Populäre Trickfilme, die Amazon Prime oder HBO Max in Auftrag geben, wurden offenbar teilweise in Nordkorea hergestellt. Amerikanische Sanktionen verbieten das eigentlich. Ein Bericht gibt Hinweise, wie es trotzdem möglich war.
Abenteuer, Exotik, Heldentum: Darum geht es in «Iyanu: Child of Wonder», der Geschichte eines kühnen Waisenkindes, das die Welt vor der Zerstörung rettet. In «Invincible» eifert der 17-jährige Mark seinem genialen Vater nach und entwickelt sich ebenfalls zum Superhelden.
Die Trickfilme, produziert für die amerikanischen Streaming-Dienste HBO Max und Amazon Prime, weisen eine weitere, gleichermassen exotische Gemeinsamkeit auf: An ihnen sollen nordkoreanische Zeichner mitgewirkt haben. Dies geht aus einem Bericht von «38 North/Stimson Center» hervor, einer auf Korea spezialisierten Denkfabrik in Washington.
Filmarbeiten an das Billiglohnland Nordkorea auszulagern, wäre ein klarer Verstoss gegen das Sanktionsregime. Wegen des nordkoreanischen Atomprogramms dürfen amerikanische Firmen keine Geschäfte mit der kommunistischen Diktatur tätigen.
Über China nach Nordkorea
Welche Spur führt nach Nordkorea? Die Denkfabrik entdeckte auf einem nordkoreanischen Cloud-Server Dateien, die sich unmissverständlich auf die Filme von Amazon Prime und HBO Max beziehen. «Die Kopfform anpassen», steht etwa neben der computergestützten Skizze einer Figur aus «Invincible». Die Instruktionen für eine Folge der neuesten Staffel sind in chinesischer und koreanischer Sprache verfasst.
Auf der Hand liegt die Vermutung, dass amerikanische Studios Aufträge aus Kostengründen an Dritte ausgelagert haben. Skybound Entertainment, die Produktionsfirma hinter «Invincible», betont gegenüber Reuters, sie habe keine Kenntnis von nordkoreanischen Unternehmen, die an von ihr produzierten Filmen arbeiteten. Skybound hat gleichwohl eine «gründliche, interne Überprüfung» eingeleitet. Man nehme die Angelegenheit sehr ernst, beteuerte ein Sprecherin, und habe die Behörden informiert.
Eine Schlüsselrolle spielen laut den Recherchen des Stimson Centers in China domizilierte Firmen. Sie nehmen vermutlich Aufträge für Filmprojekte entgegen und geben diese weiter, zum Beispiel an das Animations-Studio SEK in Pjongjang. Die nordkoreanischen Zeichner wiederum haben ihre fertigen Arbeiten dann auf den Server hochgeladen.
Die Denkfabrik konnte diesen Arbeitsablauf nachzeichnen, weil sie im Dezember 2023 einen fehlerhaft konfigurierten Cloud-Speicher mit einer nordkoreanischen IP-Adresse aufgespürt hatte. Dadurch liess sich bis im Januar 2024 ohne Passwort beobachten, wie Files mit Filmskizzen hochgeladen wurden. Darunter befanden sich auch Entwürfe für japanische Produktionen. Inzwischen werde der Server nicht mehr genutzt, heisst es in dem Bericht. Wer den Server betrieb, fand die Denkfabrik nicht heraus.
Nordkorea verfügt über eine leistungsfähige Filmindustrie. Kim Jong Il, der Vater des jetzigen Diktators, verstand sich als Förderer und Kenner cinematographischen Schaffens. Seine Begeisterung für das Kino ging so weit, dass er in den 1970er Jahren den südkoreanischen Starregisseur Shin Sang Ok nach Nordkorea entführen liess. Shin sollte die heimische Filmbranche auf Vordermann bringen.
Während der sogenannten Sonnenscheinpolitik der nuller Jahre, als sich Nord- und Südkorea annäherten, kooperierten die beiden Korea auch in der Filmproduktion. Der Nordkorea-Experte Martyn Williams, Co-Autor des Berichts des Stimson Center, bezweifelt nicht, dass die mit modernen Produktionstechniken vertrauten Trickfilmzeichner internationalen Ansprüchen genügten. «Nordkorea verfügt über ein relativ hohes Niveau in der IT.»
Seit 2016, damals führte Nordkorea seinen fünften Atomwaffentest durch, stehen die Pjongjanger Filmmacher indes auf der Sanktionsliste des amerikanischen Finanzministeriums. So soll verhindert werden, dass nordkoreanische Staatsfirmen Devisen erwirtschaften, die dann möglicherweise in das Atomwaffenprogramm fliessen.
Die Filmproduktion für das heimische Publikum dreht sich um den lokalen Superhelden: Kim Jong Un. Eine Armada staatlicher Filmproduzenten präsentiert den nordkoreanischen Herrscher als genialen Weltenlenker. Andere Propagandawerke verteufeln Südkorea und Amerika und verherrlichen die angeblichen Errungenschaften der verarmten Diktatur.
«Kenne deinen IT-Freelancer»
Das mutmassliche Outsourcing durch amerikanische und japanische Filmhersteller wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das Washington und Seoul verstärkt angehen wollen: Westliche Auftraggeber sollen nachverfolgen, wo IT-Teilprojekte landen, und dadurch ihre Lieferketten stärker kontrollieren.
Laut dem Bericht des Stimson Center beschäftigt Nordkorea Tausende von IT-Spezialisten, die mit einer falschen Identität Aufträge an Land holen. «Die nordkoreanischen Informatiker sind sehr versiert darin, ihre wahre Identität zu verschleiern», sagt Martyn Williams gegenüber der NZZ.
Das FBI rät daher dazu, mit unbekannten Freelancern zuerst ein Video-Interview durchzuführen. Wenn sich die Person weigert, ist das ein Indiz dafür, dass etwas nicht stimmt. Allerdings stösst man auch mit solchen Vorsichtsmassnahmen an Grenzen. «Übernimmt eine chinesische Scheinfirma Aufträge für Animes und gibt sie an nordkoreanische Firmen weiter, lässt sich diese Praxis schwer entdecken», betont Williams.
China wiederholt stets, es halte sich an die Uno-Sanktionen gegenüber Nordkorea. Doch die Realität sieht anders aus: Die Volksrepublik lässt zu, dass Tausende nordkoreanische Arbeiter für chinesische Firmen arbeiten. Das international geschmähte Regime von Kim Jong Un scheut seinerseits keine Mühen, mit abenteuerlichen und bisweilen kriminellen Methoden Geld zu beschaffen.