Während bei den Demokraten noch über neue Auswahlverfahren spekuliert wird, macht Kamala Harris bereits Wahlkampf. Sie hat keine Zeit zu verlieren.
Die Ereignisse in der amerikanischen Politik überschlagen sich. Vor knapp einem Monat rüttelte das Debattendebakel von Joe Biden die Vereinigten Staaten auf, vor zehn Tagen das Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und am Sonntag der späte Rückzug von Präsident Biden. Nachdem diese Nachricht im ersten Moment auf viele überwältigend und turbulent gewirkt hatte, hat sich innert 24 Stunden eine Gewissheit gefestigt: Die neue demokratische Präsidentschaftskandidatin heisst Kamala Harris.
Und das nicht, weil Partei und Wähler eindeutig überzeugt wären von den Qualitäten der 59-jährigen Vizepräsidentin. Vielmehr steht sie trotz dem vielbeschworenen Talent-Pool jüngerer demokratischer Politiker in kürzester Zeit ohne Konkurrenz da. Nicht weniger als acht potenzielle Wettbewerber um die Nomination waren in den amerikanischen Medien durchdekliniert worden. Doch es dauerte nicht einmal einen Tag, und alle sind verschwunden. Sie haben sich ohne Ausnahme hinter die Vizepräsidentin gestellt oder eine eigene Kandidatur ausgeschlossen.
Alternativlos, aber nicht begeisternd
Man muss kein argwöhnischer Mensch sein, um hinter dieser Demonstration von Einigkeit nicht nur tiefes Vertrauen in die Vizepräsidentin zu vermuten, sondern auch persönliches taktisches Kalkül: Die meisten potenziellen Kandidaten dürften sich zurückhalten, weil sie Harris’ Position innerhalb der Partei für unanfechtbar und eigene Aspirationen für chancenlos halten. Manche dürften mit einem Sieg Donald Trumps im November rechnen, womit es für die eigene Karriere aussichtsreicher ist, erst in den nächsten Präsidentschaftswahlkampf 2028 einzusteigen. Wieder andere dürften hoffen, von Harris als Kandidat für das Vizepräsidentenamt ausgewählt zu werden.
Wähler lieben Geschlossenheit politischer Parteien. Diesbezüglich haben die sich unter grossem Jubel hinter ihren Anführer Trump stellenden Republikaner einen Vorsprung. Gleichwohl hadern Teile der demokratischen Parteiführung mit der raschen Fokussierung auf Harris als einzige valable Kandidatin. Noch immer geistern Ideen von einem Wettbewerb oder einem Kurzauswahlverfahren herum, in dem sich Harris beweisen müsste. Das hat gute Gründe: Erstens zeigen Meinungsumfragen, dass sich die demokratische Wählerbasis eine breitere Kandidatenauswahl wünscht. Zweitens ist die Alternativlosigkeit von Harris eine willkommene Gelegenheit für Trump und die Republikaner, dem «Establishment» in Washington Machtspiele und Manipulation vorzuwerfen.
Doch alle Überlegungen, Harris jetzt noch einem Auswahlverfahren auszusetzen, sind künstlich und unrealistisch. Die 4700 Delegierten am Parteitag der Demokraten in Chicago sind nach dem Rückzug Bidens frei, einen neuen Kandidaten zu wählen. Wenn kein ernstzunehmender Konkurrent antritt, dann bleibt ihnen eben nichts übrig, als Harris zu nominieren. Das ist unschön, aber nicht undemokratisch. Die Parteispitze sollte deshalb die Realitäten anerkennen und auf ein Pseudo-Vorwahlverfahren verzichten, das die Wähler bloss an der Nase herumführt.
Der Kampf ist eröffnet
Harris tut das bereits. Sie hat sogleich den gemeinsam mit Biden gefüllten Spendentopf übernommen, auch wenn dies juristisch umstritten ist. Noch ist Harris nicht offiziell nominiert, aber sie stürzt sich schon voll in den Wahlkampf. Alles andere wäre angesichts der knappen Zeit bis zum Wahltag unvernünftig.
Ähnlich realistisch sieht es die Gegenseite. Sie hat schon vor Bidens Rückzug begonnen, sich auf Harris einzuschiessen. Dieses Sperrfeuer wird diese Woche ohne Zweifel zunehmen.
Hat Kamala Harris Chancen gegen Trump? Sie steht bezüglich (Un-)Beliebtheit gleich schlecht da wie Biden. Trump hat auch auf Harris gemäss den meisten Umfragen einen Vorsprung, aber dieser ist kaum signifikant. Die Demokraten müssen in einem historisch einzigartigen Experiment in bloss gut drei Monaten ihre Wahlkampfstrategie auf eine neue Kandidatin ausrichten. Doch dasselbe gilt in geringerem Masse auch für die Republikaner. Die allermeisten Stimmen sind ohnehin ideologisch gebunden und werden sich kaum verschieben. Am Ende entscheiden über den Wahlerfolg meist winzige Mehrheiten in besonders umkämpften Wahlkreisen in den wenigen Swing States. Harris wird es schwer haben, doch das Rennen ist offen.
Kamala was in on it. She covered up Joe’s obvious mental decline. Kamala knew Joe couldn’t do the job, so she did it. Look what she got done: a border invasion, runaway inflation, the American Dream dead. pic.twitter.com/H3Oyew0ug9
— MAGA War Room (@MAGAIncWarRoom) July 21, 2024