Die Amerikanerin hat im Fussball alles erreicht. Mindestens genauso prägend ist ihr Engagement für Gleichberechtigung. Am Sonntag hat sie das letzte Mal gespielt – kurz nachdem sie ihre zweite Schwangerschaft öffentlich gemacht hatte.
Als Alex Morgan am vergangenen Sonntag in San Diego zum letzten Mal das Spielfeld verliess, ging sie auf Socken. Die Fussballschuhe hatte sie in einem symbolischen Akt bereits auf dem Spielfeld ausgezogen. Die Niederlage ihres Teams, der San Diego Wave, war nur eine Randnotiz der tränenreichen Farewell-Party für eine der prägendsten Fussballerinnen überhaupt.
Morgan beherrschte die grossen Gesten auf diese natürliche Art, die Amerikanerinnen und Amerikaner auszeichnet. Aber was die Stürmerin ausmacht, ist nicht die Show. Morgan hat in 16 Jahren als Profi 210 Tore erzielt. 224 Mal hat sie für die USA gespielt und 123 Tore geschossen, zweimal war sie Weltmeisterin, gewann 2012 in London Olympiagold und 2017 mit Olympique Lyon die Champions League.
Das ist eine beeindruckende Karriere. Doch zum Idol mit Strahlkraft weit über den amerikanischen Fussball hinaus wurde sie, weil sie anpackte und ihre Starpower dafür einsetzte, die Bedingungen im Frauenfussball zu verbessern.
Vorwurf der Respektlosigkeit an der WM
Morgan hat in jungen Jahren, wie alle Spielerinnen ihrer Generation, die mühselige Aufbauarbeit im Frauenfussball miterlebt, das Scheitern der Profiligen in den USA, das Desinteresse von Investoren, die kleinen Löhne und schwierigen Arbeitsbedingungen. Doch ihr Engagement ging immer über das übliche hinaus. 2015 unterstützte sie Mana Shim, ihre Mitspielerin bei den Portland Thorns, als diese ihr anvertraute, dass der Cheftrainer sie sexuell genötigt hatte. Dass es 2021 in der Liga erstmals Richtlinien gab, die Belästigungen verhindern sollten, war auch ein Verdienst von Alex Morgan.
2019 gehörte sie zu jenen Spielerinnen, die den amerikanischen Fussballverband verklagten und forderten, dass die Männer und die ungleich erfolgreicheren Frauen in den Nationalteams den gleichen Lohn erhalten sollten. Zwei Jahre später gab der Verband bekannt, «equal pay» einzuführen.
Morgan stand in der Wahrnehmung der europäischen Fussballfans etwas im Schatten von Megan Rapinoe. Beide haben an der WM 2019 sechs Tore geschossen. Rapinoe, die nicht nur eine grosse WM spielte, sondern auch gegen Donald Trump austeilte, stand als begnadete Conférencière und Anführerin des Bad-Ass-Teams, wie sie es bei der Siegesfeier in New York nannte, im Zentrum.
Dabei war es während des Turniers zu einer der seltenen Gelegenheiten gekommen, in denen Morgan kritisiert wurde. Als sie im Halbfinal gegen England das Siegestor schoss, mimte sie geziert eine Teetrinkerin. Respektlos fand man das in England, auch wenn Morgan versicherte, sie habe mit der Geste eine Schauspielerin ehren wollen.
Ihren wohl persönlichsten Kampf führte die Kalifornierin 2020. Im Mai kam ihre Tochter Charlie zur Welt. Dass eine Fussballerin auf diesem Niveau während der Karriere Mutter wird, war beispiellos. Kein Klub und kein Verband war eingerichtet für eine fussballspielende Mutter, doch Morgan wollte beweisen, dass es möglich ist.
Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass ihre Mutterschaft und das Comeback grossen Einfluss auf viele Kolleginnen hatten. Sowohl die Deutsche Melanie Leupolz als auch die Isländerin Sara Björk Gunnarsdottir, die etwas später schwanger wurden, sagen, das Beispiel von Morgan habe sie ermutigt. Dass nur vier Jahre später immer weniger Frauen das Gefühl haben, sie müssten sich zwischen Kind und Fussball entscheiden, hat auch mit Morgan zu tun.
Tochter will Fussballerin werden
Anfang 2024 beschloss sie für sich, dass sie am Ende der Saison zurücktreten würde. Es folgten unglückliche Monate: Morgan plagten Verletzungen, sie wurde aus dem Kader für die Olympischen Spiele gestrichen, was sie sehr traf. Als sie am vergangenen Freitag ein Filmchen veröffentlichte, an dessen Anfang sie sehr tief Luft holt, um nicht sofort zu weinen, fragte man sich, was folgen würde. Sie trete per sofort zurück, sagte sie, der Grund ist ein schöner: Morgan ist schwanger, früher, als sie es geplant hatte.
Die Würdigungen liessen nicht lange auf sich warten. Die Kunstturnerin Simone Biles, die ehemalige Leichtathletin Allyson Felix, der frühere Skistar Lindsey Vonn – alle verneigten sich vor ihr. Doch am meisten berührt hat Alex Morgan, dass ihre Tochter Charlie sagte, sie wolle Fussballerin werden. Nicht weil Morgan das unbedingt möchte. Sondern weil es möglich ist, dass vierjährige Mädchen selbstverständlich denken, dass ihnen dieser Weg offensteht.