Der Lausanne HC und Fribourg-Gottéron liefern sich am letzten Mittwoch die drittlängste Partie in der Schweizer Eishockey-Geschichte. Ist das gesund? Ein Mediziner warnt.
Der Sport lebt von seinen grösseren und kleineren Dramen. Und es braucht nicht immer Blut und Tränen, um einen Match unvergesslich zu machen. Es reichen manchmal auch ein paar Tropfen Schweiss. Und dieser floss im zweiten Play-off-Halbfinalspiel am Mittwoch zwischen dem Lausanne HC und Fribourg-Gottéron reichlich, ehe Jason Fuchs die Partie mit seinem Tor zum 3:2 beendete und die Serie für die Waadtländer zum 1:1 ausglich.
Es war bereits die 107. Minute und die dritte Verlängerung gelaufen, als Fuchs die Lausanner Zuschauer, die in der Halle ausgeharrt hatten, in Verzückung versetzte. Die Uhr zeigte da bereits 0 Uhr 40 am Donnerstag an. Begonnen hatte die Partie am Vorabend um 20 Uhr. Im Duell zwischen dem Zweiten und dem Dritten der Regular Season geht es am Samstag in Freiburg weiter. Dann wird sich zeigen, in welcher Verfassung sich die Spieler nach dem Marathon-Match präsentieren.
Lausanne – Gottéron ist das drittlängste Spiel in der Geschichte der Schweizer Eishockey-Play-offs. Den Rekord halten Genf/Servette und der SC Bern, die im März 2019 sogar noch gut zehn Minuten länger spielten (117:43) – bis der Amerikaner Mark Arcobello zum 3:2 für die Berner getroffen hatte. Also fast zwei Partien am Stück hatten die Teams damals in der Les-Vernets-Halle bestritten.
Der Lausanner Christian Djoos stand fast 51 Minuten auf dem Eis
Was das mit den Spielern macht, weiss kaum einer besser als Martin Schär. Er ist seit der Saison 1991/92 Teamarzt im SC Bern und damit einer der dienstältesten Mediziner im Schweizer Eishockey. Schär erzählt, die Spieler hätten damals nach dem Match in der Kabine gesessen und phasenweise nicht mehr recht gewusst, wo sie seien. «Sie sprachen nicht zusammenhängend, phantasierten zum Teil. Wir hatten das Glück, dass wir uns mit dem Sieg für die Halbfinals qualifizierten und danach ein paar Tage Pause hatten. Viel kann man als Mediziner in solchen Momenten nicht tun. Wichtig ist, zu trinken, zu trinken und noch einmal zu trinken. Auf Essen hatte damals niemand wirklich Lust.»
Die Belastung ist längst nicht für alle Spieler gleich. Lausannes schwedischer Verteidiger Christian Djoos zum Beispiel stand im letzten Halbfinalmatch während 50:53 Minuten auf dem Eis, bei Gottéron kam der amerikanische Verteidiger Ryan Gunderson, 38 Jahre alt, auf 42:58 Minuten. Jason Fuchs, der die Partie entschied, brachte es auf 27:58 Minuten, Mike Hügli hingegen lediglich auf 03:51. Er dürfte am Donnerstag nur leichten Schlafmangel gespürt haben.
Doch die eigentliche Zeit auf dem Eis ist bloss ein Teil des Dramas, welches solche Matches verursachen. Meist sind die Spieler nach den Play-off-Partien derart mit Adrenalin vollgepumpt, dass sie danach stundenlang im Bett liegen und nicht einschlafen können. Regelmässig wird deshalb im Eishockey zu verschreibungspflichtigen Hilfsmitteln gegriffen.
Schär sagt, jeder Spieler sei da anders. In Bern würde nur eine Handvoll Spieler einen leichten Anstoss brauchen, um zur Ruhe zu kommen. «Wenn das während den Play-offs drei-, viermal innerhalb von mehreren Wochen notwendig ist, dann ist dagegen aus medizinischer Sicht nichts einzuwenden. Wenn es aber zur Normalität würde, wäre es bedenklich.»
Der damalige Genfer Captain Noah Rod erzählte einst dem «Blick» zum Rekordmatch gegen Bern vor fünf Jahren: «Ich erinnere mich vor allem an zwei Mannschaften, die kein Eishockey spielen wollten, weil sie Angst hatten, einen Fehler zu begehen, der sie das Spiel kostet.» Zu den physischen Strapazen kommen psychische hinzu, die nicht zu unterschätzen sind. Auf der einen Seite herrscht jeweils pure Euphorie, auf der anderen abgrundtiefe Niedergeschlagenheit.
In Norwegen wird ein Match erst in der achten Verlängerung entschieden – viele Fans waren bereits Schlafen gegangen
In der Schweiz werden Play-off-Partien bei ausgeglichenem Skore seit dem Frühjahr 2018 nicht mehr im Penaltyschiessen entschieden, sondern es wird weitergemacht, bis aus dem Spiel heraus ein Treffer fällt. Im Jargon wird dies «Sudden Death» genannt, plötzlicher Tod. Diese Regel, die wie so vieles im Eishockey aus der NHL entlehnt ist, gehört zur Faszination, welche die Play-offs ausstrahlen.
Das längste Eishockeyspiel der Geschichte wurde aber nicht in Nordamerika ausgetragen. In Norwegen wurde ein Match zwischen den Storhamar Dragons und den Sparta Warriors erst nach 214 Minuten und 14 Sekunden respektive in der achten Verlängerung entschieden. Beim Siegtreffer befand sich nur noch ein Bruchteil der anfangs knapp 5000 Zuschauer in der Halle. Auch am Donnerstag in Lausanne gab es in der Schlussphase deutliche Lücken im Publikum.
Marathon-Matches wie diese wecken gleichermassen Begeisterung wie Kritik. Der Liga-Direktor Denis Vaucher sagt: «Mehrere Drittel lange Verlängerungen wie jene in Lausanne sind Teil der Show. Wann immer es zu einer solchen kommt, wird von aussen die Frage nach dem Sinn gestellt. Doch innerhalb der Liga und unter den Klubs stehen solche Verlängerungen nicht zur Diskussion, zumal sie nur selten so lange dauern.»
Der Berner Teamarzt Schär sieht es etwas anders: «Aus medizinischer Sicht sind nicht nur diese Endlos-Verlängerungen, sondern auch die Doppelrunden mit zwei Spielen innert 24 Stunden heikel, wenn nicht sogar fahrlässig. Man kann solche Partien im Voraus nicht simulieren. Die Konzentration lässt während Doppelrunden stark nach, und damit steigt die Verletzungsgefahr.»
Wie viel Zeit ein austrainierter Eishockeyspieler benötigt, um sich von einer solchen Strapaze zu erholen, kann laut Schär nicht pauschal beurteilt werden. «Bei einem 35-Jährigen dauert das länger als bei einem 20-Jährigen. Grundsätzlich sind Eishockeyspieler nicht dafür trainiert, solche Ultra-Marathons zu bewältigen.» Knapp drei Tage sind bestimmt zu kurz, um sich davon vollständig zu erholen. Diesen Rhythmus jedoch müssen der Lausanne HC und Fribourg-Gottéron nun verkraften.