Carlos Barria / Reuters
Die Stunde Joe Bidens schlug, als das amerikanische Wahlvolk 2020 in ihm einen Retter gegen Donald Trump erkannte. Doch dessen Schatten wurde Biden nie mehr los. Nun hat Biden kapituliert und ist als Präsidentschaftskandidat zurückgetreten – ohne Trump endgültig gestoppt zu haben.
Ein Biden gibt nie und nimmer auf – ausser die erbarmungslos tickende Lebensuhr zwingt ihn dazu. Von Kindsbeinen an war Joe Bidens Durchhaltewillen sprichwörtlich, seine Ambition grenzenlos. Mit 17 Jahren vom Vater seines besten Freundes nach einem Berufswunsch gefragt, war er um eine Antwort nicht verlegen: «Ich will Präsident der Vereinigten Staaten werden.»
Beeilt hat er sich auf diesem Weg nicht sonderlich, aber mit 78 Jahren zog er tatsächlich ins Weisse Haus ein. Mit 81 Jahren, deutlich älter als jeder amerikanische Präsident vor ihm, stürzte er sich voll Eigensinn und Selbstüberschätzung sogar noch ins Rennen um eine weitere Amtszeit. Nun hat ihm sein Alter einen Strich durch die Rechnung gemacht – oder genauer, die Rebellion seiner Partei, die das Risiko eines geistig beeinträchtigten und körperlich gebrechlichen Kandidaten nicht länger tragen wollte. Weniger als vier Monate vor der Wahl tauschen die Demokraten ihren Kandidaten aus, ein in der amerikanischen Geschichte präzedenzloser Schritt mit noch völlig unabsehbaren Folgen.
Wie die Wiederholung des Duells Biden gegen Trump ausgegangen wäre, wird die Welt nie wissen. Bidens Bild in der Geschichte wird massgeblich davon abhängen, ob die mutmassliche Ersatzkandidatin Kamala Harris diesen Kampf im November doch noch zum Erfolg führen kann.
Es ist üblich geworden, Donald Trump als einen der ausgefallensten Präsidenten der amerikanischen Geschichte zu bezeichnen. Dafür spricht einiges – die fehlende Erfahrung in einem politischen Amt, sein Hintergrund im Showbusiness, seine Unflätigkeit. Meist geht jedoch vergessen, dass auch Präsident Biden eine höchst untypische Figur ist.
Sein Alter ist dabei nur der vordergründigste Punkt. Einzigartig war aber auch sein Weg zur Präsidentschaft, der nach wiederholten Misserfolgen erst im Jahr 2020 ans Ziel führte. Die Amerikaner haben normalerweise keine Geduld mit ewigen Anwärtern auf das höchste Amt. Ein gescheiterter Versuch gereicht durchaus zur Ehre, aber wer zweimal hochkant auf die Nase fällt wie Biden (1987 und 2007), erntet beim dritten Anlauf sonst nur noch Spott.
Auch seine Laufbahn wich ab vom üblichen Elixier für eine erfolgreiche Kandidatur: 36 Jahre lang hatte es sich der Langzeitsenator aus Delaware im Kongress gemütlich gemacht. Solche Politiker gelten normalerweise als volksferne Sesselkleber, die niemanden mehr elektrisieren. Jahrzehntelang galt es als ehernes Gesetz, dass ein Parteiwechsel im Weissen Haus nur mit einem frischen Gesicht gelingen kann. Biden jedoch schien die Regeln der amerikanischen Politik aufzuheben.
Jungstar und früher Witwer
Gegen das Alter und das Schwinden der Kräfte war zuletzt aber auch Biden machtlos. Dass das Schicksal manchmal andere Pläne schmiedet, wusste er selbst zur Genüge. Bidens Leben war von schweren Rückschlägen gekennzeichnet, persönlichen Dramen, die viele andere aus der Bahn geworfen hätten. Fünf solche Zäsuren sind für das Verständnis seiner Biografie wesentlich. Ein erstes Mal schlägt das Schicksal zu, als Biden vermeintlich im Glück badet: Im November 1972 wird er in den Senat gewählt, erst 29-jährig, ein demokratischer Hoffnungsträger in einem Wahljahr, das seiner Partei sonst lauter Schlappen einbringt.
Der junge Star, seine gutaussehende Frau und die drei kleinen Kinder zieren amerikanische Zeitschriften. Doch dann erreicht Biden eine Hiobsbotschaft: Ein Lastwagen hat das Auto mit seiner Frau und den Kindern gerammt. Neilia und das Töchterchen Naomi sind tot, die beiden Söhne Beau und Hunter schwer verletzt.
