Die VW-Konzerntochter steht vor grossen Herausforderungen: Ein drastischer Gewinneinbruch und eine schwache Nachfrage nach Premiumfahrzeugen belasten den Konzern. Doch in China legt Audi einen Neustart mit neuer Submarke und Elektrofahrzeugen hin, um den E-Markt zu erobern.
In Ingolstadt drückt das trübe Spätherbstwetter auf die Stimmung. Noch mehr aber trübt die erschreckende Bilanz des grössten Arbeitgebers der Region die Stimmung. Das operative Ergebnis der Vorzeigemarke Audi ist im Vergleich zum Vorjahr um 91 Prozent eingebrochen, der Gewinn nach Steuern um 47 Prozent, nicht zuletzt wegen Rückstellungen für die bevorstehende Werksschliessung in Brüssel. Die Gründe sind vielschichtig und teilweise branchenweit vergleichbar. Audi leidet unter mangelnder Profitabilität. Sie ist nicht nur eine Folge politischer Fehlentscheidungen, die den Standort Deutschland zum teuersten der Welt gemacht haben, sondern basiert auch auf markenspezifischen Fehlentscheidungen angesichts des internationalen automobilen Trends zur E-Mobilität.
So sieht sich der Audi-Vorstand derzeit mit einer schleppenden Nachfrage nach Premium-Benzinern und einem geringen Interesse an teuren batterieelektrischen Fahrzeugen konfrontiert. Vor allem dort, wo bisher satte Gewinne eingefahren wurden: in China. In der Folge verkaufte Audi weltweit 11 Prozent weniger Autos als im Vorjahr, vor allem die teuren e-tron-Elektroautos bleiben liegen. Am anderen Ende der Welt verbreitet Audi-Vorstandschef Gernot Döllner derweil gute Laune.
Mit einer gigantischen Bühnenshow in Shanghai und der anschliessenden grossen jährlichen Autoshow in Guangzhou, einer der wichtigsten Verkaufsmessen Chinas. Er ruft nicht weniger als eine neue Submarke ins Leben – die rein chinesische Marke Audi mit neuem Schriftzug in Versalien, aber ohne die vier markentypischen Ringe. Sie soll eine beispiellose Produktoffensive im Schlüsselmarkt China einläuten. Mit batterieelektrischen Fahrzeugen für junge, technikaffine Chinesinnen und Chinesen, denen klassische Fahreigenschaften weniger wichtig sind als hochautonome Fahrfunktionen, die ihren Spieltrieb auch im Auto ausleben – und ja, die zunehmend von chinesischen Autos gefahren werden wollen. Dahinter steht ein nicht zu unterschätzendes neues Selbstwertgefühl, getragen vom Stolz auf weltweit führende Innovationen aus dem eigenen Land.
Elektroautos für China neu erdacht
Die technischen Impulse müssen aus China kommen, scheint man in Ingolstadt erkannt zu haben. Folgerichtig setzt die neue Marke auf einen der langjährigen Kooperationspartner SAIC, nutzt die Expertise des Staatskonzerns für eine komplett neue 800-V-Elektronikplattform mit modernster Konnektivität. Die «Advanced Digitized Platform» sei eine gemeinsame Entwicklung von Audi und SAIC, heisst es. Sie vereine die Design- und Produktqualitätskompetenz aus Ingolstadt mit der Innovationskraft aus Shanghai. Dass der langjährige Leiter der Audi-Elektrobaureihen, Fermin Soneira, die neue Submarke als CEO führt, deutet darauf hin, dass die Ingolstädter Markenbildung und Produktionsprozesse weiter in der Hand behalten wollen. Soneira verspricht, die Premiumqualität auch für die Submarke zu pflegen.
Die seriennahe Studie Audi Concept E zeigt als erstes Modell, wohin die Reise geht. Mit 487 cm Länge, 199 cm Breite und 146 cm Höhe überspannt die schnittige Karosserie einen Radstand von 295 cm. Vor allem die üppig beleuchteten Einfassungen der charakteristischen, minimalistisch anmutenden Bug- und Heckscheiben kommen den ästhetischen Vorlieben der chinesischen Kunden entgegen. Ähnliches gilt für das Interieur, das die drei Funktionsbereiche Lenkrad, Breitband-Touchscreen und KI-Assistent gliedert. Riesige Bildschirme gelten in China als Statussymbole, im Audi E erstrecken sich die nahtlos ineinander übergehenden Cockpit- und Entertainment-Bildschirme über die gesamte Innenraumbreite von der linken bis zur rechten A-Säule.
Ganz aussen werden die Daten von Kameras angezeigt, die die Aussenspiegel ersetzen. In der Mitte befindet sich ein Avatar, über den alle sekundären Fahrfunktionen per Touch oder Sprache gesteuert werden. Wenn die Fondpassagiere zur Markteinführung noch ausklappbare Bildschirme im Kuchenblechformat erhalten, scheint ein vielversprechendes China-Paket geschnürt. Ein ähnliches Layout kennen wir übrigens vom AVATR 12, einer Premium-E-Limousine des chinesischen Herstellers Changan zum Preis eines VW Golf. Die hochwertigen Materialien des Audi E folgen der bekannten Audi-Tradition.
Ein weiteres Mittelklassefahrzeug (B-Segment) und ein Premiumprodukt (C-Segment) werden auf der gleichen Plattform folgen. Da SAIC eine gut «geölte» Lieferkette mitbringt, könnten sie bereits ab Mitte 2025 in schneller Folge auf Chinas Strassen rollen. Wesentliche E-Komponenten sind vorentwickelt, was die Gesamtentwicklungszeit um 30 Prozent verkürzt. Weitere Modelle könnten je nach Akzeptanz der neuen Marke etwas später folgen, heisst es.
Vier Buchstaben anstatt vier Ringe
Das aktuell vorgestellte Concept E beeindruckt als SUV-Coupé (Sportback, um in der Audi-Nomenklatur zu bleiben) mit beachtlichen Daten. Zwei Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 570 kW/775 PS sorgen für einen Sprint auf 100 km/h in 3,6 Sekunden. Der Allradantrieb heisst bei den chinesischen Audi übrigens weiterhin «quattro». Gespeist werden die Motoren vermutlich von einer 100 kWh-Batterie. Sie könnte aus dem Audi A6 e-tron stammen und soll für eine Reichweite von über 700 km nach chinesischer Messmethode reichen, was etwa 500 km im realen Fahrbetrieb entspricht. In nur 10 Minuten sollen 370 km Reichweite erreicht sein, verspricht der Hersteller. Ein beachtlicher Wert.
Chinesische Beobachter vor Ort kommentieren das erste gemeinsam entwickelte Produkt von Audi mit dem nicht als Premiumhersteller anerkannten SAIC unterschiedlich. Einerseits wird das Concept E als eigenständige Erscheinung gelobt, ebenso der hohe Vernetzungsgrad, den bisherige Audis bei weitem nicht bieten und daher als rückständig gelten. Andererseits wird eine erfolgsentscheidende Preisgestaltung gefordert. Das Serienmodell dürfe im starken chinesischen Wettbewerbsumfeld auf keinen Fall 300’000 RMB, umgerechnet 37’000 CHF, übersteigen, so der Wunsch.
Andere glauben an das Geschäftsmodell, das in ähnlicher Form auch BMW mit Spotlight Automotive fährt. Das Joint Venture der Bayern mit Great Wall baut den batterieelektrischen Mini Cooper. Jeder wisse, dass hier chinesische Massenware verbaut werde. Trotzdem verkaufe sich das Auto gut. Bleibt der Einwand, dass dieser Mini zwar als Premiumprodukt angepriesen wird, diesen Anspruch aber in Materialwahl und Verarbeitung nicht halten kann. Der Mini verkauft sich vor allem über sein einzigartiges Design und über die kultige Markenwelt.
Wenn es der neuen Marke Audi gelingt, die bisher geschätzten Werte der «alten Autowelt», wie die Chinesen über die europäischen Hersteller sagen, weiter zu pflegen und mit innovativer IT aus China anzureichern, dann besteht die Chance auf ein Comeback der Ingolstädter im Reich der Mitte, so der Tenor. Genau diese Vision verfolgen Gernot Döllner und sein Team: «Mit der Premiere der Marke für intelligente Modelle in China geht Audi neue Wege, um zusätzliche, technikaffine Kundengruppen zu erschliessen». Es wäre wünschenswert, wenn auch europäische Technikfreaks in den Genuss der neu mobilisierten Innovationskraft kämen – wenngleich in Modellen der Marke mit den vier Ringen, für die der Slogan «Vorsprung durch Technik» bitte weiterhin gelten möge.