Das Obergericht hat eine Freiheitsstrafe für einen 40-jährigen Iraner wegen vorsätzlicher Tötung von 10 Jahren auf 13 Jahre erhöht.
Es kommt nicht häufig vor, dass das Opfer eines vollendeten Tötungsdelikts der Polizei und anderen Zeugen noch Auskunft zur Tat geben kann. In diesem Fall war es so: Am Nachmittag des 3. März 2022 vernahm ein Mann in Zürich Altstetten Lärm und Hilferufe aus der Nachbarwohnung. Er klingelte an der Wohnungstüre. Der 58-jährige Nachbar öffnete ihm blutüberströmt, während sich ein zweiter Mann wortlos aus der Wohnung entfernte.
Der schwer verletzte Schweizer wurde ins Spital gebracht. Dort starb er sechs Tage später an den Folgen seiner schweren Kopfverletzungen. Todesursache war eine zentrale Atemlähmung aufgrund einer verletzungsbedingten Hirnschwellung. Vor seinem Tod hatte er aber noch drei Zeugen und der Polizei Auskunft zum Vorgefallenen geben können.
Das Obergericht hat in einem Berufungsprozess entschieden, dass diese Aussagen des Opfers verwertbar sind, obwohl sie nicht formal protokolliert worden waren. Es sei ein Ausnahmefall. Die Aussagen seien von der Polizei schriftlich festgehalten worden und mit Vorsicht zu geniessen, verwertbar seien sie aber trotzdem. Die Vorinstanz – das Bezirksgericht Zürich – hatte dies noch anders gesehen und die Aussagen als unverwertbar taxiert.
Der Schwerverletzte hatte ausgesagt, ein alter Bekannter habe ihn besucht, Marihuana mitgebracht und vorgeschlagen, es gemeinsam zu rauchen. Er selber sei in die Küche gegangen, um dort den Joint zu drehen. Sein Bekannter sei ungeduldig geworden und habe ihn gefragt, wo der Joint bleibe. Er habe geantwortet, es dauere noch, er sei noch am Drehen. Da sei er aus dem Nichts völlig überraschend von hinten mit einer Gymnastikkeule angegriffen worden. Die Keule war aus massivem Buchenholz.
Staatsanwältin will 15 Jahre Freiheitsstrafe
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte den Bekannten des Opfers, einen heute 40-jährigen Iraner, am 15. Dezember 2023 wegen vorsätzlicher Tötung und Nebendelikten, die nicht mit dieser Tat in Zusammenhang stehen, zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren und 20 Tagen sowie einer Busse von 300 Franken. Es ordnete eine ambulante Massnahme zur Behandlung psychischer Störungen und zur Suchtbehandlung an. Zudem wurde der Iraner für 12 Jahre des Landes verwiesen.
In der Berufungsverhandlung vor Obergericht beantragt der Verteidiger eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, eine substanziell mildere Strafe und den Verzicht auf einen Landesverweis. Die Staatsanwältin fordert hingegen eine deutlich höhere Freiheitsstrafe von 15 Jahren.
Der Beschuldigte verweigert, wie schon vor Vorinstanz, jegliche Aussagen zur Sache. Zu seiner Person gibt er hingegen Auskunft. Er kam im Alter von drei Jahren zusammen mit seinen Eltern aus politischen Gründen in die Schweiz und spricht perfekt Schweizerdeutsch. Er hat eine abgeschlossene Lehre als Lastwagenchauffeur und eine Ausbildung zum Taxifahrer.
Wie er erzählt, lebt er aber bereits seit 2016 von einer Invalidenrente. Seine letzte Anstellung sei 2017 als Hilfskoch gewesen. Laut dem psychiatrischen Gerichtsgutachten war er zum Tatzeitpunkt abhängig von Alkohol, THC und Kokain und litt an einer Persönlichkeitsstörung mit schizophrenen, dissozialen und paranoiden Anteilen.
Zwischen 2013 und 2022 häufte er nicht weniger als sieben Vorstrafen wegen Urkundenfälschung, Betrugs, Diebstahls, Beschimpfung, Sachbeschädigung und zahlreicher Drogendelikte an. Er verbüsste deswegen auch schon mehrere Monate Freiheitsstrafe.
