Ein neues Schauturnier mitten in der Saison stellt die bisherige Ordnung im Männertennis infrage. Saudiarabiens Offensive könnte eine Zäsur für die Szene sein und auch die Swiss Indoors in Basel betreffen.
Die Meldung ging in der täglichen News-Flut beinahe unter. Verschiedene Nachrichtenportale berichteten vergangene Woche, auf dem Weg zum angestrebten Zentrum des Weltsports treibe Saudiarabien seine Bemühungen im Tennis voran und richte im Oktober erstmals ein hochkarätig besetztes Show-Turnier aus.
Der Name dieser Exhibition ist Programm und verdeutlicht, dass die Initiative das Potenzial hat, den Tennissport nachhaltig zu verändern. Die Organisatoren nennen sie «6 Kings Slam», und die Namen jener sechs Tennismonarchen, die im Herbst im Wüstenstaat aufschlagen sollen, haben durchaus das Potenzial, die Szene nachhaltig zu erschüttern. Gemeldet sind Novak Djokovic, Rafael Nadal, Carlos Alcaraz, Jannik Sinner, Daniil Medwedew und Holger Rune. Zusammen haben sie 50 Major-Titel gewonnen.
Noch zeigt die WTA den Saudi die kalte Schulter
Das Exhibition-Turnier der Männer findet als Teil des saudischen Kultur- und Unterhaltungsfestivals «Riyadh Season» statt. Novak Djokovic, Stan Wawrinka und auch der junge Berner Dominic Stricker sind in Saudiarabien bereits zu Schaukämpfen angetreten und wurden dafür harsch kritisiert, weil sie sich einem Staat andienten, der sich um die Menschenrechte foutiert. Rafael Nadal ist künftig sogar Botschafter des saudiarabischen Tennisverbandes, dem er gemäss der Medienmitteilung «grosses Potenzial» attestiert.
Jidda im saudischen Königreich war Anfang Dezember bereits Schauplatz der Next-Gen-Finals, des Masters der besten Nachwuchsspieler, gewesen. Die WTA erwog, ihr Finalturnier der acht Saisonbesten ebenfalls der Region zuzuschlagen. Chris Evert und Martina Navratilova, zwei der Grössten in der Geschichte ihrer Sportart, stemmten sich dagegen mit der Aussage: «Wir haben das Frauentennis nicht aufgebaut, damit es von Saudiarabien ausgenutzt werden kann.» Stattdessen fand das Masters im mexikanischen Cancún und fernab der öffentlichen Wahrnehmung statt. Eher früher als später dürfte Saudiarabien deshalb auch bei der WTA wieder auf die Agenda kommen.
Der Wüstenstaat am Persischen Golf pumpt im Rahmen einer Tourismus-Offensive riesige Summen in Sportarten wie Fussball, die Formel 1, Boxen oder auch Golf. Ende 2022 präsentierte das Land die argentinische Fussballikone Lionel Messi als neuen Tourismus-Botschafter. Die Saudi bewerben sich unter anderem um die Austragung der Fussball-Weltmeisterschaft 2034.
Saudiarabien ist auch Teil jener Pläne der vier Major-Turniere, die die Tennis-Tour grundlegend umstrukturieren möchten. Als die NZZ im vergangenen Dezember erstmals über das Projekt berichtete, sagte Roger Brennwald, der Turnierdirektor der Basler Swiss Indoors, sollte so etwas tatsächlich zustande kommen, wäre das ein «Tsunami für das internationale Tennis».
Noch gibt es keine grundlegende Reorganisation der ATP-Tour. Doch die Exhibition in Riad soll in der Woche vom 14. bis 20. Oktober unmittelbar vor den Basler Swiss Indoors und damit mitten in der regulären Tennissaison stattfinden. Das ist ein Tabubruch und gemäss den Regularien der ATP, die von den Spielern mitgetragen werden, nicht erlaubt.
Auf Anfrage hin nahm die ATP nicht offiziell Stellung. Stattdessen schickte sie einen Auszug aus ihrem Regelbuch. Dort steht unter Punkt 14, «special events», Top-30-Spieler dürften an keinen Events teilnehmen, wenn gleichzeitig ein ATP-500- oder ATP-1000-Turnier oder die ATP-Finals stattfinden. Ein Spieler, der gegen diese Regeln verstösst, verliert seinen Anspruch auf Zahlungen aus dem Bonus-Pool, der am Ende der Saison jeweils ausgeschüttet wird.
