Noch sind die Flammen nicht unter Kontrolle, doch die Bürger zeigen bereits mit Fingern auf die Behörden. Hätten Kaliforniens Politiker mehr unternehmen können, um das Ausmass der Katastrophe zu verringern?
Feuer gehören zu Kaliforniens Geschichte wie der Goldrausch – und doch unterscheiden sich die jüngsten Brände im Los Angeles County von allem bisher Gesehenen. Für einmal brachen die Lauffeuer mitten in einer Metropolregion aus, noch dazu an mehreren Orten gleichzeitig und mit nie gesehener Geschwindigkeit.
Mit zehn Millionen Menschen hat Los Angeles County mehr Einwohner als 40 der 50 Gliedstaaten. Das macht das Ausmass der Brände so verheerend, schon jetzt sind es die teuersten der amerikanischen Geschichte. Doch es wirft auch Grundsatzfragen für die Politik auf. Wieso war die zweitgrösste Stadt des Landes nicht besser geschützt? Hätte sich das Feuer schneller eindämmen lassen – oder gar verhindern? Und welche Lehren lassen sich daraus für den Wiederaufbau ziehen?
Leere Hydranten und stürmische Winde legten die Feuerwehr lahm
Donald Trump hatte wie so oft schnelle und einfache Erklärungen parat: Hätte sich der Gouverneur Gavin Newsom weniger um den Schutz eines seltenen Fisches in Nordkalifornien gesorgt und mehr Wasser nach Südkalifornien fliessen lassen, wäre das alles nicht passiert, behauptete der designierte Präsident. Es folgte ein Schlagabtausch mit Newsom, der wiederum die Katastrophe als Bewährungstest für seine Präsidentschaftsambitionen 2028 zu sehen scheint.
Tatsächlich sind die Antworten komplizierter. Da ist als Erstes die Frage nach dem Mangel an Löschwasser. Nicht einmal 24 Stunden nach dem Ausbruch der Brände standen die Feuerwehrleute in den Hügeln der Pacific Palisades vor leeren Hydranten.
Die Erklärung dafür hat jedoch nichts damit zu tun, dass man eine vom Aussterben bedrohte Fischart retten wollte. Vielmehr sind die Wassersysteme der Stadt dafür ausgelegt, einzelne brennende Häuser zu löschen – aber keine kilometerweiten Lauffeuer. Dieses Szenario sei beim Bau der Wassersysteme schlichtweg nicht vorgesehen gewesen, erklärte Marty Adams, der früher für die Wasserbehörde von Los Angeles als Ingenieur gearbeitet hatte, gegenüber der «New York Times».
Dass es an so vielen Orten gleichzeitig brannte, wurde vor allem für die auf Hügeln gelegene Nachbarschaft der Pacific Palisades zum Problem. Zu deren Schutz vor Feuern stehen drei Löschwassertanks mit einem Volumen von je 3,8 Millionen Litern in den Hügeln bereit. Sie waren komplett gefüllt. Doch das Feuer breitete sich so rasch aus, dass die Tanks bald leer waren. Vorgesehen wäre, dass sie mit Wasser aus einem nahe gelegenen Reservoir nachgefüllt würden. Doch fatalerweise war genau dieses Reservoir zurzeit wegen Reparaturarbeiten komplett leer – dabei hatten Wettervorhersagen zuvor vor hoher Feuergefahr gewarnt.
Die Wassertanks hätten also mit Wasser aus den Hauptleitungen der Stadt wieder aufgefüllt werden müssen. Doch weil mehrere Brände gleichzeitig ausgebrochen seien, zapften an diesen Vorräten zu viele Quellen gleichzeitig, erklärte die Vorsitzende der Wasserbehörde von Los Angeles, Janisse Quinones. Das Ergebnis war, dass der Pegel der Haupttanks rapide sank und der Druck nicht mehr ausreichte, um Wasser in die höher gelegenen Tanks zu pumpen.
«Die Unterbrechung der Versorgung durch Hydranten hat vermutlich dazu beigetragen, dass manche Häuser und Evakuierungskorridore schlechter geschützt waren», gab der Gouverneur Newsom zu. Er habe eine Untersuchung zu den Ursachen eingeleitet.
