Vor dem EM-Start gegen Ungarn soll im zweiten Testmatch die Temperatur im Schweizer Nationalteam steigen. Gegen Österreich will Murat Yakin den Ernstfall simulieren, das Resultat ist nicht so wichtig. Oder etwa doch?
Murat Yakin braucht eine Weile, um am Tag vor dem letzten Testspiel gegen Österreich richtig wach zu werden. «Da hätte ich nichts dagegen», sagt er zu Beginn. Der Medienchef hält Ausschau nach einem Journalisten, der eine Frage stellen möchte, und bemerkt launig, dass die Veranstaltung wohl als kürzeste Pressekonferenz in die Geschichte der Schweizer Nationalmannschaft eingehen werde.
So weit kommt es dann nicht, die Müdigkeit wird zur Lockerheit, und zwanzig Minuten später kann Yakin fast nicht mehr an sich halten vor lauter Lachen, weil ihm eine besonders absurde Frage gestellt worden ist.
Das Publikum bekommt den ganzen Yakin vorgeführt. Es gibt den maulfaulen Trainer, der einen lästigen Pflichttermin wahrnimmt und das auch nicht gross verbergen mag. Und es gibt da auch den sympathischen Kumpel-Typ, der es zwischendurch gerne mal lustig und Freude an einem lockeren Spruch hat. Man muss ja auch auf den Bauch hören.
Ob er Mahlzeiten auslasse, damit das Team an der EM richtig siegeshungrig sei, lautete die Frage. Manchmal hilft auch im Leben als Nationaltrainer nur noch Lachen.
Jashari statt Zeqiri bekommt den letzten Platz
Zwischen dem müden Anfang und dem lustigen Schluss gab Yakin aber durchaus den einen oder anderen Einblick in seine Gedanken, die ihn umtreiben vor dem letzten Aufwärmen für das Turnier. Klar wurde, dass Denis Zakaria weiter um eine Rückkehr ins Training kämpft und Breel Embolo am Montag mitreisen wird ins EM-Quartier in Stuttgart Vaihingen.
Im Abschlusstraining stand Embolo auf dem Feld. Danach gab Yakin bekannt, dass nicht der Stürmer Andy Zeqiri den letzten der 26 Plätze im Kader bekommt, sondern der Mittelfeldspieler Ardon Jashari. Es sieht also so aus, dass Yakin eher mit einem Back-up für den rekonvaleszenten Zakaria rechnet.
Das sind unsere 26 EM-Fahrer 🇨🇭
Nos 26 joueurs pour l’Euro
I nostri 26 giocatori per l’Europeo📰 ➡ https://t.co/hbEijFm84Y#natimiteuch #lanatiavecvous #lanaticonvoi #lanaticunvus #Euro2024 pic.twitter.com/GConT9v1u0
— 🇨🇭 Nati (@nati_sfv_asf) June 7, 2024
Breel Embolo, mit 63 Länderspielen und 13 Toren der erfahrenste Schweizer Angreifer, ist mit einer Muskelverletzung eingerückt. Erst Ende April gab der 27-Jährige das Comeback bei Monaco nach einer wegen eines Kreuzbandrisses verpassten Saison. Yakin muss deshalb für den EM-Start ohne die Wucht und Kampfkraft des Stürmers disponieren.
Wie das gehen könnte, probierten die Schweizer am Dienstag beim 4:0 gegen Estland aus: mit dem Debütanten Kwadwo Duah, dem Yakin einmal mehr mit lobenden Worten den Rücken stärkte. Oder mit Zeki Amdouni, der sich mit einem Tor Selbstvertrauen geholt hatte. Gegen die Esten noch unpässlich, stünde Noah Okafor als weitere Option bereit.
Ruben Vargas spielt in den Überlegungen Yakins eine wichtige Rolle. Der wirblige Dribbler hat im FC Augsburg eine gute Saison hinter sich und hat weiter dazugelernt, die physischen Nachteile mit flinkem Spiel und Übersicht zu Vorteilen zu machen. Steven Zuber dürfte nach dem starken Comeback abermals eine Chance bekommen. Über Xherdan Shaqiri sagte Yakin das, was er immer sagt: ein Spieler, der immer für eine entscheidende Aktion gut sei. Gegen Österreich würde Shaqiri zeigen müssen, dass er auch in der Defensive mitarbeitet. Im ersten Test am Dienstag war das nicht nötig.
War Estland ein Gegner fürs EM-Vorglühen, ist Österreich nun eine Mannschaft fürs Aufwärmen. Hat die Mannschaft in Luzern etwas fürs gute Gefühl gemacht, will Yakin gegen die Auswahl des Nachbars sehen, ob die seit fast zwei Wochen eingeübten Planspiele auch gegen Österreich funktionieren. Es ist davon auszugehen, dass die Mannschaft so beginnen wird, wie es Yakin auch gegen Ungarn plant.
Nicht nur die Leistung, sondern auch das Resultat ist bedeutsam für die Stimmung in der Mannschaft und der Öffentlichkeit in den Tagen vor dem Turnierstart. Es zähle erst gegen Ungarn wirklich, sagte Yakin zwar zuerst an der Medienkonferenz. Kurz danach sagte er gegenüber dem Schweizer Fernsehen, das Resultat gegen Österreich sei durchaus wichtig. Wahrscheinlich gilt auch für Yakin Letzteres. Wie auch immer.
Abschalten beim Segeln ohne Wind
Jedenfalls ist die Vorfreude auf den Moment, wenn es am Samstag in einer Woche gegen Ungarn wirklich zählt, bei Yakin und in der Mannschaft durchaus zu spüren. «Was aussen passiert, können wir nicht gut beurteilen», sagt er, «in der Mannschaft aber ist die Freude aufs Turnier riesig.» So sind lauter fröhliche Spieler und Staff-Mitglieder zu sehen auf den Bildern und Filmchen, die der Verband am Donnerstag verbreitete: In Segelbooten auf dem Bodensee hatte die Mannschaft grossen Spass bei einer Plausch-Regatta, obwohl es fast windstill war.
Die Vorfreude ist also da, jetzt muss der Funke nur noch überspringen. In der Ostschweiz ist er bereits so weit gesprungen, dass das Stadion in St. Gallen gegen Österreich ausverkauft ist. Aber es wartet noch viel Arbeit. Das Publikum hat sich unterdessen daran gewöhnt, dass die Schweizer Fussballer an einer Endrunde teilnehmen. Ausser 2012 waren sie seit 2004 an jedem Finalturnier dabei. Die Teilnahme ist, ganz anders als beispielsweise im begeisterten Österreich, so etwas wie die Vorbedingung für Vorfreude. Sie kann ruhig noch etwas warten, vielleicht kommt sie ja mit dem Match gegen Österreich.
Der Trainer beschreibt gleich selber, welche Euphorie es braucht in den kommenden drei, vier Wochen: einen Sieg im Achtelfinal, im Minimum. «Ich erinnere mich gut an den Tag vor drei Jahren», sagt Yakin über den Sieg gegen den damaligen Weltmeister Frankreich in Bukarest. Damals weilte Yakin in der Sommerpause als Trainer im Challenge-League-Verein FC Schaffhausen. Als er an jenem Abend am Bellevue in Zürich vorbeispazierte, wunderte er sich, dass der Platz so leer war. So erzählt das Yakin, wenn er seine Hoffnung darauf in Worte fassen möchte, dass die Spiele seiner Schweizer Mannschaft zum Strassenfeger werden wie vor drei Jahren.