Biden hat später offen über diesen Tiefpunkt in seinem Leben gesprochen. Er denkt an den Ausstieg aus der Politik, gar an Suizid. Sein Mandat nimmt er schliesslich trotzdem an; den Amtseid legt er am Spitalbett seines ältesten Sohnes ab. Im Juni 1987 – inzwischen neu verheiratet und längst ein einflussreicher Kongresspolitiker – wagt Biden den nächsten grossen Schritt. Er bewirbt sich um die Präsidentschaft. Aber schon wenige Wochen später entgleist seine Kampagne wegen eines Plagiats in einer Rede und falscher Prahlereien über seinen akademischen Leistungsausweis.
Nach heutigen Standards sind dies keine Todsünden, aber 1987 herrscht ein anderer Geist. Bidens Kampagne ist zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Eine Hirnblutung kostet ihn wenig später beinahe das Leben.
Zwanzig Jahre später nimmt der inzwischen 64-jährige Biden einen neuen Anlauf. Diesmal ist er nur noch ein Aussenseiter. Das Feld der demokratischen Präsidentschaftsbewerber für 2008 umfasst illustre Namen wie Hillary Clinton und Barack Obama. Über den jungen schwarzen Senatskollegen möchte Biden zum Auftakt seiner Kampagne einige anerkennende Worte sagen: Es sei der erste afroamerikanische Politiker, «der sich gut ausdrücken kann, klug ist und sauber und nett aussehend».
Bereits am ersten Tag seiner Präsidentschaftskampagne tritt Biden damit in ein Fettnäpfchen. Sein Sprecher drückt es später gegenüber dem Biden-Biografen Jules Witcover so aus: «Die Kampagne endete am Tag, an dem sie begann.» Formell gibt der Senator elf Monate später auf, nachdem er in der ersten Vorwahl weniger als ein Prozent der Stimmen erhalten hat.
Die letzte Chance
Als Vizepräsident unter Obama erlangt Biden eine neue Statur. Unerwartet eröffnet dies ihm eine Chance, den Traum von der Präsidentschaft doch noch zu verwirklichen. 2016, im Rennen um die Nachfolge Obamas, würde er 73 Jahre alt sein – weshalb sollte dies zu alt sein? Erneut ist es eine Tragödie in der Familie, die ihn zurückwirft. Sein Sohn Beau, selber ein aufstrebender Politiker, erliegt 2015 einer Krebserkrankung. Biden fühlt sich nach eigener Aussage mental nicht in der Lage, eine Kampagne vorzubereiten. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit: Gegen seine innerparteiliche Rivalin Hillary Clinton hätte er einen äusserst schweren Stand gehabt.
Der alternde Politiker hat 2016 damit seine letzte Gelegenheit verpasst – so scheint es zumindest. Und doch öffnet sich nochmals ein Türchen. Nach dem Abgang Clintons und Obamas fehlt es der Demokratischen Partei an Schwergewichten. Biden springt in die Lücke und wird dank seiner Bekanntheit zum Spitzenreiter unter den zwei Dutzend Demokraten, die 2020 den Republikaner Trump herausfordern wollen. Ein Schock ereilt ihn jedoch mit den ersten Vorwahlen. Biden schafft es in Iowa nur auf den vierten Platz, in New Hampshire gar nur auf den fünften. Erneut werden politische Nachrufe auf ihn geschrieben.
Biden überwindet diesen Tiefpunkt jedoch rasch. Er gewinnt die wichtige Vorwahl von South Carolina, profitiert vom Kollaps der geldstrotzenden Kampagne des Multimilliardärs Mike Bloomberg und steht plötzlich als letztes Bollwerk gegen den sozialistischen Flügel um Bernie Sanders da. Der Weg an die Parteispitze ist frei.
Doch was war das Geheimnis dieses Mannes, der sich bis zum jetzigen bitteren Ende nach jedem Sturz aufrappeln konnte? Die Antwort lässt sich auf eine kurze Formel bringen: «That’s Joe.» Es war ein oft geäusserter Satz über Biden und ein schillernder dazu. Er konnte mit Sympathie in der Stimme ausgesprochen werden, aber ebenso gut mit verdrehten Augen. «So ist Joe eben.» Der Satz immunisierte den Politiker, machte ihn zum Menschen mit verzeihlichen Schwächen. Über die Jahre konnte man ihn hören, wenn Biden auf dem verbalen Glatteis ausgerutscht war oder wenn er den Arm einer Frau etwas gar innig gedrückt hatte.