Die trockenen Hydranten waren jedoch nicht das einzige Problem der Feuerwehr: Löschflugzeuge und -helikopter, die normalerweise Wasser und flammhemmende Mittel aus der Luft verteilen würden, konnten am Dienstag und Mittwoch wegen der heftigen Winde nicht fliegen. Die Rückendeckung von oben blieb aus. Die Feuerwehr versuchte also, Löschwasser mit grossen Tankfahrzeugen in die Hügelregionen zu bringen. Teilweise waren aber die Strassen durch flüchtende Anwohner blockiert, so dass sich auch das verzögerte.
Hinzu kam, dass kurz darauf ein zweites riesiges Feuer nur 40 Kilometer entfernt ausbrach, das Eaton Fire in Altadena – und bald ein drittes und ein viertes.
«Die Windböen verteilten die Glut kilometerweit»
Aus Sicht mehrerer Behördenchefs brach über Los Angeles der «perfekte Sturm» aus, den man sich vorher nicht hätte ausmalen können. «Wir hätten die Flammen auch mit mehr Wasser nicht aufhalten können», sagte Chad Augustin, der Vorsitzende der Feuerwehr von Pasadena, das vom Eaton Fire heimgesucht wurde. Er hat eine andere Erklärung für das enorme Ausmass der Schäden: «Die erratischen Windböen verteilten die Glut kilometerweit, deswegen konnte sich das Feuer so rasant ausbreiten.»
Auch ein anderer Feuerwehrmann mit 34 Dienstjahren erläuterte gegenüber der «Los Angeles Times», dass die Flammen nicht wie sonst üblich bis zu zehn Minuten gebraucht hätten, um über einzelne Gebäude hinwegzurasen – sondern nur ein bis zwei Minuten. Ein Feuer dieser Stärke übersteige alles, was sie bisher erlebt hätten, erzählten die Einsatzkräfte.
Jahrzehntealte Wasserleitungen sind ein Risikofaktor
Doch die Vergangenheit hätte Kalifornien womöglich eine Lehre sein können. Tatsächlich kam es immer wieder vor, dass Feuerwehrleute vor leeren Hydranten standen – letztmals geschehen etwa bei Bränden im benachbarten Ventura County oder auch bei den Feuern auf der hawaiianischen Insel Maui 2023. Vor allem in den Übergangsgebieten zwischen Natur und Stadt – den «Wildland Urban Interfaces» – kommt es immer wieder vor, dass riesige Brände mit unzureichenden urbanen Wasseranlagen gelöscht werden müssen. Auch die Pacific Palisades liegen in einer solchen Zone.
Vorwürfe werden nun laut, dass Los Angeles längst seine jahrzehntealten und relativ schmalen Wasserleitungen modernisieren und dem enormen Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte hätte anpassen müssen. Die Stadt habe viel zu wenig in ihre Infrastruktur investiert, sagte etwa Traci Park, die im Stadtrat von Los Angeles unter anderem die Region Pacific Palisades vertritt. Sie sagt warnend: «Mit diesen Wasserleitungen könnten überall Umweltkatastrophen passieren.»
Doch urbane Wassersysteme so umzugestalten, dass sie dem Kampf gegen Flächenbrände gewachsen sind, wäre enorm teuer, sagte Greg Pierce, Forscher für Städteplanung an der University of California in Los Angeles, gegenüber der «New York Times».
Das Meinungsressort des «Wall Street Journal» kritisiert nun, dass Kalifornien zwar lauthals vor dem Klimawandel warne und Milliarden für erneuerbare Energien ausgebe, um diesen abzuwenden – aber viel zu wenig, um sich selbst in aller Konsequenz gegen die daraus resultierenden Naturkatastrophen zu wappnen.
Doch wenn sich ein Gliedstaat einen solchen Schutz leisten könnte, dann der «Golden State»: Mit einer Wirtschaftsleistung von zuletzt 3,9 Billionen Dollar ist er die fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt. Sinnvoll wäre als Brandschutzmassnahme auch, die überirdisch verlaufenden Stromleitungen unter die Erde zu verlagern. Immer wieder lösen Bäume, die auf Stromleitungen stürzen, Grossbrände aus. Doch auch diese Massnahme wäre enorm teuer: Pro Meile (1,6 Kilometer) würden die Kosten bei 1,8 Millionen bis 6 Millionen Dollar liegen, schätzen Experten. Die gliedstaatliche Strombehörde plant, das in Teilen in den kommenden Jahren zu tun – aber das dürfte nicht genug sein.
