Donald Trump feiert vor dem Supreme Court einen grossen Erfolg: Einzelne Gliedstaaten dürfen ihn nicht von der Wahl ausschliessen, so urteilten die Richter am Montag. Die konservative Mehrheit ging aber noch einen Schritt weiter, indem sie den Kongress mit dem Vollzug der Verfassungsklausel beauftragte.
Auf den ersten Blick ist das Urteil des Supreme Courts vom Montag eindeutig. Die neun Richter waren sich alle einig, dass der Gliedstaat Colorado Donald Trump aufgrund der Verfassung nicht im Alleingang vom Wahlzettel streichen darf. Eine Gruppe von unabhängigen und republikanischen Wählern hatte dies gefordert, weil Trump am 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das Capitol einen Aufstand angezettelt habe. Das Oberste Gericht in Denver gab ihnen im Dezember recht. Nun aber annullierte das höchste Gericht in Washington diese Entscheidung einstimmig. Doch für die drei progressiven Richter ging die konservative Mehrheit in ihrer Interpretation der Verfassung dabei zu weit.
Im Kern geht es bei der Sache um die Auslegung des dritten Abschnitts im 14. Zusatzartikel. Diese Klausel wurde vor über 150 Jahren nach dem Bürgerkrieg in die Verfassung eingefügt, um die ehemaligen Sezessionisten von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten. Niemand, der ein Amt ausgeübt, einen Eid auf die Verfassung abgelegt und an einem Aufstand teilgenommen hat, soll demnach erneut eine offizielle Position – ein «Office under the United States» – bekleiden dürfen.
Der Kongress ist entscheidend für den Vollzug
Für den Supreme Court in Colorado war klar, dass Trump an einem Aufstand teilgenommen hatte. Deshalb musste er von der Wahl ausgeschlossen werden. Trumps Anwälte argumentierten jedoch, dass das Amt des Präsidenten in der betreffenden Verfassungsklausel nicht explizit erwähnt werde. Zudem definiere der Paragraf nicht, wer für den Vollzug der Bestimmung zuständig sei. Der Kongress müsse deshalb zunächst ein ausführendes Gesetz darüber erlassen.
In seinem Urteil vom Montag versuchte der Supreme Court, einige der heiklen Frage zu umgehen. Er liess offen, ob das Amt des Präsidenten auch unter die sogenannte «disqualification clause» fällt und ob Trump an einem Aufstand teilgenommen hat. Die Richter kassierten die Entscheidung aus Denver derweil mit zwei prozeduralen Argumenten: Erstens könnten einzelne Gliedstaaten keine Kandidaten für nationale Ämter von einer Wahl ausschliessen. Denn deren Existenz und Funktionen basierten auf den Stimmen des ganzen Volkes und nicht bloss auf Teilen davon. Wenn einzelne Staaten dafür zuständig wären, entstünde «ein Patchwork», das die direkte Verbindung zwischen der nationalen Regierung und dem Volk «durchtrennte».
Zweitens urteilten die Richter, dass der Kongress für den Vollzug des dritten Abschnitts im 14. Zusatzartikel zuständig ist. Sie stützen sich dabei auf dessen «entscheidenden» fünften Abschnitt, in dem es heisst: «Der Kongress soll die Macht haben, die Bestimmungen dieses Artikels mit geeigneten Gesetzen durchzusetzen.» Damit ist klar, dass Trump die «disqualification clause» kaum mehr fürchten muss. Die republikanischen Kongressabgeordneten haben sich bisher stets loyal zu ihm gezeigt. Sie werden jedes Gesetz blockieren, das Trump von einer Wahl ausschliessen könnte.
Die drei progressiven Richter und die konservative Richterin Amy Coney Barrett waren mit diesem zweiten Argument nicht einverstanden und verfassten abweichende Meinungen zum Urteil. Der Supreme Court sollte nur immer so viele Fragen entscheiden wie unbedingt nötig, schreiben die drei progressiven Richter gemeinsam. Stattdessen sei die Mehrheit weiter gegangen. «Sie haben neuartige Verfassungsfragen entschieden, um das Gericht und den Kläger (Trump) vor künftigen Kontroversen abzuschirmen.»
Abschnitt 5 des 14. Zusatzartikels ermächtige den Kongress zwar, ausführende Gesetze zu erlassen. Aber er verlange dies nicht, schreiben die unzufriedenen Richter. Sie verweisen zudem darauf, dass Abschnitt 3 dem Kongress erlaube, von einer Wahl ausgeschlossene Rebellen mit einer Mehrheit von zwei Dritteln in beiden Kammern zu begnadigen. «Es ist schwer zu verstehen, warum die Verfassung eine qualifizierte Mehrheit verlangt, um eine Disqualifikation zu annullieren, wenn eine einfache Mehrheit den Abschnitt 3 ausser Kraft setzen könnte, indem sie die Verabschiedung ausführender Gesetze verhindert.»
Mit dem Urteil schliesse die konservative Richtermehrheit jede andere Möglichkeit aus, um die Verfassungsklausel mit anderen nationalen Mitteln durchzusetzen. Dies sei ein Versuch, alle mutmasslichen Aufständischen vor künftigen Anfechtungen zu schützen, die ihre Eignung für nationale Ämter infrage stellten.
«Es ist an den Wählern, unsere Demokratie zu retten»
Entsprechend reagierte Trump erfreut auf das Urteil: «Ein grosser Sieg für Amerika», schrieb der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social am Montag. Nicht nur der Inhalt, sondern auch der Zeitpunkt des Urteils ist für Trump Gold wert. Denn am Dienstag – dem sogenannten «Super Tuesday» – finden gleich in 16 Gliedstaaten Vorwahlen statt. Colorado muss seinen Namen nun auf dem Wahlzettel lassen. Illinois und Maine, die Trump auch ausschliessen wollten, sind die Hände jetzt ebenso gebunden.
Für die Demokraten ist das Urteil eine erneute Niederlage vor dem Supreme Court. Es dürfte sie in ihrem Eindruck bestärken, dass die konservativen Richter nicht ganz unparteiisch sind. Kürzlich entschieden sie, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Trump als Präsident absolute Immunität besessen habe und deshalb für seinen mutmasslichen Putschversuch nicht strafrechtlich verfolgt werden könne. Die Anhörung dafür setzten sie erst auf den 22. April an. Damit wird es immer unwahrscheinlicher, dass der Sonderermittler Jack Smith den ehemaligen Präsidenten noch vor der Wahl im Herbst vor Gericht stellen kann.
Die Kritiker des Supreme Courts erinnern dabei auch an die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000. Innerhalb von wenigen Wochen entschieden die Richter damals den Streit um die Nachzählung in Florida zugunsten des republikanischen Kandidaten George W. Bush. Nun mahlen die Mühlen der Justiz wesentlich langsamer.
Sollte Trumps strafrechtliche Verantwortung bis im Herbst nicht geklärt sein, könnte dies letztlich aber auch den Demokraten politisch in die Hände spielen. Um ihre Wähler zu mobilisieren, könnten sie die Wahl zu einem Referendum über die Frage stilisieren, ob in den USA wirklich niemand über dem Gesetz steht. Oder ob Trump eine Ausnahme ist. Denn gewinnt er die Wahl, könnte er zumindest die Klagen auf nationaler Ebene gegen ihn von seinem Justizminister einstellen lassen.
So meinte Colorados enttäuschte Staatssekretärin Jena Griswold am Montag: «Es ist an den amerikanischen Wählern, unsere Demokratie im November zu retten.»