«Es ist unmöglich, Joe nicht gern zu haben», schrieb der frühere Verteidigungsminister Robert Gates in seinen Memoiren – ein Regierungskollege, der mit Biden politisch selten einer Meinung war. Aber er beschrieb ihn als bodenständig und voller Selbstironie.
Auch Obama machte diese Erfahrung, je besser er Biden kennenlernte. Nach einem missratenen Start in ihrem Verhältnis kamen sich die beiden näher und bildeten während Obamas Präsidentschaft ein erfolgreiches Gespann. Dieses langsame Kennen- und Schätzenlernen im übertragenen Sinn schien vor der Präsidentschaft Bidens auch auf wachsende Teile der amerikanischen Bevölkerung zuzutreffen. Man fasste Vertrauen und lächelte Bidens Schwächen weg. «So ist Joe eben.» Doch dieses Rezept funktionierte nicht mehr, als sich die Fehler in seiner Präsidentschaft häuften und seine Gebrechlichkeit immer alarmierender wurde.
Das irische Temperament
Bidens Volkstümlichkeit war ein politischer Trick, aber nicht völlig gekünstelt. Der Politiker hat seine Herkunft aus der Bergbaustadt Scranton in Pennsylvania manchmal so dargestellt, als stamme er selber aus der Arbeiterklasse. Aber sein Vater und seine Grossväter schufteten nicht in den Kohleminen, sondern gehörten dem Mittelstand an. Dennoch wuchs der junge Joe in einem Milieu auf, in dem die Härten des Existenzkampfes erfahrbar waren. Sein Vater hatte es als junger Mann zu Geld gebracht, erlitt dann aber berufliche Rückschläge und biss sich eine Weile als Servicetechniker durch, bis er mit seiner Familie in Delaware als Autohändler zu neuem Wohlstand gelangte.
Geboren wurde Joseph Robinette Biden junior, wie der Präsident mit vollem Namen heisst, am 20. November 1942. Der Mittelname verweist auf Bidens französische Ahnenlinie, aber zu etwa fünf Achteln ist der Politiker irischer Abstammung – ein Umstand, den er gerne hervorhebt. Er lebt so manchem irischen Klischee nach, mit Charakterzügen wie Emotionalität, Hilfsbereitschaft und der Fähigkeit, eine gute Geschichte nicht unnötig kurz zu erzählen.
Iren sind auch bekannt für ihren Familiensinn, und für Biden gilt dies ausgesprochen. Er, seine Geschwister und seine Kinder bilden ein Netzwerk, das stets auch eine Stütze in Wahlkämpfen war. Die verschiedenen Tragödien in der Familie machten es nur noch enger. Die Kehrseite von Bidens Familiensinn war allerdings, dass der Politiker beide Augen zudrückte, wenn Verwandte sich auf dubiose Geschäfte einliessen. Seine Brüder und sein Sohn Hunter schlugen aus dem berühmten Namen schamlos Kapital.
Biden schritt nicht einmal ein, als sein Sohn von einem korrupten Oligarchen in der Ukraine ein üppig bezahltes Verwaltungsratsmandat annahm, während sein Vater als Vizepräsident den Kurs gegenüber jenem Land mitgestaltete. Die Nachsicht gegenüber Hunters Fehlverhalten rächte sich während Bidens Präsidentschaft, als die Republikaner dem Weissen Haus konstant vorwarfen, die Strafuntersuchungen gegen Biden junior zu verschleppen. Dafür gab es zwar keinerlei Belege. Aber die Affäre beschädigte den Ruf des Präsidenten und gab der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus einen Anlass, Biden mit einem Impeachment zu bedrohen.
Typisch irisch, so stellte es der Präsident dar, war auch eine Haltung, die man ihm schon als Kind eingeimpft hatte: «Wenn man dich zu Boden schlägt, dann stehst du wieder auf.» Er wiederholte diesen Leitspruch auch noch in diesem Sommer, nach dem Fiasko seiner Präsidentschaftsdebatte mit Trump. In seiner Laufbahn half ihm diese Einstellung wiederholt. Schon als Jugendlicher hatte er seine Zähheit bewiesen. Von Kindheit an ein Stotterer, litt er unter den Hänseleien seiner Mitschüler. Biden schrieb in seinen Erinnerungen, dass er die Störung seiner Gesichtsmuskulatur in den Griff bekam, indem er stundenlang klassische Texte vor dem Spiegel aufsagte. Mit 19 hielt er die Abschlussrede an seinem Gymnasium, ohne einmal zu stolpern.
