Das Verteidigungsdepartement ist heute ein Schlüsseldepartement – mit vielen Baustellen. Der neue Chef solle sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren und sich mehr mit der Armeespitze direkt austauschen, fordert ein Militärexperte.
Hundert Tage – so lange gewährt die politische Schweiz neuen Bundesräten in der Regel eine Schonfrist. Doch beim neuen VBS-Chef war die Zurückhaltung schon vor dem Amtsantritt passé. Die SVP legte einen Tag vor der Wahl bereits fest, was sie erwartet: «Neutralität und Abschreckung» – ohne «Nato-Abenteuer». Drei Tage später forderten die Sozialdemokraten den sofortigen Stopp der Beschaffung der F-35-Kampfjets. Zudem brauche es eine parlamentarische Untersuchungskommission, um «das Chaos im VBS» zu klären.
Die erste Medienmitteilung von Martin Pfister mit konkreten Folgen fürs Departement liegt inzwischen vor: Im Generalsekretariat entsteht eine neue Abteilung zur Steuerung von Grossprojekten, unter der Leitung eines ehemaligen Finanzkontrolleurs. Was Pfister darüber hinaus im grössten Bundesdepartement verändern will und mit wem in seinem Stab, ist noch unklar.
«Ich würde ihm raten, Bereiche ohne Verteidigungsbezug abzugeben», sagt der Militärhistoriker Fritz Kälin. Er ist Miliz-Fachoffizier und stellvertretender Chefredaktor der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift». Kälin meint etwa den Bereich Sport im VBS – ein Amt, das der ehemalige Vorsteher Adolf Ogi 1997 ins Departement geholt hatte. Damals herrschte Konsens, dass ein konventioneller Landkrieg für die Schweiz kaum mehr vorstellbar wäre. In der Folge wurde die Armee mehrfach reformiert und redimensioniert. Dafür wechselte der Bevölkerungsschutz vom Eidgenössischen Justiz- ins Verteidigungsdepartement.
Pfisters Vorgängerin Viola Amherd war in ihrer Amtszeit mit grossen Herausforderungen konfrontiert: Die Covid-Pandemie führte zur grössten Mobilmachung der Schweizer Armee seit dem Zweiten Weltkrieg. 2022 griff Russland die Ukraine an, was weitreichende Folgen für die sicherheitspolitische Debatte der Schweiz hatte. Als Reaktion auf diese Ereignisse gründete Amherd das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (Sepos), das die sicherheitspolitischen Aktivitäten aller Departemente koordinieren soll. «Ein kluger Entscheid», so Kälin. Eine vergleichbare Stelle sei während des Kalten Kriegs hierarchisch zu schwach positioniert gewesen. Ganz unumstritten war der Schritt zum Sepos allerdings nicht. Die Finanzdelegation des Parlaments etwa bezweifelte den Nutzen eines neuen Staatssekretariats – und übte deutliche Kritik.
Kommission für die militärische Landesverteidigung
«Jeder Vorsteher hat das VBS stets nach eigenem Gutdünken umgebaut», sagt der Militärexperte Kälin. Er empfiehlt dem neuen Departementschef Pfister, für den Fokus auf Verteidigung wieder eine Kommission für die militärische Landesverteidigung ins Leben zu rufen – ein Gremium mit Tradition. Schon während und nach dem Zweiten Weltkrieg existierte eine solche Runde: Die Kader der Armeespitze sassen gemeinsam mit dem Verteidigungsminister an einem Tisch. «Das war ein typisch schweizerisches Gremium», sagt Kälin. «Alle kamen zu Wort, jeder konnte seine Anliegen einbringen.»
Für Kälin ist klar: Ein solches Gremium würde die Stimme der Miliz stärken. «Die Expertise einzelner Offiziere würde eher gehört als heute.» Er erinnert an ein Beispiel aus der Amtszeit von Ueli Maurer. Damals sollten eingelagerte Leopard-2-Panzer verkauft werden. Ein Brigadier habe den Dienstweg umgehen müssen, um dem Bundesrat seinen fachlichen Rat zu geben: Die Schweiz werde eines Tages froh sein um diese Reserve. «Diese Intervention wurde zwar nicht gerne gesehen, aber die Panzer haben wir heute noch», sagt Kälin.
Die Schwarmintelligenz der Armee werde bis anhin zu wenig genutzt, da der direkte Zugang zum Departementsvorsteher blockiert sei – eine «gläserne Decke». Diese müsse fallen. «Für eine Minderheit wäre das ein Machtverlust», räumt er ein. «Doch die Verteidigungsfähigkeit der Armee würde gestärkt. Und das sollte zählen.»
Armeechef oder Generalstabschef?
Momentan hat die Armee über fünfzig höhere Stabsoffiziere, also Offiziere in den höchsten Rängen: Brigadiers, Divisionäre oder Korpskommandanten. Ob Martin Pfister mit all diesen Stimmen das Gespräch suchen wird – oder suchen will –, bleibt offen. Wichtig sei vor allem, dass ihre Expertise zu ihm durchdringe, meint Kälin.
Seine Vorgängerin Viola Amherd hielt vor allem engen Kontakt zum Armeechef Thomas Süssli. Kälin hinterfragt allerdings die heutige Aufgabenteilung und den Posten des Armeechefs. Dieser führt die Armee nicht nur, er vertritt sie auch gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Früher habe es einen Generalstabschef gegeben, der sich ausschliesslich auf die Führung und Kriegstauglichkeit sowie die Auswahl der obersten Kader konzentriert habe. Zwar sei es Süssli hoch anzurechnen, dass er den Wert einer verteidigungsfähigen Armee wieder ins allgemeine Bewusstsein gerückt habe. Doch diese innenpolitische Aufgabe obliege eigentlich dem Departementsvorsteher und letztlich dem Gesamtbundesrat. Mit einer breiten Konsultation der Armeespitze, so Kälin, könne sich Martin Pfister das nötige Rüstzeug holen, um Anliegen glaubwürdig zu vertreten.
Das VBS ist nicht nur das grösste Departement der Bundesverwaltung – es ist auch eines mit bewegter Binnenarchitektur. In den letzten Jahren wurden mehrere Ämter tiefgreifend umgebaut: Der Nachrichtendienst des Bundes wurde neu aufgestellt, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz reformiert. Beides sorgte intern für erheblichen Unmut. Falls nun eine erneute Umstrukturierung bevorstehen würde – diesmal mit Auswirkungen auf das gesamte Departement –, wäre die Stimmung bei den Mitarbeitenden wohl eher skeptisch.
Doch laut Kälin könnte es diesmal anders laufen: «Wenn es wirklich darum geht, sich auf das Kerngeschäft zu fokussieren, wird der Umbau eher angenommen.» Noch ist offen, was Martin Pfister tatsächlich mit seinem neuen Departement vorhat. Ideen gibt es wohl einige – an Konzept- und Strategiepapieren mangelt es bekanntlich nicht im VBS.