekommen, sagte Ghebreyesus später der BBC.
Der Angriff, der die WHO-Kader aus der Wartehalle trieb, war Teil der jüngsten Eskalation in Nahost. Denn nachdem Israels Armee erst die palästinensische Hamas und später die libanesische Schiitenmiliz Hizbullah mit Hammerschlägen aus der Luft dezimierte, sind jetzt offenbar die Huthi dran – jene zur Staatsmacht gewordenen ehemaligen Bergkrieger, die dem jüdischen Staat im Oktober 2023 aus Solidarität mit den Palästinensern in Gaza vom fernen Jemen aus den Krieg erklärt hatten.
«Wir fangen erst gerade mit ihnen an»
Monatelang hatten die mit Iran verbündeten Milizionäre Israel immer wieder mit Drohnen und Raketen angegriffen und zudem wahllos Handelsschiffe im Roten Meer attackiert, um so Druck auf Jerusalem auszuüben. Israel begnügte sich zumeist damit, die feindlichen Flugkörper, so gut es ging, abzuschiessen. Doch jetzt scheint die israelische Regierung mit ihrer Geduld am Ende. Nachdem bereits Mitte Dezember eine Huthi-Rakete in Tel Aviv mehrere Verletzte gefordert hatte, holten die Israeli zum Gegenschlag aus.
Kampfjets der Luftwaffe flogen im 2000 Kilometer entfernten Jemen letzte Woche mehrere Angriffswellen, zerstörten Hafenanlagen, Militäreinrichtungen, Kraftwerke und den Flughafen von Sanaa, wo unter anderem der Kontrollturm und die Landebahn beschädigt wurden. Dabei kamen angeblich vier Menschen ums Leben, mehrere weitere wurden verletzt. «Die Huthi werden lernen, was zuvor schon die Hamas, der Hizbullah und das Asad-Regime gelernt haben», sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu: «Wir fangen gerade erst mit ihnen an.»
Dass es die Israeli ernst meinen, dürfte spätestens seit letztem Herbst klar sein – als Jerusalems Militär in einer zweimonatigen Kampagne dem libanesischen Hizbullah eine schwere Niederlage zufügte und damit Irans von Libanon bis nach Jemen reichendes Milizennetzwerk im Nahen Osten ins Wanken brachte. Inzwischen mussten Teheran und dessen Anti-Israel-Allianz einen weiteren schweren Schlag hinnehmen, als kurz vor Weihnachten das verbündete Regime von Bashar al-Asad in Syrien zusammenbrach.
Kein leichtes Unterfangen
Die Huthi sind daher neben den Resten der schwer beschädigten Hamas in Gaza die letzte irantreue Truppe, die den verhassten jüdischen Staat immer noch verbissen bekämpft. Auch nach den jüngsten Luftangriffen schworen die Jemeniten, weitermachen zu wollen, und schossen sogleich wieder eine Rakete auf Israel ab. Angesichts der Erfolge der letzten Monate ist für die Israeli nun die Versuchung gross, nach der Hamas, dem Hizbullah und Asad auch noch den letzten Feind ausserhalb Irans zu Fall zu bringen.
Dies dürfte aber kein leichtes Unterfangen werden. Denn die Huthi sind in ihrem verarmten und zerklüfteten Stammland im fernen Süden der Arabischen Halbinsel nur schwer zu treffen. Zudem scheinen ihnen Luftangriffe kaum etwas auszumachen. So versuchten nicht nur Briten und Amerikaner die Jemeniten kürzlich vergeblich zur Raison zu bomben. Auch Saudiarabien, welches einst im jemenitischen Bürgerkrieg aufseiten der Huthi-Gegner eingegriffen hatte, biss sich an den Huthi die Zähne aus.
Besonders die Nachbarn der Huthi dürften zudem kein Interesse an einem weiteren Krieg im Nahen Osten haben. Denn die dank iranischer Hilfe mit Anti-Schiff-Waffen und Langstreckenraketen ausgerüsteten Extremisten bedrohen nicht nur Israel, sondern auch die reichen Petrostaaten am Golf. In Riad und Abu Dhabi besteht kaum Appetit auf einen Krieg, bei dem die eigene Infrastruktur Ziel von Huthi-Angriffen werden könnte.
Israel hat eigentlich dringlichere Aufgaben
In Israel selbst ist ein möglicher Jemen-Feldzug ebenfalls nicht unumstritten. So soll der Mossad-Chef David Barnea laut der Nachrichtenseite «Al-Monitor» angeregt haben, das Momentum zu nutzen und den Krieg stattdessen zum Hauptfeind Iran zu tragen. Teherans derzeitige Schwäche wäre eine Gelegenheit, um dem Erzfeind ein für alle Mal einen schweren Schlag zu versetzen und sein Nuklearprogramm auszuschalten, so argumentierte der Geheimdienstchef angeblich.
Ein Angriff auf Iran wäre aber logistisch noch schwieriger als eine effektive Kampagne im fernen Jemen – und ohne amerikanische Hilfe wohl kaum zu stemmen. Zudem hat Israel derzeit dringlichere Aufgaben. Denn es muss seine militärischen Erfolge endlich auch in politische ummünzen. Sonst droht seine Armee in Südlibanon und in Gaza in eine nicht enden wollende Besetzung verwickelt zu werden. Vor allem im Küstenstreifen versinkt sie bereits jetzt in einem Sumpf.
Trotz monatelangen Kämpfen, die unter der traumatisierten, von Hunger und Kälte bedrohten palästinensischen Zivilbevölkerung Zehntausende Opfer gefordert haben, gelingt es Israels Militär bis heute nicht, die dezimierte Hamas dort zur Aufgabe zu zwingen. Stattdessen schoss die Terrortruppe am Wochenende zum ersten Mal seit langem wieder Raketen auf Jerusalem ab. Zudem hält sie immer noch israelische Geiseln gefangen, ohne dass ein Abkommen zu deren Freilassung absehbar wäre.