Mieter unter dem Vorwand einer Sanierung aus ihren Wohnungen werfen: Laut der SP-Nationalrätin hat das bei den grossen Immobilienfirmen mittlerweile System. Sie will deshalb den Markt noch stärker regulieren – trotz Wohnungsknappheit.
Frau Badran, in der Schweiz fehlen gegen 10 000 Wohnungen, Sie aber wollen noch mehr regulieren. Verschärfen Sie damit die Krise nicht nur noch mehr?
Sicher nicht. Dass der Neubau in der ganzen Schweiz rückläufig ist, liegt einzig an den Zinsen, die jüngst gestiegen sind. Zwischen 2008 und 2021 hat sich die Leerwohnungsziffer mit den fast gleichen Gesetzen praktisch verdoppelt – und erreichte fast einen Rekordwert. Weil die Zinsen tief waren, wurde gebaut, was das Zeug hält. Seit der Zinswende wird das Kapital umgeschichtet und fliesst mehr in Aktien, Obligationen und Private Equity. Das zeigt: Die Bautätigkeit ist rein kapitalgetrieben. Man könnte auch sagen: Es bauen die Falschen aus den falschen Gründen für die falschen Leute.
Was meinen Sie damit?
Die Ökonomie unterscheidet zwischen verschiedenen Güterklassen: primär essenziellen, sekundär essenziellen und nicht essenziellen. Zur ersten Klasse gehören Luft, Wasser – und Boden. Die brauchen wir qua Existenz zum Leben. Ökonomisch gesagt: Es herrscht Konsumzwang. Der Wohnungsmarkt ist darum kein normaler Markt. Insbesondere dann nicht, wenn eine Übernachfrage besteht, was in den Schweizer Städten immer der Fall ist, da dort die Arbeitsplätze sind. Es handelt sich also um einen sogenannten Preissetzermarkt: Die Immobilienbesitzer können ein Maximum an Rendite abschöpfen, sofern das nicht ein Gesetz verhindert.
Was in der Schweiz über weite Strecken der Fall ist.
Richtig. Der Staat verbietet es den Anbietern, eine beliebige Rendite zu machen. Weil es beim Wohnen nicht um die maximale Zahlungsbereitschaft geht, sondern um die Abschöpfung der maximalen Zahlungsfähigkeit. Darum sagt der Gesetzgeber, dass es bloss eine Kostenmiete geben darf mit einer gedeckelten Rendite, die nur leicht über dem Referenzzinssatz liegen darf. Das jedoch führt dazu, dass die bilanzgetriebenen Immobilienfirmen ihre Mieter unter dem Vorwand einer Sanierung aus ihren Wohnungen werfen, um damit ihren Ertrag hochzutreiben und eine übersetzte Miete zu verlangen. Denn in bestehenden Mietverhältnissen ist das kaum möglich.
Es wird doch nicht nur saniert, um die Rendite hochzutreiben.
Doch. Bei den grossen Immobilienfirmen hat das System. Nehmen wir die Überbauung Heuried in Zürich, die einem Credit-Suisse-Immobilienfonds gehört. Die Siedlung wurde vor siebzehn Jahren totalsaniert. Jetzt will man sie bereits abreissen und neu bauen. Alle Mieter werden hinausgeworfen. Warum? Die Antwort ist simpel: Dort kostete die 4-Zimmer-Wohnung bisher 2400 Franken. Künftig können die Besitzer zwischen 5000 und 6000 Franken für sie verlangen. Und damit steigt der Bilanzwert der Immobilie stark. Solchen Mietpreisexplosionen wollen wir in Zürich nun mit einer Volksinitiative einen Riegel vorschieben. Bei Immobilieneigentümern wird künftig nach Sanierungen und Ersatzneubauten kontrolliert, ob sie eine illegal übersetzte Rendite machen.
In Basel, das bereits ein solches Wohnschutzgesetz kennt, wird kaum mehr gebaut.
Das ist doch Schwachsinn. Wie gesagt, das liegt an den gestiegenen Zinsen und damit Kapitalkosten. Die Immobilienbesitzer dürfen weiterhin ihre Liegenschaften abreissen und neu bauen. Sie dürfen aber für die neuen Wohnungen keine mietrechtlich übersetzten Renditen verlangen. In Zürich wollen wir aber ohnehin einen moderateren Weg einschlagen als in Basel. Im Initiativtext gibt es eine Kann-Formulierung. Den Gemeinden steht es offen, ob sie die Bewilligung mit Auflagen zur Kontrolle des Mietzinses verbinden. Die Städte Zürich und Winterthur dürften die Regelung übernehmen, andere Gemeinden, in denen die Mietzinsen weniger steigen, eher weniger.
In Basel müssen Vermieter den Behörden melden, wenn sie eine Waschmaschine oder einen Geschirrspüler in eine Wohnung einbauen. Ist das nicht völlig übertrieben?
