Der Langlaufclub Studen im Schwyzer Unteriberg hat eine grosse Fangemeinde. Das liegt an den täglichen Kommentaren zum Wetter von seiner Geschäftsführerin Sonja Fässler – und am zuverlässigen Schnee. Zumindest bisher.
Auf ihre Worte wartet eine ganze Fangemeinde. Jeden Morgen um 5 Uhr 30 steht Sonja Fässler in Studen, Unteriberg, Kanton Schwyz, auf, setzt sich vor den Computer und schreibt den Wetterbericht. «Ach, Frau Holle, hast du eigentlich ein Wasserbett?», fragt sie dann, wenn der Schnee wieder einmal ausbleibt. «Die gestrigen Niederschläge sind nämlich wieder nur in Regenform gefallen. Die Loipen sind geschlossen.» So wissen Hunderte Langläufer bis nach Zürich: Es wird nichts mit einem Training.
Sonja Fässler ist 57 Jahre alt und das Gesicht und die Seele des örtlichen Langlaufklubs. Seit 23 Jahren führt sie die Geschäftsstelle des Vereins, seit es diese gibt. Der Langlaufklub formte Fässlers Leben und das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Und heute formt Fässler den Verein. Die Geschichte von Sonja Fässler und dem LC Studen ist eine über Identität, Grenzen des Wachstums und Gewissheiten, die langsam erodieren.
Früher sprach Sonja Fässler ihren Lagebericht auf den Anrufbeantworter. Später aktualisierte sie zusätzlich jeden Tag die Website. Die gibt es, seit «das Internet schier ufcho isch», und sie sieht aus, als hätte sie seither nie jemand verändert. In schwarzer Schrift auf grauem Grund tippt Sonja Fässler ihren kleinen poetischen Gruss zum Zustand der Loipen. Oft heiter, immer häufiger auch betrübt.
Sonja Fässler wurde unbeabsichtigt zu einer Chronistin der Klimaerwärmung. Neben ihr am Tisch sitzt ihr Mann, im Selbstbedienungsrestaurant des Nordic-Hus, eines Gebäudes mit hohen Fenstern und einer langen Theke im Obergeschoss, einem Sportgeschäft mit Skiverleih im Parterre und einem Wachsraum und Garderoben im Untergeschoss. Mit Stolz haben die beiden das Langlaufzentrum vor 10 Jahren eröffnet. Nur, wie lange können sie es noch betreiben?
Gabriel Fässler ist 69 Jahre alt, seit 32 Jahren Präsident des LC Studen, und seine Wetterstation lässt keinen Raum für Zweifel. «Ich will die Erwärmung nicht leugnen.» Nur fragt er sich, «ob sie wirklich handgemacht ist». Schliesslich sei man ja immer noch «in einer Auftauphase von der grossen Eiszeit». Und da sehe er das Problem, dass «die Sommer wärmer sind und die Gletscher zurückgehen, und dann geht alles noch schneller». Die Grünen, die würde er jetzt deshalb nicht wählen.
Eine Autostunde von Zürich entfernt finden Langläufer Schnee und Erholung.
Der Langlaufclub Studen verdankt seine Existenz der besonderen geografischen Lage. Auf den Schnee war hier hinten, auf dieser Ebene südlich des Sihlsees, immer Verlass. Auch 1972, als der Skiclub Einsiedeln im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sapporo ein Vergleichsrennen mit Sportlern aus der DDR durchführen wollte, aber die Wiesen nur grün waren. «Wir haben ausgeholfen und die Langläufer empfangen.» Gabriel Fässlers Vater fand es schade, die Loipen nach dem Rennen nicht mehr zu nutzen.
Also gründete David Fässler an einem Abend im Jahr 1972 den Langlaufclub Studen, Gabriel Fässlers Mutter führte Protokoll, der Bruder und er waren auch da, «ein churzer Chut», sagt Fässler, «hier kennen sich ja alle». Man kannte auch Sonja Fässlers Vater, der Pistenchef wurde, Sonja Fässlers Mutter übernahm das Amt der Kassiererin. Und so lernten sich auch Sonja und Gabriel kennen, «du warst viel bei uns», sagt sie zu ihm, «bist mit Däddy z’Berg gegangen». Irgendwann kamen sie zusammen.
Gabriel Fässler läuft schon lange nicht mehr selbst, aber er erinnert sich gerne an diese Zeit. Während in den 1970er Jahren die Sportler ausschliesslich auf klassische Technik in den Spuren setzten, mischte in den 1980er Jahren eine neue Idee aus dem Norden die Szene auf: Der Siitonen-Schritt habe für «böses Blut» unter den Langläufern gesorgt. Die einen blieben mit beiden Ski in der Spur, die anderen machten einen Ausfallschritt und damit die Spur ersterer kaputt.
In Studen reagierte man bald: Niemand sollte sich mehr in die Quere kommen. Der Verein verbreitete die Loipen, damit die Skater, mittlerweile ganz ausserhalb der Spuren unterwegs, genug Platz für sich hatten. Um die Schneemassen zu verteilen und zu verdrücken, reichte der Schneetöff nicht mehr aus, man brauchte neue Pistenbullys. Jahrzehntelang präparierten Gabriel Fässlers Bruder und ein Bekannter die Loipen. Die beiden standen um 4 Uhr oder 5 Uhr in der Früh auf und schauten, ob es geschneit hatte, und sie wussten, was zu tun ist. Man kennt sich, man kennt die Natur, und man kennt seine Aufgabe. So lautet die Logik des Dorfes.
