Der Viertelfinalsieg gegen Barça ist eine süsse Rache für die Schmach von 2017. Die Partie in Barcelona zeigt aber auch, dass PSG Mbappé gar nicht mehr unbedingt benötigt.
Diesmal lagen die Spieler des FC Barcelona auf dem Boden oder vergossen Tränen wie der 16-jährige Lamine Yamal. Diesmal feierten die Gäste von Paris Saint-Germain wie von Sinnen. Diesmal war der Schiedsrichter auf der Seite der Franzosen und stand der Trainer Luis Enrique bei ihnen am Spielfeldrand. Diesmal war für die Katalanen kein Sergi Roberto verfügbar.
Der Mittelfeldspieler und Last-Minute-Siegtorschütze beim legendären 6:1 gegen PSG im Jahr 2017 fehlte gesperrt, und so bekamen die Pariser also ihre Revanche. Am turbulenten Dienstagabend zogen sie dank dem 4:1 (Hinspiel 2:3) in die Halbfinals der Champions League ein. Dort treffen sie nun auf Borussia Dortmund, das nach ebenfalls unvorhersehbarem Matchverlauf Atlético Madrid 4:2 (Hinspiel 1:2) bezwang.
In Barcelonas Olympiastadion musste man nur den euphorischen PSG-Anhängern zuhören, um zu erahnen, wie sehr diese die jüngste Volte einer tiefen Feindschaft ersehnt hatten. So viele Kraftausdrücke aus zwei Kurven wie am Dienstag sind im Fussball selten zu hören. Einem Sport, in dem es, wie Luis Enrique eine Stunde nach Abpfiff schwärmte, kein so «unbezahlbares Gefühl» gibt wie jenes, «deinen Anhang glücklich zu machen». Zu diesem Zeitpunkt trommelten die Fans noch immer gegen die Tribünen.
Das 1:6 im Jahr 2017 war eine Zäsur
Die hohe Niederlage im Jahr 2017 war deshalb so schmerzvoll, weil es PSG für alle Zeiten als Verliererklub zu definieren schien. Die Schmach markierte eine Zäsur, danach nahm der Verein Veränderungen vor. Im Zorn über die erlittene Demütigung kaufte der mit katarischem Geld alimentierte Klub nicht nur den an jenem Abend überragenden Neymar aus seinem Vertrag in Barcelona – für die bis heute gültige Transfer-Rekordsumme von 222 Millionen Euro. Er verpflichtete damals auch für 180 Millionen Euro den 18-jährigen Kylian Mbappé von der AS Monaco. Der Erfolg in der Champions League blieb trotzdem weiter aus.
Sieben Jahre später gilt der Starkult in Paris deshalb als gescheitert und verpönt. Neymar wurde nach Saudiarabien abgeschoben; Mbappé dürften bei seinem anstehenden Abgang nicht viele Tränen nachgeweint werden. Luis Enrique rollt schon seit Monaten nur noch genervt die Augen, wenn er auf die Zukunft des Starspielers angesprochen wird; sie liegt wohl bei Real Madrid. «Warten wir ab, bis Monsieur Kylian Mbappé spricht», sagte der Coach nach dem Abpfiff spöttisch. «Danach geben wir anderen unsere Meinung ab. Das hier ist wie bei einem Gerichtsverfahren: Ich bin ein Zeuge und warte darauf, dass die Prozessparteien sich erklären.»
Tatsächlich gelang dem PSG sein bisher emotionalster Triumph in der 13-jährigen Katar-Ära ohne entscheidenden Beitrag von Mbappé. Sicher, die Statistiker zählten zwei Tore und können sich an dem imposanten Umstand delektieren, dass er in zwölf Auswärtsspielen in Champions-League-K.-o.-Runden bereits 15 Mal erfolgreich war. Doch in Barcelona resultierte sein erster Treffer – zum 1:3 – aus einem Elfmeter, an dessen Entstehung er unbeteiligt war. Sein zweites Tor in der Schlussminute mittels Nachschuss erfolgte nach einer glücklichen Karambolage, nachdem er zuvor in einer 1:1-Situation am Barça-Torhüter Marc André ter Stegen gescheitert war.