Angesichts der in Riad in Aussicht gestellten Antrittsgagen von über einer Million Franken zuzüglich Preisgeld dürfte das für die teilnehmenden Spieler allerdings verkraftbar sein. Dem Sieger des «6 Kings Slam» winkt ein Check von über 6 Millionen Dollar. Das ist fast dreimal so viel, wie der Südtiroler Jannik Sinner Ende Januar für seinen ersten Grand-Slam-Triumph in Melbourne erhalten hat (2,04 Millionen US-Dollar).
Der Österreicher Herwig Straka besitzt eine eigene Vermarktungsagentur, ist Direktor des ATP-500-Turniers von Wien und seit mehreren Jahren Mitglied im neunköpfigen Board of Directors, der strategischen Führung der ATP. Er sagt: «Natürlich haben wir keine Freude an der Initiative der Saudi. Sie tangieren Basel und auch unser Turnier in Wien direkt. Doch rechtlich können wir wenig dagegen unternehmen. Die Spieler sind nicht Angestellte der ATP-Tour, sondern freie Unternehmer, die tun und lassen können, was sie wollen.»
Wie Brennwald von einem Tsunami sprechen will Straka aber nicht. Er nennt es eine Bedrohung von aussen. Doch solche Bedrohungen habe es immer schon gegeben. «Ich verstehe, dass auch der arabische Raum einen grossen Tennisanlass möchte. Das ist legitim. Wir müssen versuchen, uns mit den Saudi an einen Tisch zu setzen und sie zu uns ins Boot zu holen. Die ATP hat kein Exklusivrecht am Tennissport.»
Straka dürfte sich an Erfahrungen im Golfsport erinnert haben. Dort entstand 2022 mit der Unterstützung des Public Investment Fund, einem Staatsfonds von Saudiarabien, LIV Golf, ein Konkurrenz-Circuit der amerikanischen PGA-Tour, der die Spieler mit massiv höheren Preisgeldern lockte. Nach nur zwei Jahren schmolzen LIV, PGA und auch die europäische DP World Tour zusammen. Der PGA-Tour-Commissioner Jay Monahan sprach von einem «historischen Tag für das Spiel.»
Zu einer ähnlichen Entwicklung dürfte es auch im Tennis kommen; immer neue Formate und Initiativen drängen in den bereits ziemlich gesättigten Markt. Der jüngste Spross ist Roger Federers Laver-Cup, der seine Premiere 2017 in Prag mit der Zustimmung der ATP feierte. Man hat der Veranstaltung ohne sein Aushängeschild keine grosse Zukunft vorausgesagt. Trotzdem gibt es sie weiterhin. Gerade rührt Federer die Werbetrommel für die nächste Austragung im September in Berlin.
Die ATP-Tour besteht in ihrer derzeitigen Form seit 1990. Doch im Turnierkalender wird es wohl in naher Zukunft zu einer Bereinigung kommen. Es wird zu oft und an zu wenig bedeutenden Anlässen gespielt. Gerade die Turniere der tiefsten 250er-Kategorie, wie es in der Schweiz in Genf und Gstaad zwei gibt, haben es heute schwer, Topspieler anzulocken und sich im Markt zu behaupten. Straka sagt: «Wir müssen uns überlegen, möglicherweise den einen oder anderen 250er-Event aus dem Kalender zu kippen, damit wir das Ganze nicht überladen.»
Doch gemäss dem Österreicher liegt die Stärke des Tennis auch darin, ganzjährig und an vielen Orten auf der Erde präsent zu sein. Man müsse zwar versuchen, die bedeutenden Austragungsorte zu forcieren. «Es gibt ja auch Bestrebungen, ein Premium-Produkt analog zur Formel 1 zu schaffen. Ich glaube aber nicht, dass das funktionieren würde. Wir dürfen unsere Basis nicht vergessen. Irgendwo müssen die jungen, noch nicht so gut klassierten Spieler Erfahrungen sammeln und sich verbessern können.» Beim «6 Kings Slam» können sie das bestimmt nicht.