Feueranfällige Gebiete bieten günstigen Wohnraum
Die grundlegende Frage sei, sagt der Städteplaner Pierce, ob es eine gute Idee sei, Nachbarschaften in Regionen wie den Pacific Palisades neu aufzubauen, die in solche «Wildland Urban Interfaces» fielen. Tatsächlich hat sich die Bevölkerung Kaliforniens in den letzten fünfzig Jahren verdoppelt, inzwischen lebt jeder vierte Bürger in einer solchen Zone. Grundsätzlich darf man in Kalifornien aber – frei nach der Wildwest-Mentalität – bauen, wo man möchte. Es gibt kaum Bauvorschriften, die einen davon abhalten würden.
Meistens zügelten diejenigen Menschen in Natur-Grenzgebiete, die sich andernorts kein Haus leisten könnten. Aber nicht nur: Auch Wohlhabende suchen zunehmend die Natur als Kontrast zum Städteleben, wie im Fall der Pacific Palisades und Malibus.
Das Problem ist, dass die Versicherungsprämien nicht die Risiken spiegeln, die mit dem Besitz von unzureichend gewappneten Häusern in brandgefährdeten Gebieten einhergehen. Eine Volksabstimmung von 1988 beschränkte, wie stark die Kosten für Hausversicherungen in Kalifornien steigen dürfen. Das erklärt auch, warum sich viele Versicherer ganz aus feuergefährdeten Gebieten zurückziehen: Es ist ein Verlustgeschäft für sie.
Experten für Städteplanung stellen schon lange infrage, ob es sinnvoll ist, dass Menschen in solchen «Wildland Urban Interfaces» leben dürfen. «Der Status quo ist recht gefährlich für die öffentliche Sicherheit», sagte Bill Stewart, der als Experte für Waldmanagement an der University of California in Berkeley forscht, schon 2018 gegenüber der NZZ. In Kalifornien betragen die Kosten der Brandbekämpfung inzwischen 3,3 Milliarden Dollar jährlich, das sind fünfzig Prozent mehr als noch vor fünf Jahren.
Dass es an sicherem Wohnraum mangelt, erklärt sich auch damit, dass viele Gemeinden wie San Francisco gezielt mehrgeschossige Neubauten verbieten. Diese würden ja das Stadtbild schänden, heisst es zur Begründung. Es ist ein typischer Fall von sogenannter Nimby-Politik – «not in my backyard». Reformen gern, aber bloss nicht in meinem Garten. Die Feuerkrise ist so gesehen eine direkte Folge der Wohnkrise.
Budget für Feuerwehr gekürzt
Es hagelt nur Vorwürfe gegen die Politiker. Unter anderem stehen die Stadtverwaltung und die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, in der Kritik, weil das Budget der Feuerwehr im vergangenen Jahr gekürzt wurde. Allerdings entsprach die Kürzung von 17,6 Millionen Dollar gerade einmal zwei Prozent der Gesamtmittel für die Feuerwehr. Die Chefin der Feuerwehr, Kristin Crowley, hatte diese Kürzungen bereits im Dezember kritisiert und wiederholt nun wieder, dass dies die Fähigkeiten ihrer Behörde «enorm beeinträchtigt» habe. So fehle es neuerdings an Mechanikern, weshalb hundert Feuerwehrfahrzeuge nicht einsatzbereit gewesen wären.
Die Bürgermeisterin Bass wiederum stritt ab, dass die Kürzungen einen Einfluss auf die Entwicklungen der Brände gehabt hätten. Bass steht kommendes Jahr zur Wiederwahl.
Tatsache ist, dass die Brände nicht nur Los Angeles, sondern ganz Kalifornien den Spiegel vorhalten: Wie will der Gliedstaat künftig mit der Feuergefahr umgehen? Welche Konsequenzen wird die Politik aus der Katastrophe ziehen – und welche die Wähler?
Newsom hat bereits einen «Marshall-Plan für Los Angeles» versprochen und träumt von einem «LA 2.0», wie er es nennt. Wie die Stadt konkret aussehen soll, sollte er besser bald entscheiden: Zehntausende Menschen brauchen ein neues Zuhause. Und nicht nur das: Los Angeles will schon nächstes Jahre Teile der Fussball-Weltmeisterschaft ausrichten, 2027 dann den Super Bowl und 2028 die Olympischen Spiele. Dann kann der «Golden State» der Welt zeigen, wie man sich den Folgen des Klimawandels in aller Konsequenz anpasst.