In Iran sei er letztmals vor rund 25 Jahren gewesen, sagt er. Er habe keinen Kontakt zu den dortigen Verwandten seines verstorbenen Vaters. Seine Mutter und seine Geschwister seien ebenfalls in der Schweiz. Seine Zukunft bei einem Landesverweis sehe er «negativ». Vor Vorinstanz hatte er gesagt, ein Landesverweis wäre der sichere Tod für ihn.
Der Beschuldigte macht Notwehr geltend
Die Staatsanwältin kritisiert die Vorinstanz, welche die Strafe aufgrund von angeblichen subjektiven Tatkomponenten erheblich reduzierte. Dies sei nicht nachvollziehbar. Der Beschuldigte habe gewusst, dass das Opfer sterben könnte, und er habe dies auch gewollt. Der Verteidiger macht eine Notwehrsituation geltend. Es sei der Beschuldigte gewesen, der aus nichtigem Anlass angegriffen worden sei.
Er habe sich lediglich mit Faustschlägen gewehrt. Insbesondere seien Schläge mit der Holzkeule oder Fusstritte gar nicht erstellt. Der Beschuldigte habe nicht davon ausgehen müssen, dass sein Bekannter sechs Tage später im Spital sterben würde. Auch andere gesundheitliche Probleme könnten beim Tod eine Rolle gespielt haben.
Auf den Landesverweis sei zu verzichten. Schon die Vorinstanz habe festgestellt, dass ein Härtefall vorliege. Der Zugang zur medizinischen Behandlung der psychischen Störung des Beschuldigten in Iran sei nicht gewährleistet. Es gebe kein Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz und Iran. Der Beschuldigte wäre in Iran völlig mittellos auf sich allein gestellt und würde jede Hoffnung verlieren.
Beschuldigter verlässt während Urteilseröffnung den Saal
Das Obergericht erhöht die Freiheitsstrafe von 10 auf 13 Jahre und hält an der vollzugsbegleitenden ambulanten Therapie und dem Landesverweis von 12 Jahren fest. 1080 Tage hat der Mann bereits abgesessen. Während der Urteilseröffnung fällt der Beschuldigte der vorsitzenden Richterin mehrfach ins Wort, erklärt unter anderem, er habe an jenem Tag gar nichts geraucht und er wolle nicht mehr zuhören. Schliesslich verlässt er den Saal freiwillig mit den Polizisten.
Es sei aufgrund von Gutachten erstellt, dass der Beschuldigte die Gymnastikkeule behändigt und damit zugeschlagen habe, sagt die vorsitzende Richterin. Auch Fusstritte gegen den Kopf seien erwiesen. Die Aussagen über eine Notwehrsituation seien nicht glaubhaft. Der Beschuldigte sei dem Opfer körperlich klar überlegen gewesen.
Selbst wenn vorbestehende Krankheiten des ausgemergelten Opfers, das von einer langen Drogensucht gekennzeichnet gewesen sei, dessen Tod begünstigt hätten, wäre das rechtlich gar nicht relevant. Denn mit seiner massiven Gewalt habe der Beschuldigte den Tod eventualvorsätzlich in Kauf genommen. Er habe erst vom Opfer abgelassen, als die Nachbarn an der Tür geklingelt hätten.
In Bezug auf den Landesverweis kommt auch das Obergericht zu dem Schluss, dass der in der Schweiz aufgewachsene Beschuldigte zwar ein Härtefall sein möge. Er habe sich aber von keiner einzigen seiner zahlreichen Vorstrafen von weiterer Delinquenz abhalten lassen, und die Gerichtspsychiaterin habe ein hohes Rückfallrisiko auch für Gewaltdelikte festgestellt. Das öffentliche Interesse am Landesverweis wiege klar schwerer als das private Interesse des Beschuldigten. Auch die medizinische Versorgung in Iran sei kein Hinderungsgrund.
Urteil SB240124 vom 19. 2. 2025, noch nicht rechtskräftig.