Sinner wird nach seinem Dopingvergehen für drei Monate gesperrt, doch sportliche Konsequenzen hat dies für den Südtiroler kaum. Schon am French Open wird er zurück sein: als Weltranglisten-Erster.
Der Dopingfall um den italienischen Weltranglisten-Ersten Jannik Sinner nahm am Wochenende eine unerwartete Wende: In einem Vergleich mit dem Tennisspieler einigte sich die Welt-Antidopingagentur (Wada) mit dem 23-jährigen Südtiroler darauf, ihn für drei Monate zu sperren. Mitte April hätte Sinner vor dem Internationalen Sportschiedsgericht in Lausanne (TAS) zu einer Anhörung antreten müssen. Dieser Termin ist nun obsolet geworden.
Sinners Entgegenkommen ist kein Schuldeingeständnis, sondern ein Versuch, den Schaden zu begrenzen. Schiedssprüche des TAS sind immer von Unsicherheit umweht. Im schlimmsten Fall hätte das Gremium Sinner für voll schuldig befinden und ihn für bis zu vier Jahre sperren können. Das hätte seine noch junge, aber bereits sehr erfolgreiche Karriere mehr oder weniger beendet.
Es gibt mehrere Beispiel dafür, wie schwierig es ist, nach einer solchen Zwangspause wieder Tritt zu fassen und den Anschluss an die Weltbesten erneut zu schaffen. Sinner hätte in diesem Fall sämtliche seiner Weltranglistenpunkte verloren und seine Karriere damit ganz unten in der ATP-Tour neu beginnen müssen. Von einem sogenannten Protected Ranking, wie es verletzte Spieler bei ihrer Rückkehr auf die Tour jeweils erhalten, kann ein des Dopings überführter Spieler nicht profitieren.
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— Jannik Sinner (@janniksin) January 31, 2025
Kritiker erhalten Aufwind
Im März 2024 war Sinner am Turnier in Indian Wells und kurz darauf im Training positiv auf die verbotene Substanz Clostebol getestet worden. Die Tennis-Dopingbehörde ITIA hatte ihn zuerst gesperrt, diese Sanktion nach Sinners Erklärung aber schon nach wenigen Tagen aufgehoben. Gegen diesen Entscheid legte die Wada im September Rekurs ein und zog diesen ans TAS weiter. Am Samstag bestätigte sie einerseits den Vergleich und teilte gleichzeitig mit, den Rekurs zurückzuziehen.
Jannik Sinner akzeptiert die dreimonatige Sperre, die ihn nicht nur von Turnieren, sondern auch von Trainingsplätzen fernhält. Seine Sperre hat rückwirkend am 9. Februar begonnen, also unmittelbar nach seinem zweiten Titel am Australian Open. Am 4. Mai, also rechtzeitig für die Vorbereitung für das zweite Grand-Slam-Turnier der Saison in Roland-Garros, wird er wieder spielberechtigt sein, weil ihm die vier Tage angerechnet werden, welche er unmittelbar nach dem positiven Test im vergangenen Frühjahr abgesessen hatte. Mit dem Training darf er bereits am 13. April wieder starten. Fürs Heimturnier in Rom wird er teilnahmeberechtigt sein.
Sinner hatte von Anfang an gesagt, dass die verbotene Substanz über die Hände seines Masseurs in seinen Blutkreislauf gelangt sei. Für entsprechende Fälle hat der Tennisspieler in den Verträgen mit seinen Betreuern eine Verantwortlichkeitsklausel. Der betreffende Masseur hat seine Arbeit für den Italiener mittlerweile niedergelegt.
Für Sinner nimmt damit eine unschöne Angelegenheit ein einigermassen versöhnliches Ende. Doch die Kritiker, die schon seit einiger Zeit bemängeln, dass nicht bei allen Spielern dieselben Massstäbe angelegt würden, erhalten durch den Vergleich Aufwind. Als Erster meldete sich der Australier Nick Kyrgios, der auf der ATP-Tour sieben Turniere gewonnen hat und der auf seinem X-Account schrieb, dass dies «ein trauriger Tag für das Tennis ist». Fairness existiere im Tennis nicht.
Kritik äusserte auch der Schweizer Stan Wawrinka, was auch deshalb nicht frei von Brisanz ist, weil der Romand vom selben Management betreut wird wie Sinner. Wawrinka schrieb auf X: «Ich glaube nicht mehr an einen sauberen Sport.»
I don’t believe in a clean sport anymore …
— Stanislas Wawrinka (@stanwawrinka) February 15, 2025
Im Zweifel für den Angeklagten
Sinner ist kein notorischer Doper. In der Probe wurde eine sehr kleine Menge der fraglichen Substanz festgestellt (76 und 86 Pikogramm pro Milliliter Blut). Selbst Fachleute streiten sich darüber, ob solche Dosierungen überhaupt einen leistungssteigernden Einfluss haben. In der Wada wird deshalb diskutiert, ob solche geringe Mengen allenfalls nicht mehr verfolgt werden sollen.
Sinner äusserte sich gegenüber der italienischen Presseagentur Ansa und in einer Medienmitteilung. Er sagte: «Ich habe immer akzeptiert, dass ich für mein Team verantwortlich bin. Ich glaube, dass die strengen Wada-Regeln wichtig sind für den Sport, den ich liebe. Auf dieser Grundlage habe ich das Angebot angenommen, das Verfahren mit einer dreimonatigen Sanktion zu regeln.»
Sinner ist zweifellos der Gewinner dieses Vergleichs. Er kann sich im Frühling wieder aufs Tennis konzentrieren. Er hat seit den Kontrollen von Indian Wells kein Grand-Slam-Turnier verpasst und sich als Nummer 1 der Welt etabliert. Wäre die juristische Verhandlung wie vorgesehen im kommenden April abgehalten worden und hätte sie mit einer dreimonatigen Sperre geendet, dann hätte Sinner sowohl das French Open als auch Wimbledon verpasst.
Auch die Dopingbehörde ITIA sieht sich durch den Vergleich bestätigt, obwohl sie Sinner freigesprochen hat. Die Wada warf ihr in ihrer Beurteilung nicht vor, Sinner im Vergleich mit anderen Profis bevorzugt zu haben.
Sinner darf die sieben Titel und die Weltranglistenpunkte, die er seit dem Bekanntwerden der positiven Dopingproben gewonnen hat, behalten. Während der dreimonatigen Sperre wird er einzig die 1600 Punkte einbüssen, die er in Indian Wells nicht verteidigen kann. Doch sein Vorsprung im Ranking auf Alexander Zverev, den ersten Verfolger, beträgt 3695 Punkte.
Das Tennis und mit ihm sein italienischer ATP-Chairman Andrea Gaudenzi sieht sich nicht zum ersten Mal dem Vorwurf ausgesetzt, Dopingvergehen nicht mit der letzten Konsequenz zu verfolgen. Doch wie heisst es in der Rechtsprechung so sinnig: Im Zweifel für den Angeklagten. Dieser Grundsatz dürfte auch im Fall von Jannik Sinner zur Anwendung gelangt sein.