Die Schlüsselspieler waren andere: Ousmane Dembélé, der unter wüsten Beschimpfungen der Fans seines einstigen Klubs die Barça-Abwehr schwindlig spielte, das 1:1 erzielte und den Penalty zum 1:3 herausholte. Der Portugiese Vitinha, ein eleganter Regisseur im Mittelfeld, der wie Dembélé im Hin- und im Rückspiel sehenswert traf – diesmal zum 1:2.
Oder Bradley Barcola, ein 21-jähriger Flügelspieler, dem niemand viel Beachtung schenkte, als er im Sommer aus Lyon scheinbar als Zubrot zu den insgesamt 160 Millionen Euro teuren Gonçalo Ramos und Randal Kolo Muani verpflichtet wurde. Doch als es darauf ankam, sassen diese beiden auf der Bank – derweil Barcola wirbelte, Dembélés Goal vorbereitete und die entscheidende Aktion des Duells provozierte: eine Notbremse von Ronald Araujo, die der Schiedsrichter Kovacs aus Rumänien bereits in der 29. Minute mit einem umstrittenen Platzverweis ahndete.
Bis dahin hatte Barcelona in der Gesamtwertung 4:2 vorn gelegen. Doch nicht nur Araujo machte alles falsch, als er eine Kontaktsituation zuliess, statt den allfälligen Ausgleich hinzunehmen.
Das labile Nervenkostüm von Team und Verein zeigte sich auch im Handeln des Trainers Xavi: Zuerst nahm er zugunsten eines neuen Innenverteidigers den formstarken Lamine Yamal – Vorbereiter des 1:0 von Raphinha – früh vom Platz statt den angeschlagenen Pedri. Später trat er, enerviert von den Entscheidungen des Unparteiischen, eine Uefa-Bande ein und sah damit selbst die rote Karte.
Unter maximalem Druck das Richtige zu tun, zählt zu den Schlüsselkompetenzen eines jeden Trainers. «Emotionskontrolle» nannte es Luis Enrique, als er darlegte, wie schwer ihm das Duell mit seinem Herzensklub gefallen sei, dem er als Spieler, Captain und Trainer gedient hatte – zuletzt eben im Jahr 2017.
Als Profi müsse er seinen Spielern ein Vorbild sein und einen kühlen Kopf bewahren, sagte Luis Enrique. Deshalb lege er sich auch nie mit den Schiedsrichtern an. «Ich beschäftige mich nur mit Dingen, die ich kontrollieren kann.» Den Satz konnte man als einen genüsslichen Seitenhieb gegen seinen früheren Spieler Xavi interpretieren.
Luis Enrique sagt, nächstes Jahr werde PSG noch besser
In Paris wirkt Luis Enriques neunmonatiges Wirken bisher wie ein Lehrkurs in Sachen Fussball-Management. «Wir haben den besten Trainer den Welt», jubelte der Klubchef Nasser al-Khelaifi nach der Partie. Beim PSG können sie ihr Glück kaum fassen, dass endlich jemand eine stringente Handschrift, klare Ansagen und unbedingtes Teamdenken vermittelt. Sinnbildlich lobte Luis Enrique am Dienstag auch Mbappé – für eine vermeintliche Sekundärtugend: «Kylian war unbestreitbarer Anführer im Pressing, eine Facette des Spiels, in der er normalerweise nicht herausragt. Chapeau!»
Mbappé selbst wurde im Moment des Erfolgs so blumig, wie er es in Vertragsangelegenheiten selten war. «Seit dem ersten Tag bin ich stolzer Pariser», säuselte er. «Diesen grossen Klub der Hauptstadt meines Landes zu repräsentieren», sei ein Quell der Freude, nun gelte es, «meinen Traum vom Champions-League-Sieg mit dem PSG» zu verwirklichen. Ob diese Emotion etwas an seinem Adieu ändere? «Nein, nein . . .», sagte er, ehe er verschwand.
Sollte der Gewinn der Champions League im letzten Versuch doch noch klappen, wäre das für Mbappé das glorreiche Ende einer polemischen Ära. Für PSG hingegen der perfekte Anfang einer neuen Epoche. Luis Enrique versprach schon vor Monaten: «Nächste Saison werden wir noch besser sein.»