Der eigene Mund als grösster Feind
Glaubt man bösen Zungen, so kam dieser Erfolg einem Dammbruch gleich. Allzu oft war sein Mundwerk nun schneller als sein Kopf. So sagte der Politiker im Laufe seiner Karriere unzählige Dinge, die er nicht gemeint hatte, und Dinge, die er gemeint hatte, aber nicht hätte sagen sollen.
Diese Zügellosigkeit liess sich auch bei einem Wahlkampfauftritt im Herbst 2007 in New Hampshire beobachten. Biden ratterte die Namen von nahöstlichen Politikern herunter, die er als Senator alle getroffen hatte, die aber für die Lebensrealität der Wähler in jenem Marktflecken herzlich irrelevant waren. Das Gähnen mancher Besucher schien er nicht zu bemerken. Zum Schluss herrschte Erschöpfung im Saal. Auch Biden wirkte abgekämpft, mit geröteten Augen, aber er machte wie ein Motor weiter, packte fast dankbar den Arm des Journalisten aus der Schweiz, der im Unterschied zu den Einheimischen noch nicht die Flucht ergriffen hatte, und ruhte nicht, bis er für die NZZ auch noch seine Haltung zum Atomstreit mit Iran ausführlich erläutert hatte. Ein Mitarbeiter zog ihn schliesslich ins Freie.
Bei alldem war bemerkenswert, welch globalen Horizont sich Biden erarbeitet hatte. Nur selten starten neugewählte Präsidenten mit einem solchen aussenpolitischen Erfahrungsschatz ins Amt. Seine Urteilsfähigkeit stand jedoch auf einem anderen Blatt. Sein Regierungskollege Gates bezeichnete Biden einst als Mann, der über vier Jahrzehnte hinweg fast in jeder wichtigen aussenpolitischen Frage – vor allem zu den Kriegen gegen den Irak – falschgelegen sei. Das war nur geringfügig übertrieben.
Die Taliban und Putin unterschätzt
Bidens fragwürdige Bilanz als Aussenpolitiker erhielt eine Fortsetzung während seiner Präsidentschaft, als er gegen den Rat enger Mitarbeiter einen schnellen Truppenabzug aus Afghanistan beschloss. Zwar gab es Gründe, nach zwanzig Jahren Militärpräsenz das Engagement am Hindukusch zu verringern. Aber Bidens Hoffnung, die prowestliche Regierung in Kabul werde sich halten können, beruhte auf einer totalen Fehleinschätzung der Lage.
Parallel zum amerikanischen Abzug im Sommer 2021 übernahmen die islamistischen Taliban blitzschnell die Kontrolle im ganzen Land. Als sie sich der Hauptstadt näherten, kollabierte die Regierung; zahlreiche amerikanische Bürger und einheimische Mitarbeiter der USA sahen sich in einer Falle. Das Chaos bei der Evakuation wirkte wie ein Symbol für die Machtlosigkeit Amerikas und zugleich für den Verrat an den afghanischen Verbündeten. Bidens Popularität erlitt in jenem August 2021 einen ersten schweren Dämpfer.
Ein Debakel erlitt Biden auch im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Mit diesem hielt er im Juni 2021 in Genf ein aufsehenerregendes Gipfeltreffen ab, konnte ihn aber nicht beeindrucken. Putin plante schon damals einen Grossangriff auf die Ukraine und dürfte durch den fluchtartigen Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan noch in der Überzeugung bestärkt worden sein, dass er Washington nicht zu fürchten brauchte. Ab dem Herbst 2021 verlegte der Kreml Truppen aus dem ganzen Land an die Grenzen der Ukraine. Die Drohungen der Regierung Biden mit harschen Konsequenzen waren zu schwach, als dass sie Moskau abgeschreckt hätten.
Erst zwei Monate vor der Invasion begannen die Amerikaner, ihre Militärhilfe an die Ukraine aufzustocken. Insgeheim rechneten sie aber nicht damit, dass die ukrainischen Streitkräfte einem russischen Angriff lange standhalten könnten – auch dies eine Fehleinschätzung. Gleichwohl zeigte Biden beeindruckende Führungskraft bei der Schaffung einer breiten Koalition gegen Russland, die nach der Invasion einschneidende Sanktionen beschloss und mit der Zeit auch schwere Waffen zu liefern begann. In der Rückblende drängt sich jedoch die Bilanz auf, dass Biden aus Furcht vor einer Eskalation die Militärhilfe an die Ukraine zu zögerlich vorangetrieben hat.