Heute sind es die Angestellten einer lokalen Firma, Beton Baumeli AG, die den Loipen-Dienst übernehmen, weil sie im Winter weniger Arbeit auf dem Bau haben. «Eine schöne Synergie», sagt Gabriel Fässler. Er hat seinen reinen Dialekt mit ein paar Begriffen aus der Businesswelt erweitert. Der Langlaufklub ist heute mehr KMU als Verein.
Sonja Fässler mag den Kontakt mit den Gästen. Diese können vor Ort auch gleich Langlaufski mieten.
Der LC Studen ist über all die Jahre gewachsen: aus 6 Loipenkilometern wurden 27, aus 300 Mitgliedern wurden 3000. Immer mehr Zürcher finden in Studen Erholung von ihrer anstrengenden Stadt: Es hat genug Parkplätze und genug Sitzplätze, anstatt Matcha Latte und Randen-Soufflee gibt es heisse Schokolade und Wienerli. In Studen ist die Luft kalt, und die Menschen sind warm, und am meisten strahlt Sonja Fässler, wenn sie im Schalter die Gäste begrüsst. «Willkommen.»
Fässler freut sich, kann sie so vielen Leuten die Möglichkeit bieten, «den Kopf zu durchlüften». Besonders während der Pandemie hätten sie gemerkt, wie sehr die Gäste sich nach der Natur gesehnt hätten. Gabriel Fässler erinnert sich an die lange Schlange vor dem Skiverleih. «Wenn ich mir vorstelle, ich wäre mit meinen drei kleinen Kindern in einer Wohnung in Zürich eingesperrt gewesen, da wäre ich auch hinausgefahren, sonst dreht man durch», sagt Sonja Fässler. Im Unterschied zu anderen Bergregionen freuen sich die Fässlers über die Zürcher. Und die freuen sich, sind sie für einmal mehr als geduldete Geldgeber. Die Beziehung war immer eine gute.
Sonja Fässler pflegt die Kontakte gerne. Sie bekomme viele E-Mails und werde oft am Schalter auf ihre Texte angesprochen. Einmal habe ihr sogar ein Dozent ausrichten lassen, er behandle ihren Loipenbericht im Kommunikationsunterricht, «weil er so echt sei». Der Zuspruch helfe ihr besonders in schwierigen Zeiten. Zum Beispiel während der vergangenen Saison. 2024 war bereits am 22. Januar Schluss. Danach schneite es nicht mehr, und dennoch schrieb Sonja Fässler bis Mitte März jeden Morgen um 6 Uhr eine neue Nachricht, die immer gleich endete: «Die Loipen sind geschlossen.»
Das Klima beschäftigt den Verein, man hat im Vorstand geprüft, ob es eine Möglichkeit wäre, den Schnee «technisch» herzustellen. 15 Lanzen brauchte man dafür, hohe Säulen wie Strassenlaternen, aus denen es schneit. Man müsste Leitungen verlegen und eine Pumpstation aufbauen. 1,5 Millionen Franken Investitionen wären nötig – nur, um die Anlage aufzubauen. Damit würden allerdings nur 2,5 Kilometer beschneit, sollte es denn überhaupt kalt genug sein, das Wasser aus dem Bach und die Luft in der Nacht. Fässler hat alles geprüft und verstanden: «Das mit dem technischen Schnee auf 900 Höhenmetern wird schwierig, wenn sich das Klima weiter so erwärmt.»
Gabriel und Sonja Fässler mögen die Gewissheit, dass in Studen Schnee liegt, noch nicht ganz loslassen. «Ende der 1980er Jahre gab es auch schon eine Saison, in der wir keinen Schnee hatten», sagt Gabriel Fässler. «Das gab es immer wieder», sagt Sonja Fässler. «Nur ist es hüür zum Glück umgekehrt, wir sind froh und glücklich, dass wir Schnee haben.» Zu Beginn der Saison, Ende November, war Fässler zwar noch besorgt: «Was mir eher auf dem Magen liegt, sind die angesagten milden Temperaturen», notierte sie. Dann wurde es doch noch kalt. Der Sihlsee ist wieder einmal gefroren und Sonja Fässler meldet seither: Die Loipen sind offen.
Dass der Langlaufklub irgendwann mit dem Schnee ganz verschwinden wird, «dieses Szenario müssen wir für in 30 Jahren schon im Kopf haben», sagt Gabriel Fässler. «Vielleicht, ja, wird es so sein, wenn wir ganz ehrlich sind», sagt Sonja Fässler. Lieber als in die ferne blickt Fässler in die nahe Zukunft. Sie möchte sich gerne noch einmal für zwei Jahre zur Wahl stellen als Leiterin der Geschäftsstelle, ihr Mann würde dann das Präsidium noch einmal machen. Nachfolger sind in Sicht. Man habe jetzt Junge im Vorstand, «frisches Blut». Sonja Fässler zuckt mit den Schultern. «So ist das Leben, und so geht es hoffentlich weiter.»