Die SVP-Nationalrätin teilt gerne gegen Brüssel und Berlin aus. Bei der Chemiefirma Ems, die sie seit zwanzig Jahren führt, sind Geschäfte in Europa aber weiter für die Hälfte des Umsatzes verantwortlich.
Magdalena Martullo-Blocher war als dezidierte Kritikerin der EU noch nie wirklich gut auf Europa zu sprechen. Doch die Art, wie sich Europa zurzeit entwickelt, löst bei der SVP-Nationalrätin und Chefin des Chemieunternehmens Ems besonderen Frust aus.
«Europa ist einfach nicht mehr attraktiv»
Missfallen bereitet Martullo-Blocher nicht nur die Bürokratie in Brüssel, die sie für einen immer grösseren Dschungel an Vorschriften verantwortlich macht. Auch mit der Ampelregierung in Berlin kann sie nichts anfangen, wie sie an der Bilanzmedienkonferenz in Zürich kundtat. Es sei erschreckend zuzusehen, wie Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit abgehängt werde.
Als Geschäftsführerin von Ems ist Martullo-Blocher viel in der Welt unterwegs und bekommt noch und noch zu hören, dass Unternehmen kaum mehr gewillt seien, in Europa zu investieren. «Europa ist einfach nicht mehr attraktiv», sagte sie.
Absatzeinbruch im Bau und in der Maschinenindustrie
Ems ist als Zulieferer der Autoindustrie global aufgestellt. Dennoch stammte im vergangenen Jahr noch immer fast die Hälfte des Umsatzes von 2,2 Milliarden Franken aus Europa. Amerika steuerte knapp 20 und Asien nicht ganz 28 Prozent bei.
Die starke Abhängigkeit von Europa belastete die Geschäfte der Firma. Europa war der einzige Markt, in dem Ems 2023 nicht wuchs. Während die europäische Autoindustrie dank wieder vorhandenen Elektronikteilen mehr als im Vorjahr produzieren konnte, brachen in anderen Absatzbranchen wie dem Bau oder dem Maschinenbau die Bestellungen regelrecht ein. Teilweise habe es Rückgänge von bis zu 50 Prozent gegeben, sagte Martullo-Blocher.
Kunden wollen nicht in Franken bezahlen
Besser lief es Ems in Asien und vor allem in den USA. Zugleich schmälerte die Erstarkung des Frankens empfindlich den gruppenweiten Umsatz. Die Aufwertung war für rund die Hälfte des Rückgangs von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr verantwortlich. Die Firma rühmt sich zwar, mit ihren Granulaten für die Kunststofffertigung spezifische Bedürfnisse zu erfüllen, doch wollen europäische, amerikanische und chinesische Kunden nur in ihrer Heimwährung bezahlen. «Wir würden gerne unsere Rechnungen in Franken ausstellen, aber das geht nicht», gab die Firmenchefin offen zu.
Insgesamt wertete sich der Franken laut der Firmenpräsentation von Ems 2023 um rund 5 Prozent zum Euro auf. Gegenüber dem Dollar waren es sogar fast 9 und zum Yuan nicht ganz 11 Prozent. Die unvorteilhaften Veränderungen an der Wechselkursfront lasteten ebenso auf der Profitabilität. Weil sich ungefähr 50 Prozent der Produktion in der Schweiz befinden, hat Ems einen grossen Kostenblock in Franken, dem aber kaum Einnahmen in der heimischen Währung gegenüberstehen. Das Betriebsergebnis (Ebit) bildete sich mit 19 Prozent überproportional zum Umsatz zurück. Die Ebit-Marge schmolz um 2,5 Prozentpunkte auf 22,5 Prozent.
Damit wurde der tiefste Wert seit fast zehn Jahren erreicht. Das Unternehmen hat sich zwar zum Ziel gesetzt, 2024 wieder ein leicht steigendes Betriebsergebnis zu erwirtschaften. Doch steht ihm wie weiten Teilen des europäischen Chemiesektors ein beschwerlicher Weg bevor. Beim Umsatz rechnet Ems noch mit keiner Erholung, sondern einer Stagnation.
Automobilbranche zurück in der Flaute
Bei Analytikern sorgte dies am Freitag für Enttäuschung. «Ems kann sich den Marktentwicklungen nicht entziehen. Alles in allem ist das Bild eher negativ», urteilte die Bank Vontobel in einem Kommentar.
Der Rückenwind, den Ems im vergangenen Jahr bei Geschäften mit der Autoindustrie verspürt hatte, ist schon wieder abgeflaut. Bereits im zurückliegenden vierten Quartal liess die Dynamik spürbar nach. 2024 werde die weltweite Autoproduktion kaum mehr wachsen, sagte Martullo-Blocher. Im vergangenen Jahr waren die Volumen noch um 10 Prozent gestiegen.
Ems erwartet allgemein weiterhin eine schwache Konjunktur und verweist dabei vor allem auf die gedrückte Konsumentenstimmung in Europa und in China. Zugleich müsste der Konzern seine Preise erhöhen, um die Erstarkung des Frankens zu kompensieren. Doch obschon man intensiv an diesem Thema arbeite, sei dies bis anhin nur wenig gelungen, räumte die Firmenchefin ein. Erstaunlich ist dies nicht, denn welcher Kunde, der mit Absatzproblemen in seinen eigenen Märkten kämpft, goutiert schon Preiserhöhungen.
So pessimistisch und beinahe ein wenig ratlos hat man die Unternehmerin schon lange nicht mehr erlebt. «Ich hoffe, ich kann Ihnen bei der Präsentation des Halbjahresabschlusses wieder ein besseres Betriebsergebnis bringen», sagte Martullo-Blocher kleinlaut zum Schluss der Medienkonferenz.