Sie machten Gipfelerfolge im Himalaja überhaupt erst möglich, doch kaum einer kannte ihre Namen. Dank dem Netflix-Helden Nirmal Purja und anderen Ausnahmekönnern hat sich das Blatt gewendet.
Am 13. Mai 1960 gelang Kurt Diemberger, Peter Diener, Ernst Forrer und Albin Schelbert die Erstbesteigung des 8167 Meter hohen Dhaulagiri. Die vier Namen sind weithin bekannt. Aber wie viele kennen Nawang Dorje und Nyima Dorje, die gemeinsam mit den Schweizern auf dem Gipfel des siebthöchsten Berges der Welt waren?
Auch der Name von Maurice Herzog, der gemeinsam mit Louis Lachenal als Erster den Gipfel der Annapurna erreichte, ging in die Alpingeschichte ein. Es war die erste Besteigung eines Achttausenders überhaupt. Wer aber kennt Ang Tharkay Sherpa, der Herzog kilometerweit auf seinem Rücken trug, weil der Franzose aufgrund seiner Erfrierungen nicht mehr gehen konnte?
Einmal wollte der Moderator Günther Jauch in seiner Quizshow «Wer wird Millionär?» vom Teilnehmer wissen: «Mit wem stand Edmund Hillary 1953 auf dem Gipfel des Mount Everest?» Es war die Millionenfrage.
Immer wieder machten Einheimische mit ihrer Erfahrung und ihrer harten Arbeit bergsteigerische Erfolge überhaupt erst möglich. Tenzing Norgay war bereits ein Jahr vor dem Erfolg am höchsten Berg der Welt mit einer schweizerischen Expedition bis auf rund 8600 Meter aufgestiegen. Und der Sherpa Pasang Dawa Lama soll Herbert Tichy mit den Worten «A mountain can do» auf einen hohen Berg aufmerksam gemacht haben, der mit einfachen Mitteln zu schaffen sei. Am 19. Oktober 1954 erreichten Tichy, Sepp Jöchler und der Nepalese als Erste den Gipfel des 8188 Meter hohen Cho Oyu.
Unterbezahlt und unterschätzt
Warum führten Sherpas und Balti, die unterbezahlt und vielfach unterschätzt wurden, im Himalaja aber ganz erheblich zum Erfolg von Expeditionen beitrugen, über Jahrzehnte ein Schattendasein? Mit dieser Frage hat sich Bernadette McDonald beschäftigt. Die Kanadierin hat ein Buch über bergsteigende Sherpas und Balti in Nepal und Pakistan geschrieben, dessen deutsche Übersetzung demnächst im AS-Verlag erscheint.
McDonald hat Expeditionsberichte gelesen und mit Menschen in Pakistan und Nepal, aber auch mit Bergsteigern aus Europa und Amerika gesprochen. Ihre Antwort: «Ich denke, es hat alles damit zu tun, wer die Berichterstattung macht. Die Geschichte feiert die Sieger. Das waren im Fall des Himalaja-Bergsteigens immer die Ausländer.» Die Autorin ist sich sicher: Den Einheimischen keine grössere Beachtung zu schenken oder sie in Berichten nicht namentlich zu nennen, sei keine «bewusste Verschleierung» gewesen. Es habe gerade bei den frühen Expeditionen vielfach mit dem Zeitgeist zu tun gehabt. «Wir sind uns heute alle des Kolonialismus und dieser Art des Umgangs mit den Einheimischen und den lokalen Kulturen bewusst, insbesondere mit den Menschen, die ungebildet und ungelernt, aber unglaublich stark und bereit waren, unter fast allen Bedingungen zu arbeiten.»
Diese Zeiten sind vorbei. Heute sind es die Einheimischen, die an den hohen Bergen den Ton angeben. «Einmal mehr haben die Sherpas bewiesen, dass sie den Berg mit beeindruckenden Leistungen in der Höhe dominieren», schreibt Alan Arnette in der Zusammenfassung der diesjährigen Everest-Saison.
Arnette, ein amerikanischer Bergsteiger, der seit vielen Jahren in einem Blog das Geschehen an den Achttausendern abbildet, verweist auf die Himalayan Database. Laut ihr haben zwischen 1950 und 2023 insgesamt 6097 Sherpas den Everest bestiegen, verglichen mit 5899 Expeditionsteilnehmern. Aus der Himalayan Database geht das so genau hervor, weil Elizabeth Hawley, die Gründerin der Chronik des Bergsteigens in Nepal, bei sämtlichen Expeditionen immer auch die Namen der Einheimischen notiert hat. «Der Abstand wird jedes Jahr grösser», sagt Arnette.
Ihre Namen werden zunehmend bekannter, und doch sind die regionalen Unterschiede weiterhin gross. «Die Situation der einheimischen Bergsteiger in Pakistan ähnelt immer noch derjenigen, wie sie im Laufe der Geschichte war, während sie in Nepal erfolgreicher darin waren, ein neues Kapitel für sich zu schreiben», sagt McDonald.
In Nepal haben es die einheimischen Bergsteiger geschafft, sich zu emanzipieren. Sie werden von nicht erwähnten Arbeitern zu anerkannten Höhenbergsteigern, einige sogar zu internationalen Superstars und erfolgreichen Unternehmern. Kami Rita Sherpa, der mittlerweile 30-mal auf dem Gipfel des Mount Everest stand, führt heute sogar Gäste auf Berge in den USA.