Hielten sich die Immobilienfirmen an die bestehenden Gesetze, wäre das nicht nötig. Wegen der enormen Bilanzgetriebenheit der grossen Immobilienfirmen wollen sie nun einmal übersetzte, illegale Renditen erzielen. Nur deshalb fiel das Wohnschutzgesetz in Basel so streng aus.
Es kann doch nicht sein, dass Hauseigentümer bei einer Sanierung einen Berater engagieren müssen, weil es so kompliziert ist, die Formulare auszufüllen.
Die Umsetzung des Wohnschutzgesetzes in Basel ist in der Tat nicht optimal ausgefallen. Das höre ich auch von meinen Kollegen in Basel, und Änderungen sind bereits aufgegleist. Allerdings ist die Bürokratie nicht zuletzt die Folge der Obstruktionspolitik von rechts. Man hat die Umsetzung absichtlich möglichst kompliziert ausgestaltet, um danach gegen den Wohnschutz wettern zu können.
Echt jetzt? Die Hauseigentümer sollen schuld daran sein, dass das vom Mieterverband und von den linken Parteien aufgegleiste Wohnschutzgesetz nicht funktioniert?
Für die Umsetzung des Gesetzes war die Regierung des Kantons Basel-Stadt zuständig – und nicht der Mieterverband. Im Übrigen handelt es sich nicht um ein linkes Anliegen, dafür zu sorgen, dass beim Wohnungsbau keine übersetzten Renditen verlangt werden, sondern um ein volkswirtschaftliches. Es fehlen den Leuten jedes Jahr 10,5 Milliarden Franken im Portemonnaie, weil die Vermieter überrissene Mieten verlangen. Das sind 370 Franken im Monat. Und die fehlen dann im Binnenkonsum oder bei der Sparquote. Aber die NZZ mit ihrer ideologischen Fixierung sieht das natürlich nicht.
Was ist so schlimm daran, dass beim Wechsel des Mieters die Mieten auf ein ortsübliches Niveau angehoben werden?
Ist das legal?
Ich dachte, ich stelle hier die Fragen.
Also. Es ist nicht rechtmässig, wenn der Besitzer die Miete beim Wohnungswechsel um 500 bis 1000 Franken erhöht, auch wenn das nur die wenigsten anfechten. Das Mietrecht wird also nicht durchgesetzt. Und ja, das ist schlimm. Wir reden hier vom grössten Posten im Haushaltsbudget!
Wann eine Miete missbräuchlich ist, ist juristisch alles andere als eindeutig.
Im Gesetz ist einerseits von einer Kostenmiete die Rede, gleichzeitig heisst es andernorts, dass die Miete orts- und quartierüblich sein soll, sich also am Markt orientieren soll. Diese beiden Elemente lassen sich unmöglich miteinander verheiraten. Das Bundesgericht sagt dazu, dass im Kriterienkatalog zuoberst die Kostenmiete steht – erst danach kommt die Quartier- und Ortsüblichkeit. Nur wenn die Liegenschaft schon länger als dreissig Jahre gehalten wird, hat das zweite Kriterium Vorrang, dies wird aber extrem restriktiv gehandhabt. Trotzdem werden de facto verbotene Marktmieten durchgesetzt, indem Sanierungen vorgeschoben werden, um die Mieter hinauszuwerfen.
Zusammen mit dem Mieterverband möchten Sie eine Initiative lancieren, die auf nationaler Ebene die Kostenmiete und den Renditedeckel mittels Kontrollen durchsetzen will. Droht damit nicht erst recht ein Bürokratie-Overkill?
Ach was. In diesem Land hat es gut 600 000 Unternehmen. Sie alle unterstehen drei Revisionspflichten – der Mehrwertsteuer, der AHV und den allgemeinen Steuern. Für die Unternehmen bedeutet dies, dass alle vier bis sechs Jahre ein Beamter vorbeikommt, um die Bücher zu durchwühlen. Meistens findet er irgendetwas, die Firma muss eine Korrekturbuchung machen und nachzahlen. Das ist extrem wenig bürokratisch, aber sehr wirkungsvoll.
Künftig müssten die Kontrolleure häufiger vorbeikommen.
Das Entscheidende ist doch: Wegen dieser Revisionen betrügt kein Unternehmen aktiv bei der AHV, der Mehrwertsteuer oder den allgemeinen Steuern. Man weiss, es kommt sonst ohnehin raus. Darum soll bei den Immobilienfirmen ebenfalls periodisch kontrolliert werden, ob sie die Gesetze einhalten.
Jeder Mieter kann seine Miete doch schon heute anfechten, wenn er findet, dass diese zu hoch sei.
In der Theorie schon. Nur macht das fast niemand. Viele wissen gar nicht, dass sie das können. Und die, die es wissen, trauen sich häufig nicht. Wer will schon den Vermieter vor Gericht schleppen, kaum hat er den Mietvertrag unterschrieben? Hinzu kommt: Man kann nur die Anfangsmiete anfechten – und auch das muss innerhalb eines Monats geschehen. Schliesslich herrscht in vielen Kantonen keine Transparenz über die Vormieten.