Nicht minder geprägt war Bidens Präsidentschaft von der Innenpolitik. Er war dabei konstanten Anfeindungen seitens der Republikaner ausgesetzt, die ihn als Linksradikalen hinstellten und eine Zusammenarbeit im Kongress zumeist verweigerten. Die Polemik war übertrieben, zumal Biden schon als Senator eher Distanz zum linken Flügel seiner Partei gehalten hatte. Aber dass er an die lenkende und fürsorgliche Rolle eines starken Staates glaubte, verhehlte der Demokrat nicht.
Er machte sich im Weissen Haus zum Anwalt billionenschwerer Ausgabenprogramme, darunter zur Ankurbelung der Wirtschaft nach der Corona-Krise, zur Erneuerung der Infrastruktur und zur Förderung klimafreundlicher Energien. Einen Teil seiner Pläne musste er fallenlassen, weil seine Mehrheit im Senat zu knapp war und weil nach der Niederlage in den Zwischenwahlen von 2022 das Repräsentantenhaus unter republikanische Kontrolle geriet.
Anders als seinen drei unmittelbaren Vorgängern blieb Biden eine Rezession erspart, und von seinem zweiten Amtsjahr an war seine Regierungszeit mit einer historisch unüblich geringen Arbeitslosigkeit gesegnet. Aber die zeitweise sehr hohe Inflation nagte an den verfügbaren Einkommen der Bevölkerung. Schwer schadete Bidens Ansehen auch die Krise an der Südgrenze, wo die illegale Immigration einen neuen Höhepunkt erreichte. Zunehmend gebrechlich, wirkte Biden nicht wie ein Präsident, der die Herausforderungen des Landes entschlossen anpacken konnte. Seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit stiess deshalb selbst in der eigenen Partei nie auf Begeisterung.
Ein erniedrigendes Ende
In den Monaten vor seinem Rückzug genoss er laut Umfragen in der amerikanischen Bevölkerung nur noch eine Zustimmung von 40 Prozent – ein Wert, der typischerweise ein klares Omen für eine Abwahl ist. In mehreren wahlstrategisch wichtigen Gliedstaaten lag Biden hinter Trump zurück, wenn auch oft nur knapp. Bidens Schicksal war besiegelt, als die missratene Fernsehdebatte mit Trump seine gesundheitlichen Zerfall unübersehbar machte und Vizepräsidentin Kamala Harris ihn im Juli erstmals in manchen Umfragen überflügelte. Plötzlich fasste die Parteielite Vertrauen in diese Politikerin als Ersatzkandidatin.
Das Ende kam plötzlich und auf erniedrigende Weise, mit einem Strom von demokratischen Parteigrössen, die Biden zum Aufgeben drängten. Es ist das erste Mal seit 1856, dass einem gewählten Präsidenten die neuerliche Nomination von seiner Partei verweigert wird. Zugleich ist es das erste Mal, dass dies einem Kandidaten widerfährt, der bereits in den parteiinternen Vorwahlen gesiegt hat.
Joe Biden geht deshalb wohl in erster Linie als Präsident in die Geschichte ein, der den Republikaner Trump entthronte und dessen Politik in vielerlei Hinsicht korrigierte. Biden kittete die Risse in den Bündnissen mit den europäischen und asiatischen Partnern, führte die westliche Welt in der Konfrontation mit Russland und beendete die unter Trump herrschende Zügellosigkeit im Weissen Haus.
Trotzdem wurde auch Biden den Schatten Trumps nicht los: Die Zerrissenheit des Landes blieb bestehen. Der republikanische Populist hielt seine Basis weiter in Bann – nicht einmal der Schrecken des Sturms auf das Capitol im Januar 2021 konnte deren Begeisterung mindern. Mit den Jahren stieg sogar der Anteil jener Republikaner, die Trumps Lüge von der angeblich unrechtmässigen Wahl Bidens glaubten.
So lautet das Fazit, dass Biden seinen Vorgänger und Gegner vor vier Jahren nur vordergründig entthront hat – das Trump-Virus hingegen konnte er nicht besiegen. Die Gründe dafür sind in der krankhaft anmutenden Polarisierung der amerikanischen Politik zu suchen, aber auch in manchen Fehlern des demokratischen Präsidenten. Er bleibt trotz seinem sonnigen Wesen als tragische Figur in Erinnerung, auch als Figur des Übergangs. Ob man ihn dereinst als gescheiterten Politiker betrachten wird, hängt massgeblich davon ab, welche Wendung der Kampf um die Macht in Washington nun nimmt.
Stark überarbeitete Fassung eines anlässlich von Bidens Wahl 2020 erschienenen Artikels.