Der Zuger Regierungsrat hat alle mit seinen Plänen für einen neuen Kantonsratssaal überrumpelt. Die Bevölkerung will sich die Seesicht nicht verbauen lassen.
Der Kantonsratssaal wird für die Zugerinnen und Zuger für immer mit schrecklichen Erinnerungen verbunden bleiben. Es ist der Schauplatz eines der grausamsten Verbrechen in der Geschichte der Schweiz. Am 27. September 2001 wurde der Sitzungssaal im Regierungsgebäude zur tödlichen Falle für Politiker und Journalisten. Bewaffnet mit einem Sturmgewehr, einer Pistole und einer Pump-Action-Schrotflinte, überfiel ein Attentäter eine Sitzung des Kantonsparlaments. Bei der Bluttat kamen 14 Menschen ums Leben, unter ihnen drei Mitglieder des Regierungsrates, 18 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
Der Saal im 1871 erbauten Regierungsgebäude hat also eine dunkle Vergangenheit. Es gab denn auch Bestrebungen, den Kantonsratssaal zu renovieren und umzugestalten. Die damalige Politikergeneration, deren Vertreter mehrheitlich selbst zu den Opfern der Schreckenstat gehörten, wollte ganz bewusst nichts davon wissen. «Wir wollen uns von einem Attentäter nichts vorschreiben lassen», lautete die Devise. Doch nun gibt es konkrete Pläne für einen Neubau.
«Total verbocktes Geschäft»
Im Februar dieses Jahres gab die Zuger Kantonsregierung bekannt, dass das Regierungsgebäude umfassend saniert werden soll. Ausserdem ist ein Neubau anstelle des bestehenden Kantonsratssaal geplant. In diesem tagt neben dem 80-köpfigen Kantonsparlament auch der Grosse Gemeinderat der Stadt Zug mit seinen 40 Mitgliedern. Der Saal soll in unmittelbarer Nähe des heutigen Gebäudes auf dem Landsgemeindeplatz entstehen. Das neue Gebäude an bester Lage soll im Jahr 2032 bezogen werden. Rund 50 Millionen Franken will der Kanton für den Neubau, die Umgebungsgestaltung und die Sanierung ausgeben. Jetzt drohen die ehrgeizigen Pläne frühzeitig zu scheitern.
«Ich habe noch nie ein politisches Geschäft gesehen, das vom Regierungsrat so verbockt wurde», sagt Philip C. Brunner. Wenn jemand ein solches Urteil über die Zuger Politik fällen darf, dann der SVP-Politiker. Brunner ist ein Urgestein, und zwar in Stadt und Kanton. Seit 15 Jahren gehört er zu den Meinungsmachern im Kantonsparlament. Seit 2011 sitzt der Ex-Hotelier zudem im Zuger Stadtparlament und präsidiert dort die einflussreiche Geschäftsprüfungskommission (GPK).
Es ist nicht so, dass Brunner grundsätzlich gegen einen Neubau des Kantonsratssaals wäre. Ganz im Gegenteil. Die Bemühungen der Regierung gehen auf ein Postulat Brunners vom November 2021 zurück. Nachdem das Zuger Kantonsparlament während der Corona-Pandemie in einer Dreifachturnhalle der Kantonsschule getagt hatte, sah er die Zeit gekommen, Alternativen zum veralteten und zu kleinen Saal zu prüfen. «Aber bitte nicht so, wie es die Regierung jetzt plant», sagt er.
Der SVP-Politiker ist bei weitem nicht der Einzige, der sich über das Vorpreschen des Regierungsrats aufregt. Die halbe Stadt scheint in diesen Frühlingstagen in Aufruhr zu sein. Nur wenige Tage nachdem der Baudirektor Florian Weber (FDP) die Pläne vorgestellt hatte, formierte sich Widerstand gegen das Vorhaben. Anwohner aus der Altstadt und besorgte Zugerinnen schlossen sich zur IG Erhalt Landsgemeindeplatz zusammen. Die Gruppierung wandte sich in einem offenen Brief an das Zuger Stadtparlament, den Grossen Gemeinderat, der am 29. April über einen Landabtausch zwischen der Stadt Zug und dem Kanton Zug entscheiden muss.
Der geplante Bau würde das historische Stadtbild massiv beeinträchtigen, den Blick auf den See verstellen und wertvollen öffentlichen Raum zerstören, schreiben die besorgten Anwohner. Scharf kritisiert die IG auch, dass Alternativen zum Standort an bester Lage nicht ernsthaft geprüft worden seien. Als besonders stossend wird bemängelt, dass die traditionelle Voliere mit zahlreichen Vögeln auf dem Landsgemeindeplatz, eine Art Zuger Heiligtum, dem Neubau weichen müsste. Eine Visualisierung auf der Website der IG zeigt einen grauen Klotz, der die Altstadt verschandeln würde.
Noch bevor das Geschäft die erste politische Hürde genommen hat, ist der Proteststurm weiter angewachsen. Die Grünliberalen haben sich als Partei geschlossen gegen das Projekt gestellt. Es zeuge von wenig Sensibilität seitens der Regierung, einen so beliebten Standort am See ohne Einbezug der Bevölkerung durchsetzen zu wollen, schreibt die GLP in einem Communiqué. Bevor noch mehr Geld für das Projekt ausgegeben wird, sollen die Pläne begraben werden.
Landabtausch wohl chancenlos
Dieses Szenario dürfte schneller eintreten, als es der Zuger Kantonsregierung lieb ist. Letzte Woche lehnte die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Gemeinderates (GGR) der Stadt Zug den Landabtausch mit dem Kanton mit fünf zu einer Stimme klar ab. «Die einzige offene Frage ist jetzt noch, ob das Geschäft im Stadtparlament mit null Stimmen abgeschmettert wird oder ob es ein bis zwei Ja-Stimmen geben wird», sagt der GPK-Präsident Philip C. Brunner. Auch im Kantonsrat hat der Neubau seiner Meinung nach keine Chance. «Der Regierungsrat hat leider den Fehler gemacht, dieses Vorhaben im Alleingang durchziehen zu wollen, ohne die Parlamente von Stadt und Kanton einzubeziehen», gibt er sich überzeugt.
Angesichts der klaren Fronten wird der Zuger Regierung wohl nichts anderes übrigbleiben, als noch einmal auf Feld eins zurückzukehren und die Standortsuche neu aufzugleisen. Das Kantonsparlament wird derweil wohl noch einige Jahre länger in jenem Saal tagen müssen, der mit dunklen Erinnerungen verbunden ist.