Senegal hat nie einen Putsch erlebt. Nun aber lässt ein Präsident, der Mühe hat, abzutreten, die Wahl seines Nachfolgers verschieben.
In Westafrika – wo Putschisten in den vergangenen Jahren eine Reihe von Regierungen gestürzt haben – wankt nun auch eine der solidesten Bastionen der Demokratie. Senegal hätte am 25. Februar einen neuen Präsidenten wählen sollen. Stattdessen hat das Parlament des 18-Millionen-Einwohner-Landes die Wahl auf den 15. Dezember verschoben. Die Abstimmung darüber fand am Montagabend ohne die Abgeordneten der Opposition statt. Diese waren von Polizisten aus dem Saal geführt worden, nachdem sie die Debatte zu stoppen versucht hatten.
Bereits am Samstag hatte Präsident Macky Sall in einer kurzen Fernsehansprache verkündet, die Wahl solle verschoben werden. Am selben Tag hätte der Wahlkampf offiziell beginnen sollen.
Macky Sall ist seit 2012 im Amt, 2019 wurde er wiedergewählt. Während seiner Regierungszeit hat Senegals Demokratie, die nie einen Coup erlebt hat, schweren Schaden genommen. Hunderte von Oppositionellen landeten oft aus fadenscheinigen Gründen im Gefängnis, auch Journalisten sitzen in Haft.
Die wichtigste Oppositionspartei Pastef ist vergangenes Jahr verboten worden. Ihr Anführer, der 49-jährige Ousmane Sonko, sitzt ebenso in Haft wie Bassirou Faye, der statt Sonko für die Präsidentschaft hätte kandidieren sollen.
Salls Amtszeit endet offiziell am 2. April. Doch nach mehr als zehn Jahren im Amt tut er sich schwer damit, die Macht abzugeben. In den vergangenen Jahren hatte er damit geliebäugelt, für eine verfassungswidrige dritte Amtszeit zu kandidieren. Erst im Juli 2023 erklärte er seinen Verzicht, nachdem ihn offenbar unter anderem der ehemalige amerikanische Präsident Barack Obama bearbeitet hatte. Bei Protesten, die von Sonkos Verhaftung und Salls Zögern befeuert wurden, wurden 2021 und 2023 mehrere Dutzend Personen getötet und Hunderte verhaftet.
In seiner Ansprache am Samstag erklärte Sall, auch bei der verschobenen Wahl nicht antreten zu wollen. Manche Beobachter misstrauen dieser Ankündigung und glauben, dass der Präsident auch über den neuen Wahltermin hinaus im Amt bleiben will. Oppositionsführer hatten nach der Verschiebung der Wahl von einem «Verfassungscoup» gesprochen.
Sall kündigt nationalen Dialog an – schon wieder
Die politische Krise in Senegal hatte sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Im Januar liess ein Verfassungsrat zwanzig Kandidaturen für die Präsidentschaft zu, schloss aber Dutzende andere aus. Ausgeschlossen wurde unter anderem Karim Wade, der Sohn von Macky Salls Amtsvorgänger Abdoulaye Wade. Karim Wade wurde ausgeschlossen, weil er neben der senegalesischen bis vor kurzem auch die französische Staatsbürgerschaft besass.
Nach Protesten von Wades Partei hatte das senegalesische Parlament eine Untersuchung dazu angekündigt, wie der Verfassungsrat die Liste der Kandidaten zusammengestellt hatte. Präsident Sall begründete seine Wahlverschiebung am Samstag damit, dass er zuerst den Konflikt zwischen Parlament und Verfassungsrat beilegen wolle, und kündigte einen «nationalen Dialog» an. Oppositionelle sprechen von einer «hausgemachten Krise». Einen nationalen Dialog hatte Sall schon im vergangenen Jahr durchgeführt.
Eine Rolle in der gegenwärtigen Krise spielt offenbar auch, dass Premierminister Amadou Ba, den Sall als Kandidaten für seine Nachfolge vorsah, im Umfeld des Präsidenten wenig Rückhalt geniesst. Bas Wahlkampagne war so träge angelaufen, dass in Salls Kreisen viele fürchteten, die Macht an die Opposition zu verlieren. Es ist möglich, dass Ba mit Blick auf die verschobene Wahl ersetzt wird.
«Macky Sall Diktator»
Während das Parlament am Montag zusammenkam, fanden vor der Nationalversammlung Proteste statt. Demonstranten riefen unter anderem «Macky Sall Diktator». Die Polizei vertrieb die Protestierenden mit Tränengas und verhaftete Dutzende.
Schon am Sonntag hatte es in der Hauptstadt Dakar Proteste gegeben, bei denen zwei Präsidentschaftskandidaten und eine frühere Premierministerin verhaftet wurden. Am Montag liess die Regierung den Internetzugang für Mobiltelefone sperren – eine Massnahme, die sie schon bei früheren Protesten eingesetzt hatte. Sie rechtfertigte die Massnahme damit, dass in den sozialen Netzwerken «hasserfüllte und subversive Nachrichten» die Runde machten.
Die Krise in Senegal destabilisiert Westafrika zusätzlich. In den vergangenen Jahren haben Militärs in mehreren Staaten der Region Regierungen gestürzt, unter anderem in Senegals Nachbarländern Mali und Guinea. Am schwersten betroffen von der Sicherheits- und politischen Krise sind die Staaten im Sahel, wo jihadistische Gruppen Hunderttausende Zivilisten vertrieben haben und grosse Gebiete der Kontrolle der Zentralregierungen entrissen haben. Experten fürchten, dass sich die Gewalt in Küstenstaaten wie Senegal ausbreiten könnte. Ende Januar haben die Putschregierungen in Mali, Burkina Faso und Niger bekanntgegeben, aus der regionalen Wirtschaftsorganisation Ecowas austreten zu wollen.
Senegals Präsident Macky Sall gehörte in der Ecowas in den vergangenen Jahren zu den lautesten Stimmen, die die Putschisten dazu aufforderten, die Macht wieder abzugeben.
Vom Hoffnungsträger zur Gefahr
Sall war 2012 als Hoffnungsträger angetreten. Er besiegte damals den Präsidenten Abdoulaye Wade, der sein Amt ebenfalls nicht abgeben wollte und für eine verfassungswidrige dritte Amtszeit kandidierte. Sall versprach, dafür zu sorgen, dass kein Präsident mehr als zwei Amtszeiten regieren würde.
Längst aber sehen viele Sall nicht mehr als Hoffnungsträger, sondern als Gefahr. Laut Umfragen des panafrikanischen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer waren 2013, kurz nach Salls Amtsantritt, mehr als zwei Drittel der befragten Senegalesinnen und Senegalesen zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie. 2022 waren es weniger als 50 Prozent.
Die Sorge um Senegals Demokratie wird vom Ausland geteilt. Nach der Verschiebung der Wahl haben sich unter anderem die USA, die EU und die Afrikanische Union besorgt geäussert und die senegalesische Regierung aufgefordert, die Wahl so bald als möglich durchzuführen.