Videotranskript
Was bedeuten die Sofortmassnahmen des IGH gegen Israel?
Israel ist wegen Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt.
Und auch wenn noch kein Urteil gefällt wurde, hat der Gerichtshof Sofortmassnahmen verhängt.
Was bedeuten diese Massnahmen?
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 reagiert Israel mit einer Grossoffensive im Gazastreifen.
Auf israelischer Seite wurden mehr als 1200 Menschen getötet. Und noch immer befinden sich israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas.
Im Gazastreifen wurden seit dem 7. Oktober mehr als 25 000 Palästinenser getötet, das entspricht etwa 1% der Bevölkerung – das sind Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums. Dazu kommen 1,7 Millionen Palästinenser, die innerhalb Gazas vertrieben wurden.
Die Klage
Nun wirft Südafrika Israel Völkermord an den Palästinensern vor: Im Dezember 2023 reicht Südafrika eine entsprechende Klage am Internationalen Gerichtshof ein.
Und obwohl Israel sonst Anhörungen des Internationalen Gerichtshofs boykottiert, verteidigt es sich in dieser Klage in Den Haag. Mitte Januar präsentieren beide Parteien ihre Argumente.
Was als «Genozid» oder «Völkermord» gilt, ist genau festgehalten.
Theoretisch kann etwas als «Völkermord» gewertet werden, ohne dass eine einzige Person umgebracht wird.
Denn Tatbestände in der Völkermordkonvention umfassen neben der Tötung auch die Verursachung schweren körperlichen oder seelischen Schadens, die Zerstörung der Lebensbedingungen, die Geburtenverhinderung oder die gewaltsame Deportation von Kindern. Diese Tatbestände müssen sich gegen eine nationale, ethnische oder religiöse Gruppe richten.
Um aber als Völkermord gewertet zu werden, fehlt noch ein essenzieller Teil: eine Vernichtungsabsicht.
Darüber wird auch viel in den Anhörungen am Internationalen Gerichtshof gesprochen. Im Fall des Gaza-Kriegs kann man argumentieren, dass Israels Vorgehen zu viele zivile Opfer fordere und die Lebensbedingungen im Gazastreifen unerträglich mache.
Es muss aber auch bewiesen werden, dass dies in der Absicht erfolgt, die Palästinenser als Volk ganz oder teilweise zu vernichten.Israel dementiert das und argumentiert mit seinem Recht auf Selbstverteidigung.
Eine Absicht zum Völkermord zu beweisen, ist extrem schwierig – und es wird wahrscheinlich Jahre dauern, bis der Internationale Gerichtshof eine Entscheidung fällt.
Die einstweiligen Massnahmen
Südafrika weiss das. Deshalb beruft es sich auf ein anderes Mittel, bereits im ersten Abschnitt der Anklage:
«Gemäss Artikel 41 des Statuts enthält der Antrag eine Aufforderung an das Gericht, vorläufige Massnahmen anzuordnen, um die hierin geltend gemachten Rechte vor einem drohenden und unwiederbringlichen Verlust zu schützen.»
Für alle, die nicht Jura studiert haben:
Südafrika weiss, dass das Gericht für einen definitiven Entscheid über die Klage mehrere Jahre brauchen wird. Deshalb will es, dass jetzt schon Massnahmen verhängt werden, um die Bevölkerung des Gazastreifens zu schützen.
Um solche Massnahmen zu bestimmen, sind die juristischen Hürden auch tiefer. Es muss nur einen «plausiblen Verdacht» geben, dass ein Genozid vorliegt.
Am 26. Januar 2024 erklärt der Internationale Gerichtshof, dass die Klage von Südafrika gegen Israel plausibel sei. Daher beschliessen die Richter Sofortmassnahmen im Gaza-Krieg.
Der Internationale Gerichtshof fordert Israel dazu auf, alle in seiner Macht stehenden Massnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern. Ausserdem soll die humanitäre Situation verbessert werden. Israel muss dem Gericht innerhalb eines Monats darüber berichten, was es unternimmt, um der Anordnung nachzukommen.
Doch nicht alle Sofortmassnahmen, die Südafrika gefordert hat, übernimmt der Gerichtshof: Er verzichtet darauf, eine Waffenruhe oder ein Ende des Militäreinsatzes im Gazastreifen zu fordern.
Der Internationale Gerichtshof hat somit noch kein Urteil darüber gefällt, ob es sich beim Vorgehen Israels im Gazastreifen um einen Völkermord handelt, sondern konzentriert sich auf die von Südafrika beantragten Sofortmassnahmen.
Der Internationale Gerichtshof hat keine Mittel, seine Entscheidungen durchzusetzen: Trotzdem sind sie bindend.
Durch die beschlossenen Sofortmassnahmen erhöht sich der politische Druck auf Israel.