In sozialen Netzwerken Verbundenheit zu suggerieren, ist nichts Neues. Und es geht ganz leicht: Mit einem Klick kann man sich positionieren. Wem man damit aber genau zustimmt, scheint immer mehr Menschen schlicht egal zu sein.
nad. «All Eyes on Rafah» heisst es immer und immer wieder in den sozialen Netzwerken: Fast 50 Millionen Mal wurde ein KI-generiertes Bild mit dem entsprechenden Schriftzug seit dem 28. Mai weltweit auf Instagram geteilt. Jeder Klick soll Anteilnahme ausdrücken, bezeugen, dass der Blick der Welt auf Nahost gerichtet ist. Das geht ganz leicht: Man muss bloss auf den dazugehörigen Link mit der Aufschrift «Du bist dran» klicken, so erscheint die Vorlage in der eigenen Story.
Problematisch dabei ist: Kaum einer der User, die per Klick vor allem dem eigenen Umfeld zeigen wollen, wo ihr humanitärer Fokus liegt, weiss, wer der Urheber des KI-Bildes ist. Der Fotograf Chaa steckt nicht nur viel Energie in die Pro-Palästina-Bewegung, sondern auch in seinen Antisemitismus.
Falsche Zelte, echtes Leid
Das viral gegangene KI-Bild zeigt eine schier endlose, symmetrisch angeordnete und leer wirkende Zeltstadt. Sie symbolisiert die prekären Notbehausungen der Menschen in Gaza. Auf dem Bild reichen die Zelte bis zu einem im Dunst liegenden, schneebedeckten Gebirge. Darüber weiss und klar der Schriftzug: «All Eyes on Rafah.»
Ein bisschen erscheint das Bild wie das Plakat einer aufwühlenden Dokumentation oder eines schwerverdaulichen Kinofilms. Denn bei dem Post geht es nicht um Informations-, sondern um Gefühlsvermittlung.
Es ist eine Reaktion auf den israelischen Luftangriff vom vergangenen Sonntag, der nach israelischen Angaben einem Komplex der islamistischen Hamas galt, laut verschiedenen Hilfsorganisationen allerdings eine humanitäre Schutzzone traf. Ein Zeltlager für Menschen, die vor der israelischen Armee geflüchtet waren. Bei dem Luftangriff sind laut der von der Terrororganisation Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 45 Menschen gestorben.
Genau hinschauen
Internationale Politiker verurteilten den Luftangriff. Volker Türk, Uno-Hochkommissar für Menschenrechte, sagte: «Die Bilder aus dem Lager sind entsetzlich.» Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mahnte, es müsse darauf geachtet werden, dass «Israel bei seinem Vorgehen das Völkerrecht achtet».
Der Weltsicherheitsrat verlangte als direkte Reaktion auf den Angriff das augenblickliche Ende der israelischen Militäroffensive, die Freilassung der Hamas-Geiseln und eine von beiden Seiten respektierte Waffenruhe. Inzwischen hat die israelische Armee sich für den Fehler entschuldigt. Gleichzeitig stösst sie weiter in Rafah vor.
Antisemitische Parolen
Laut einer Recherche von Buzz Feed News Deutschland ist die Urheberschaft des viralen Bildes allerdings problematisch. Ihren Anfang soll die Kampagne in den sozialen Netzwerken nämlich bei Chaa, der auf Instagram unter anderem mit dem Account @shahv4012 auftritt, genommen haben. Dass ihm auf Instagram viele zu der gelungenen Kampagne gratulieren oder dafür danken, spricht dafür.
Die Adresse auf seiner Website verortet Chaa in Malaysia, einem Land, das die islamistische Hamas seit Jahren unterstützt. Selbst nach dem Terrorangriff auf Israel blieb Malaysia der Hamas treu. Malaysias Haltung scheint auch jene von Chaa zu sein.
Der Fotograf generierte mittels KI nicht nur das Bild der Zeltstadt, sondern auch weitere Bilder. Eines zeigt den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu mit blutverschmierten Händen und der Überschrift «Terrorist. Kindermörder». Ein anderes Bild zeigt Netanyahu in einer Gefängniszelle, «Kriegsverbrecher» und «Kindermörder, Genozid, Satanyahu» steht darüber. Die Bilder bedienen sich eines alten antisemitischen Stereotyps, wonach Juden rituelle Kindermorde begehen würden.
Zudem hat Chaa eine Karte von Nahost gebastelt, auf der er die Beschriftung «Israel» durchgestrichen und stattdessen «Palästina» notiert hat. Und auch die bereits altbekannten «From the river to the sea»-Parolen, eine alternative Art, um das Durchstreichen Israels zu formulieren, fehlen nicht.
«Performativer Social-Media-Bullshit»
Das Zitat «All Eyes on Rafah» selbst stammt von Rick Peeperkorn, als WHO-Abgeordneter zuständig für die besetzten palästinensischen Gebiete. Gemacht hat er die Aussage bereits am 14. Februar, in Bezug auf die Lage in Rafah, dessen Schicksal so eng an die von Ägypten, den USA und Katar vermittelten Verhandlungen über ein mögliches Waffenstillstandsabkommen geknüpft war. Gefordert wurde damals die Freilassung der verbleibenden israelischen Geiseln durch die Hamas und im Gegenzug auch die Freilassung der von Israel inhaftierten palästinensischen Gefangenen.
Die Aktivistin Rosa Jellinek, lange Vorsitzende des queerjüdischen Vereins Keshet Deutschland e. V., nannte die Aktion «performativen Social-Media-Bullshit» und schrieb auf Instagram: «Als ob das auch nur einem Menschen vor Ort helfen würde.»
Statt wahllos Beiträge in den sozialen Netzwerken zu teilen, sollte man die Zeit besser dahingehend investieren, sich tiefergehend über den Krieg zu informieren. Allerdings liegt vielleicht genau da der Hase im Pfeffer: Ein Klick geht so viel leichter von der Hand als die Auseinandersetzung mit einem der komplexesten Konflikte der Weltgeschichte.
Mit Material der DPA.