Sofia unternimmt grosse Anstrengungen, um sich von russischem Einfluss zu lösen. Trotzdem ist das Land anfällig für Manipulationsversuche aus Moskau.
Am Montag ist in Sofia ein hoher Offizier der Polizeieinheit für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität festgenommen worden. Dem Beamten wird vorgeworfen, vertrauliche Informationen an einen in Bulgarien stationierten und später ausgewiesenen russischen Diplomaten weitergeleitet zu haben. Laut Medienberichten soll es sich dabei um Hinweise auf Firmen mit russischer Beteiligung gehandelt haben, gegen die wegen Verstössen gegen das Sanktionsregime ermittelt wurde. Das Innenministerium spricht ausdrücklich von einem Spionagefall.
Bulgarien hat seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 mehr als 80 Diplomaten und andere Vertreter Russlands wegen «Tätigkeiten für ausländische Dienste» des Landes verwiesen. Auch mehrere eigene Staatsbürger wurden in diesem Zusammenhang verhaftet. Ein Ende der russischen Spionage im südosteuropäischen Land bedeutet das aber nicht. Besonders anfällig sind dabei die nationalen Sicherheitsstrukturen, in denen prorussische Netzwerke traditionell eine prominente Rolle spielen.
Systematischer Betrug bei Einbürgerungen
Bereits vergangene Woche hatte der Co-Vorsitzende des prowestlichen Parteienbündnisses PP-DB, Atanas Atanasow, Vorwürfe gegen die nationale Spionageabwehr erhoben. Die Behörde, der Atanasow einst selber vorstand, verschleppe Hinweise auf einen systematischen Betrug bei der Einbürgerung russischer Staatsbürger. Dies eröffne Moskau die Möglichkeit, gezielt Vertreter seiner Dienste nach Europa zu schleusen, wo sie zu EU-Bürgern würden.
Laut Atanasow vermittle eine Agentur in Moskau mit guten Beziehungen nach Sofia gegen Gebühr gefälschte sowjetische Geburtsurkunden, die eine bulgarische Abstammung auswiesen. Mit diesem Dokument kann die bulgarische Staatsbürgerschaft beantragt werden. Unter anderem in der Ukraine und in der Moldau gibt es eine bulgarische Minderheit.
Auch die Nachrichtenplattform Euractiv.com stiess in einer eigenen Recherche zum Thema auf Unregelmässigkeiten. Einbürgerungskandidaten müssten zwar eine Überprüfung durch die Spionageabwehr durchlaufen, diese werde aber nur oberflächlich durchgeführt. Hinweisen aus dem Justizministerium auf solche Missstände sei die Behörde aber nicht nachgegangen. Die Zahl der eingebürgerten Russen ist in Bulgarien in den letzten drei Jahren stark angestiegen.
Schwache und korrupte Institutionen
Bulgarien war immer ein bevorzugter Schauplatz russischer Einflussnahme. Das hat mit der traditionellen Nähe der beiden slawischsprachigen, christlich-orthodoxen Staaten zu tun – auch wenn das berühmte Bonmot, Bulgarien sei Russlands trojanisches Pferd in der EU, immer überzogen war. Zudem haben die prowestlichen Kräfte in Sofia in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen unternommen, um die Abhängigkeit des Landes von Moskau zu reduzieren.
Bulgarien ist aber auch wegen seiner institutionellen Schwäche, der weitverbreiteten Korruption und des grossen Einflusses krimineller Netzwerke anfällig für Manipulationsmanöver jeder Art. Bis zum jüngsten Spionageskandal hielt ein Mordfall das Land in Atem, der ebenfalls einen Schatten auf die Sicherheitsbehörden wirft.
Vergangene Woche wurde Martin Boschanow, genannt «der Notar», erschossen. Viele Figuren der bulgarischen Unterwelt tragen einen Übernamen. Boschanow war bekannt für seine guten Verbindungen zum Justizsystem. Eine Organisation nahm 2021 Gespräche auf, bei denen «der Notar» und ein ehemaliger Mitarbeiter der Spionageabwehr mit der Ehefrau eines inhaftierten Geschäftsmannes über die Kosten für dessen Freilassung verhandelten, die tatsächlich später erfolgte.
Die Staatsanwaltschaft nahm trotz den Verdachtsmomenten nie Ermittlungen gegen die beteiligten Personen auf. Beobachter vermuten, dass Boschanows Gattin ihren Mann schützte. Sie arbeitet in der Polizeieinheit für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität.