Der Konflikt in der Ampelkoalition spitzt sich zu. Am Sonntagabend trafen sich Kanzler und Finanzminister zum Vieraugengespräch – es ist wohl nicht das letzte Krisentreffen dieser Woche.
Für die Regierungsspitzen beginnt eine Schicksalswoche: Seit der Veröffentlichung des Positionspapiers für eine «Wirtschaftswende» von Finanzminister Christian Lindner scheint die Koalition aus SPD, Grünen und Liberalen dem Bruch so nahe wie nie zuvor.
Am Sonntagabend traf sich der FDP-Chef Lindner für ein dreistündiges Vieraugengespräch mit Bundeskanzler Scholz. Nach dem Gespräch meldete sich der Finanzminister auf X, dort schrieb er: «Niemand kann akzeptieren, dass Deutschland wirtschaftlich nach hinten durchgereicht wird. (. . .) Es braucht eine Richtungsentscheidung.»
Zuvor war Lindner bei der ZDF-Sendung «Berlin direkt» zu Gast. Er versprach dort, dass es schnell zu einer Klärung der Situation kommen werde. Der Frage, ob er die Ampelkoalition verlassen wolle, wenn seine Vorschläge nicht angenommen würden, wich Lindner aus. Stattdessen betonte er, dass sich nicht derjenige rechtfertigen müsse, der Lösungen vorschlage, um das Land aus der Krise zu führen, sondern derjenige, der keine Vorschläge mache – eine klare Anspielung auf Scholz.
Scholz plant weitere Krisentreffen mit Lindner und Habeck
Scholz wiederum hatte sich vor dem Vieraugengespräch mit seinen SPD-Spitzen beraten, wie die «Bild»-Zeitung berichtet. Mit den Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie dem Generalsekretär Matthias Miersch und dem Fraktionschef Rolf Mützenich soll der Kanzler besprochen haben, welche Strategie die Sozialdemokraten in den folgenden Verhandlungen mit FDP und Grünen verfolgen werden. Dreh- und Angelpunkt ist der Haushaltsplan des Bundes, der am 14. November final beschlossen werden soll.
Einerseits dürfte Scholz kaum daran interessiert sein, dass seine Dreierkoalition weniger als ein Jahr vor den Bundestagswahlen und inmitten der US-Wahlen zerbricht. Andererseits stehen die nun öffentlichen Formulierungen Lindners – wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Steuersenkungen und die Abkehr vom deutschen «Sonderweg» im Klimaschutz – im direkten Widerspruch zu den Zielen von Grünen und SPD.
Der Kanzler hat deshalb für diese Woche mindestens zwei weitere Termine mit Lindner und dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck angesetzt. Am Mittwoch kommen die Beteiligten dann im Koalitionsausschuss zusammen. Der SPD-Chef Klingbeil sprach im Hinblick auf den Ausschuss von einer «Woche der Entscheidungen».
Am Montagmittag (4. 11.) trifft sich die FDP-Fraktion, inklusive Lindner, bei einem eigens einberufenen Spitzentreffen im Bundestag mit 23 Wirtschaftsverbänden. Fast zeitgleich befindet sich Habeck beim Deutsch-Französischen Wirtschaftstag in Berlin. Das nächste Mal dürften sich die beiden Minister beim Treffen mit ihrem Regierungschef sehen.