In immer mehr Gebieten fordert Israel die Menschen zur Evakuierung auf. Das Vorgehen der israelischen Streitkräfte zeigt eine klare Absicht: die Zerteilung der Küstenenklave.
Meist bleibt den Zivilisten im Gazastreifen nur wenig Zeit: Wenn sie von den Israeli zur Evakuierung aufgefordert werden, müssen sie sich schnell in Sicherheit bringen. Am Sonntag hatten die Patienten und das Personal im Al-Ahli-Spital im Norden des Gazastreifens nach einer Warnung per Telefon gerade einmal zwanzig Minuten, um ihr Gebäude zu verlassen. Dann wurde das Spital durch Luftangriffe der israelischen Streitkräfte (IDF) schwer beschädigt. Nach Angaben des israelischen Militärs und des Inlandgeheimdienstes Shin Bet war eine Kommandozentrale der Terrororganisation Hamas im Gebäude das Ziel. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Seit Israel den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen vor vier Wochen wieder aufgenommen hat, häufen sich für die palästinensische Bevölkerung die Aufrufe zur Evakuierung. Standen zunächst der Süden der Küstenenklave und Gebiete entlang der Pufferzone an der Grenze zu Israel im Fokus, weiten die IDF ihre Angriffe im Gazastreifen nun auch auf andere Gebiete aus.
Gravierende Folgen für die Bevölkerung
Etwa die Hälfte des gesamten Territoriums musste in den vergangenen vier Wochen mindestens einmal evakuiert werden. Viele Palästinenser wurden gleich mehrmals vertrieben. Das hat gravierende Folgen für die Bevölkerung: Die Menschen drängen sich auf Territorien entlang der Küste – und die Gebiete, in denen sie sich aufhalten können, werden immer kleiner.
Bereits am Samstag hatte Israel die Ausweitung der Militäroffensive in Gaza angekündigt. «Die Einsätze der IDF werden intensiver und werden auf andere Gebiete über fast den gesamten Gazastreifen ausgedehnt», sagte Verteidigungsminister Israel Katz. Er forderte die Palästinenser auf, sich gegen die Hamas aufzulehnen und alle israelischen Geiseln in der Hand der Terrororganisation freizulassen. Das sei der einzige Weg, um den Krieg zu beenden.
«Morag-Korridor» unter israelischer Kontrolle
Zuvor hatten die Israeli ein neues Gebiet unter ihre Kontrolle gebracht, das sie als «Morag-Korridor» bezeichnen. Der Streifen schneidet die Stadt Rafah im Süden vom Rest des Gazastreifens ab. Er verläuft etwa parallel zum Philadelphi-Korridor, der die Küstenenklave von Ägypten trennt, und parallel zum Netzarim-Korridor weiter nördlich. Der Netzarim-Korridor teilt den Gazastreifen in zwei Teile und soll nach Angaben der IDF ausgeweitet werden.
Das Vorgehen wirft erneut die Frage auf, welchen Plan die israelische Regierung mit Blick auf die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen verfolgt. Allein die israelisch besetzte Pufferzone auf palästinensischem Gebiet umfasst nach Angaben der Zeitung «Haaretz» ein Fünftel der Fläche des Gazastreifens. Die Zeitung zitiert israelische Quellen, nach denen der Gazastreifen in «eine Enklave in einer Enklave» verwandelt werden soll – vollständig umgeben von einer israelisch kontrollierten Pufferzone auf palästinensischem Gebiet.
Israel blockiert Hilfslieferungen
Das Uno-Menschenrechtsbüro sieht Anzeichen dafür, dass Israel das Leben der Palästinenser im Gazastreifen unmöglich machen will: «Angesichts der Auswirkungen des Vorgehens der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen ist das Büro ernsthaft besorgt, dass Israel den Palästinensern im Gazastreifen offenbar Lebensbedingungen zumutet, die mit ihrem Fortbestand als Gruppe im Gazastreifen zunehmend unvereinbar sind», teilte das Büro am Freitag in Genf mit. Seit dem Ende der ersten Phase des Abkommens für eine Waffenruhe und einen Austausch von Geiseln und Gefangenen zwischen der Hamas und Israel blockiert der jüdische Staat sämtliche Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
Die Verhandlungen für eine erneute Feuerpause und ein Ende des Krieges im Gazastreifen sind festgefahren. Nach Angaben des katarischen Nachrichtensenders al-Jazeera überprüft die Hamas zurzeit den jüngsten israelischen Vorschlag. Er umfasst 45 Tage Waffenruhe, die Freilassung weiterer Geiseln, die sich in der Hand der Hamas befinden, und die Entwaffnung der Terrororganisation. Ein Hamas-Funktionär hatte den Vorschlag zuvor als «völlig inakzeptabel» bezeichnet. Derweil ist die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen nach palästinensischen Angaben auf mehr als 50 000 gestiegen. Auch diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.