Wenn so viele überrissene Mieten gezahlt würden, müsste sich das auch im Haushaltsbudget zeigen. Anteilsmässig sind die Kosten fürs Wohnen aber nicht gestiegen.
Für die obersten Einkommensklassen mag das stimmen. Bei allen anderen sind die Ausgaben fürs Wohnen in den letzten Jahren prozentual deutlich angestiegen. Hinzu kommt: Die Erwerbsbeteiligung hat stark zugenommen, weshalb auch die Einkommen der Haushalte stark angestiegen sind.
Das bedeutet doch: Die Kosten fürs Wohnen sind tragbar.
Sie sagen damit, die, «die es sich leisten können», sollen übersetzte Renditen finanzieren? Monat für Monat? Ein Familienhaushalt arbeitet heute oft in einem Pensum von 160 Prozent. Häufig ist das nötig, damit man sich das Wohnen überhaupt leisten kann. Nochmals: Über 10 Milliarden jährlich werden illegal abgesogen. Das ist inakzeptabel.
Die von Ihnen geforderte Regulierung würde doch dazu führen, dass die Investitionstätigkeit der Immobilienfirmen weiter zurückgeht.
Ja und? Vielleicht wäre es ja besser, wenn das anonyme Kapital künftig dem Immobilienmarkt fernbleibt. Heute kann sich eine normale Mittelstandsfamilie nicht annähernd ein Einfamilienhaus leisten. Kleine Mehrfamilienhäuser gehen für 15 Millionen Franken weg! Das liegt auch daran, dass immer mehr Kapital um den knappen Boden buhlt. Kein Wunder, explodieren die Bodenpreise.
Aber es würde weniger gebaut.
Nein. Weil Kapital nicht der limitierende Faktor ist. Erschweren wir es den kommerziellen Anbietern, eine übersetzte Rendite zu erzielen, dann bauen wieder mehr Menschen für Menschen Wohnungen. So wie es sich gehört. Zudem könnten die Leute wieder vermehrt für sich selber bauen oder Mehrfamilienhäuser erwerben. Der gemeinnützige Bau wird heute in den Städten verdrängt. Ich weiss von mindestens fünfzig Arealen in Zürich und Umgebung, bei denen Allreal, Mobimo, Swiss Life und wie sie alle heissen, den Genossenschaften Land weggeschnappt haben. Und wer sitzt in diesen Immobilienfirmen: Blackrock, JP Morgan, BNP Paribas, Citygroup. Warum soll ich als Schweizer Politikerin dafür sorgen, dass deren Rendite stimmt? Erklären Sie das einmal Ihren Leserinnen und Lesern.
Noch einmal: Wer soll dann in den Bau von neuen Wohnsiedlungen investieren?
Die Genossenschaften könnten den ganzen Neubau ohne Probleme stemmen. Kapital dafür hat es mehr als genug. Nur müssen die Gemeinden ihnen Land im Baurecht vergeben.
Es geht also doch nur mit Subventionen.
Oje! Baugenossenschaften sind nicht subventioniert. Im Gegenteil: Für die Gemeinden ist die Vergabe von Land im Baurecht ein lukratives Geschäft. Sie erhalten die Zinsen, zugleich bleiben die Wertsteigerungen im Volksvermögen. Das Problem ist doch vielmehr, dass die Genossenschaften nicht zu genug Land und Gebäuden kommen. In Zürich Leutschenbach hat eine Genossenschaft in unmittelbarer Nähe zu einer Abfallverbrennungsanlage eine Siedlung gebaut und damit das Quartier aufgewertet. Das Land vis-à-vis ging dann aber an die Swiss Life. Sie bot und zahlte irrsinnige 13 000 Franken für den Quadratmeter. Das zeigt: Das einheimische private Kapital wird verdrängt.
Jetzt klingen Sie fast wie eine SVP-Vertreterin.
Wir müssen aufhören, immer mehr Kapital aus dem Ausland hineinzulassen. Deshalb muss auch die Lockerung der Lex Koller wieder rückgängig gemacht werden, die verhindert, dass Personen aus dem Ausland Schweizer Immobilien als Anlageobjekte kaufen können. Die Immobilienpreise würden damit sinken – und es gäbe wieder mehr selbstbewohntes Eigentum.
Mit dieser Mission sind Sie ja 2011 ins Parlament gekommen.
Ja. Ich wollte endlich eine anständige nationale Immobilienpolitik aufbauen. Daran hat sich nichts geändert. Ich mache alles dafür, dass der Boden jenen gehört, die ihn nutzen und davon abhängig sind. Für mich gibt es beim Wohnen nur zwei Formen des Eigentumsverhältnisses: das private selbstbewohnte Eigentum und das kollektive selbstbewohnte Eigentum – also Wohngenossenschaften. In der Verfassung steht nicht umsonst, dass diese beiden Wohnformen zu fördern sind.