Lasten auf Berge zu tragen, Gäste auf einen Berg zu bringen, das ist das eine. Die andere Seite der Medaille: die Logistik. Bei Nirmal Purjas Hatz über die 14 Achttausender innerhalb von nur etwas mehr als einem halben Jahr, durch eine Netflix-Dokumentation einem Millionenpublikum auch ausserhalb der Bergsteiger-Szene bekanntgemacht, staunten auch langjährige Beobachter. War das die Diplomarbeit, folgte mit Kristin Harila die Promotion. Die Norwegerin benötigte für die Besteigung sämtlicher Achttausender gerade einmal 92 Tage und war damit nicht einmal halb so lang unterwegs wie Purja.
Mingma Sherpa, der erste Nepalese, der alle 14 Achttausender bezwungen hat, erkannte wiederum die kommerziellen Chancen und das wirtschaftliche Potenzial des Bergsteigens. Mit Seven Summit Treks, der grössten Expeditionsagentur in Nepal, bietet er heute Expeditionen zu den höchsten Gipfeln sämtlicher Kontinente an. Ob Elbrus, Kilimandscharo oder Mount Vinson in der Antarktis, Seven Summit Treks macht es möglich.
Mittlerweile dominieren Anbieter aus Nepal auch das Bergsteigen an den Achttausendern in Pakistan. «Bis vor ein paar Jahren waren die Japaner am K 2 führend. Japan war die Nation, die am meisten erfolgreiche Bergsteiger stellte. Mittlerweile wurden in der Erfolgsstatistik die Japaner von den pakistanischen Hochträgern überholt. Und insgesamt waren sogar dreimal so viele Nepalesen wie Japaner auf dem K 2», sagt Eberhard Jurgalski, der das Portal 8000ers.com betreibt.
Spätestens mit der erfolgreichen Wintererstbesteigung des K 2 im Januar 2021 zeigten die Nepalesen, dass sie ernstzunehmende Bergsteiger sind. Nirmal Purja hatte das Vorhaben zu einer Angelegenheit von nationaler Bedeutung erklärt. Obwohl auch Bergsteiger aus anderen Nationen im Basislager auf ihre Chance warteten, stiegen nur Nepalesen auf. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurden die Bergsteiger als Helden gefeiert.
Am Nanga Parbat Geschichte geschrieben
Bereits einige Jahre vorher war in Pakistan Ali Sadpara zum Volkshelden geworden. Er stand Ende Februar 2016 gemeinsam mit dem Basken Alex Txikon und dem Italiener Simone Moro auf dem Gipfel des Nanga Parbat. Es war die erste Winterbesteigung des Berges. Als er diesen Erfolg wiederholen und auch den Gipfel des K 2 im Winter erreichen wollte, starb er oberhalb des Lagers IV.
Sadpara, der so heisst, weil er aus dem Dorf Sadpara bei Skardu stammte, inspirierte Bernadette McDonald zu ihrem Buch. Sie sagt: «Ich war immer sehr beeindruckt von ihm, aber unzufrieden mit der mangelnden Anerkennung, die er für seine Besteigungen erhielt, einschliesslich der ersten Winterbesteigung des Nanga Parbat. Als ich anfing, mehr darüber nachzudenken, wurde mir klar, dass dies eher ein Muster als eine Ausnahme war.» In der Stadt Gilgit wurde inzwischen ein Denkmal für Sadpara errichtet.
Die wachsende Anerkennung und die damit verbundenen Vorzüge haben auch Frauen in Nepal und Pakistan erkennen lassen, welche Chancen ihnen die Berge eröffnen können. Dawa Yangzum Sherpa habe allen Widrigkeiten getrotzt und die Bergführerprüfung abgelegt. «Sie ist die erste und bisher einzige Sherpa-Frau, die diese Qualifikation hat. Sie hat auch Führungsqualitäten bewiesen, indem sie andere junge nepalesische Mädchen in die Berge mitnahm und ihnen Klettern beibrachte», erklärt McDonald.
In Pakistan nennt McDonald beispielhaft Naila Kiani, die alle 14 Achttausender besteigen will. «Ihre wahren Fähigkeiten zeigen sich aber auf andere Weise. Sie ist im Vorstand einer NGO in Skardu, die jungen Mädchen Bergsteigen beibringen will.» Dieses Jahr leitete Naila Kiani eine Reinigungskampagne am K 2, bei der auch die Leiche von Mohammed Hassan geborgen wurde. Der Träger erlangte im vergangenen Jahr traurige Berühmtheit, als eine Kolonne von Bergsteigern über den sterbenden Pakistaner hinweg Richtung Gipfel aufstieg.
Vollenden, woran andere scheiterten
«Ich sehe eine glorreiche Zukunft für die Einheimischen in Himalaja und Karakorum», sagt der Chronist Jurgalski. Aus den nepalesischen und pakistanischen Trägern seien gute Bergsteiger geworden. Und sie hätten das Ziel, immer besser zu werden. Irgendwann werde ein Nepalese die Everest-Lhotse-Überschreitung machen, ist der Achttausender-Chronist überzeugt. Ueli Steck hatte sich die schwere Route für seine letzte Expedition, bei der er an den Hängen des Nuptse tödlich verunglückte, zum Ziel genommen.
Für einen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Jahren kommen könnte, sorgte im Frühjahr der Erfolg einer Expedition am Cho Oyu. Gelje Sherpa erfüllte sich einen Lebenstraum. Er brachte Anfang Juni ein Team aus sechs Sherpas und dem erst 18 Jahre alten, in Frankreich lebenden schottischen Bergsteiger Alasdair McKenzie auf den Gipfel des sechsthöchsten Berges der Welt.
Es war der erste Gipfelerfolg über die schwierige Südseite seit fünfzehn Jahren und dem damaligen Aufstieg der russischen Ausnahme-Alpinisten Denis Urubko und Boris Dedeschko. Hätte es eines Beweises dafür bedurft, dass Nepalesen nicht nur Fixseile verlegen, sondern an den höchsten Bergen der Welt auch neue Routen eröffnen können, wurde er damit erbracht.
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