In den Restaurants des Zürcher Fünfsternehotels «Baur au Lac» können Normalsterbliche in die Welt der Schönen und Reichen eintauchen. Die Räume sind eine Pracht, doch isst man dort besser als anderswo?
Ein Millionenpublikum amüsiert sich bei der bitterbösen HBO-Serie «The White Lotus» darüber, wie die Reichen und Schönen durch nobelste Ferienresorts stolpern. Das ist fiktionale Fünfsternhotellerie, Zürichs berühmteste zwei Luxushäuser sind real: Das «Dolder Grand» schwebt am Hügel in eigenen Sphären, während das «Baur au Lac» mitten im pulsierenden Stadtkern als geerdeter gilt. So verabschiedete es sich vor einem Jahr auch vom Fine Dining: Das «Pavillon», in dem man kaum für unter 200 Franken gegessen hatte, heisst nun «Marguita», die Krawatten und Ansprüche sind etwas gelockert.
Unser Plan, dort zu zehnt eine lebenserfahrene Jubilarin zu feiern, fällt allerdings den Betriebsferien des Lokals zum Opfer. Also weichen wir ins «Baur’s» aus, die vor fünf Jahren aus dem «Rive Gauche» entstandene Brasserie, was wir nicht als Strafe empfinden: Der märchenhaft schöne, grosszügige Gastraum mit türkis gestrichenen Balken, rostroten Sesseln und üppigen Kronleuchtern ist begehrt und oft ausgebucht. Für unsere Gruppe ist die lange Tafel am Ende des Saals reserviert.
Hier erhält man noch Klassiker wie die Sole meunière – bloss gehört diese laut der Kellnerin zu den Gerichten, die innerhalb von Tischgesellschaften unserer Grösse nicht erhältlich sind. Dafür wählt die betagte Jubilarin das Stubenküken «Under The Brick» (Fr. 45.–) – obwohl einer aus dem Serviceteam auf die Frage, ob er es empfehlen könne, davon abrät: Das finde er selbst nicht besonders gut, es habe so kleine Knöchelchen und sei kaum kross. Wenigstens ist er ehrlich, und leider behält er recht. Dabei sollte das Hühnchen bei dieser Zubereitungsart unter einem Ziegelstein speziell knusprig werden.
Ebenso wenig Begeisterung am Tisch weckt das Zürcher Geschnetzelte (Fr. 59.–): Das «regionale Kalbfleisch» ist zu stark gegart, die Sauce gemäss einhelliger Meinung zu kompakt bis klebrig, die in handtellergrossen Pfännchen gebratenen Rösti sind innen ausgetrocknet und aussen hart.
Dabei hat der Abend doch mit einer formidablen Vorspeise begonnen: feinste Spinat-Ricotta-Ravioli in hauchdünnem Teig mit schwarzem Trüffel (Fr. 25.–). Tadellos sind auch die Pommes frites und der Gargrad eines Safranrisottos, der allerdings mit salzigen Lomo-Ibérico-Würfelchen und Jakobsmuscheln geschmacklich überfrachtet ist. Von der vielfältigen veganen Spezialkarte mit guten Pasta-Gängen fällt am Ende das Schokoladenmousse (Fr. 16.–) komplett durch – mit indiskutabler Konsistenz und seltsam säuerlicher Note. Die Schokolade schliesslich, die für klassische Profiteroles (Fr. 18.–) am Tisch über an sich tadellose Windbeutel gegossen werden soll, purzelt in kalt klumpenden Klecksen aus der Sauciere und reicht nicht einmal für alle.
Diese Kolumne basiert meist auf einem einzelnen Restaurantbesuch, wahrheitsgetreu wiedergegeben, aber eben nur eine Momentaufnahme. Da ich jedoch bald darauf doch auch noch im Schwesterbetrieb «Marguita» lande, sei die dortige Erfahrung hier einbezogen. Der Raum, renoviert vom «Baur’s»-Innenarchitekten, ist ebenfalls eine Augenweide (wozu die beliebige Hintergrundmusik nicht recht passt). Der junge deutsche Kellner spricht zunächst konsequent Englisch mit uns, die Atmosphäre ist etwas steifer, als es die mediterran inspirierte Karte erwarten liesse. Wie im «Baur’s» könnte man mit 50 Gramm Kaviar (Fr. 240.–) beginnen, unterm Motto «Lobster Love» gibt’s Hummer-Kreationen, als Hauptspeisen auch einfache Pasta-Gerichte (ab Fr. 34.–). Wir essen gut und nicht unanständig teuer.
Für etwas weniger Geld Fünfsterneluft schnuppern lässt sich in der edlen «Baur’s Bar», von deren apartem Dekor sich bei unseren zwei Abstechern aufwendig zurechtgemachte Besucherinnen abheben, deren Sprache russisch klingt. Die Hauscocktails (ab Fr. 19.–) sind ihren Preis wert. Wer allerdings um etwas Wasser dazu bittet, riskiert, automatisch ein 40-cl-Fläschchen Arkin aus Rhäzüns à 9 Franken serviert zu erhalten.
Wer aber nur eine Handvoll Dollar investieren will für die Illusion, ein halbes Stündchen lang dem Reich der Reichen und Schönen anzugehören, könnte sein Glück im prächtigen Park des «Baur au Lac» finden. Dort hat gerade die Saison der neu gestalteten «Marguita»-Terrasse begonnen: An der halbkreisförmigen Marmortheke betrachte ich vor einigen Tagen den zweihundertjährigen Mammutbaum, der schon so vieles gesehen hat, und kippe einen Espresso für 6 Franken. Das ist immerhin günstiger als ein Streaming-Monatsabo, mit dem man sich das köstliche «The White Lotus» reinziehen könnte.
Brasserie Baur’s
Talstrasse 1, 8001 Zürich
Telefon 044 220 50 60
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
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